Take A Chance Review Kritik

Take A Chance

Film Take A Chance

Take A Chance Review Kritik
Der Film erzählt die Geschichte des Stalkers Gert Van Der Graaf.
Produktionsland Schweden
Jahr 2023
Spielzeit 86 Minuten
Regie Maria Thulin
Hauptdarsteller*innen ABBA, Agnetha Fältskog, Gert Van Der Graaf
Bewertung

Worum geht’s?

Die Dokumentation erzählt die Geschichte des Niederländers Gert van der Graaf. Als 8-jähriger Junge vor dem Fernseher verliebt er sich in Agnetha Fältskog von Abba. Als Heranwachsender tritt er dann einem Fanclub bei und schreibt ihr Briefe, mit Ende 20 zieht er nach Schweden und nimmt dort einen Job an, um die Sängerin vielleicht irgendwann zu treffen. Er zieht in ein Haus in ihrer unmittelbaren Nähe und stellt ihr nach. Laut seiner eigenen Darstellung ist er eine Weile mit der berühmten Musikerin liiert, die nach dem Ende der Band in einer persönlichen Krise steckt. Schließlich verhängt ein Gericht ein Kontaktverbot und verweist ihn des Landes. Die Ereignisse werden anhand von Archivmaterial und Interview-Sequenzen nachgezeichnet, wobei neben van der Graaf und Menschen aus seinem privaten Umfeld auch zahlreiche Expert*innen zu Psychologie, Stalking und Popkultur zu Wort kommen.

Das sagt shitesite:

Als bekannt wurde, dass Amazon Prime diese Dokumentation senden möchte, gab es eine Petition von Abba-Fans gegen die Ausstrahlung. Man muss natürlich nicht so weit gehen, und man sollte einen Film auch nicht nach moralischen Gesichtspunkten beurteilen. Aber bei Take A Chance ist es fast unvermeidlich, bei der Frage “Darf man das?” zu landen, zumindest bei der Frage “Muss das sein?” Denn die Tatsache, dass Agnetha Fältskog von den Macher*innen dieser Doku zwar angefragt wurde, eine Mitarbeit aber verweigert hat und somit nicht zu Wort kommt, bleibt ein Makel, der in diesen knapp anderthalb Stunden himmelschreiend präsent ist.

Nehmen wir mal an, Take A Chance solle eine Studie darüber sein, wie spontan und zugleich dauerhaft die Faszination sein kann, die Popmusik auszulösen vermag. Dann müsste es hier viel mehr um die Songs von Abba gehen, um die Bühnenshow, die Outfits, das Image, auch um den Status als globale Superstars, den das Quartett damals hatte.  Zwar gibt es Interviews beispielsweise mit dem BBC-Experten Paul Gambaccini, der Musikjournalistin Lesley-Ann Jones, dem ehemaligen MTV-Europe-Strippenzieher James Hyman oder Musikjournalist Fredrik Strage (der auch am Drehbuch der Doku mitgearbeitet hat). Aber das Ergebnis ist weit davon entfernt, eine popkulturelle Analyse oder eine musikhistorische Abhandlung zu werden.

Halten wir dem Team um Regisseurin Maria Thulin zugute, dass hier vielleicht die schockierenden Ausmaße einer Obsession beschrieben werden sollen, wofür unter anderem mehrmals die Stalking-Expertin Laura Richards interviewt wird. Dann fällt die fehlende Perspektive des Opfers noch mehr auf. Van der Graaf darf in aller Ruhe und Ausführlichkeit seine Version dieser ungewöhnlichen Geschichte erzählen, er kommt dabei als lieber Kerl oder harmloser Trottel rüber, beinahe meint man, er solle hier als das Opfer (seiner eigenen Vernarrtheit und der Kaltherzigkeit seiner Angebeten) inszeniert werden. In keinem Moment wird das Leid erkennbar, das schließlich zu seiner Verurteilung geführt hat. Dass Stalking für die Betroffenen Angst und Terror bedeutet, dass es nichts anderes als Gewalt und Grausamkeit seitens der Täter ist – für all das finden die Bilder und O-Töne keine Entsprechung.

Womöglich soll man auch der These folgen, Take A Chance wolle einem Mann die Gelegenheit geben, ein paar Dinge gerade zu rücken, der bisher in der Öffentlichkeit nie eine faire Chance dazu erhalten hat. Doch auch dieser Gedanke wird schnell pulverisiert. Van der Graaf wird stattdessen mehr oder weniger bloßgestellt und lächerlich gemacht, durch die süffisanten Fragen des Therapeuten Michiel Hengeveld, durch unvorteilhafte Posen und Outfits, wenn er in seinem früheren Kinderzimmer einen weiteren Brief an Agneta schreibt oder mit Bauarbeiter-Dekolleté auf einem Gabelstapler sitzt.

Letztlich kann man so nur zum Urteil kommen, dass der hier verfolgte Ansatz ein anderer ist. Es geht um den Voyeurismus einer Die Schöne und das Biest-Geschichte. Und es geht darum, ein bisschen Glanz von der gerade wieder sehr hoch im Kurs stehenden Marke Abba auf das eigene Werk abstrahlen zu lassen – auf Kosten eines kolossalen Ungleichgewichts in der Aufmerksamkeit, dem Mitgefühl und der Fairness, das hier zwischen Opfer und Täter herrscht.

Bestes Zitat:

“The problem comes when fan becomes fanatical.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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