Künstler*in | Wicca Phase Springs Eternal | |
Album | Wicca Phase Springs Eternal | |
Label | Run For Cover | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: Run For Cover Records / Ebru Yildiz |
“Ich habe das Wort ‘Mystery’ auf dieser Platte wahrscheinlich hundertmal benutzt”, sagt Adam McIlwee über sein neues Werk als Wicca Phase Springs Eternal. “Dieser Begriff drückt schließlich aus, was ich versuche, in Worte zu fassen – diese Idee von etwas, das schwer zu verstehen, aber verlockend ist. Aus welchem Grund auch immer.”
Shitesite hat nachgezählt: In Wirklichkeit kommen “Mystery” und seine Abwandlungen nur 15 Mal auf dem Werk des Manns aus Pennsylvania vor, der früher bei Tigers Jaw aktiv war. Dafür hat es gleich einen sehr prominenten Platz im ersten Song der Platte, die genauso heißt wie das Album und die Band. “I spent hours trying to tap into the mystery”, singt er in Wicca Phase Springs Eternal mit seinem vertrauten Bariton, er klingt dabei irgendwie verletzt, aber nicht wehleidig, irgendwie auch aggressiv, obwohl das Lied eher gebremst bleibt und nicht einmal in die unmittelbare Nähe von Eskalation kommt. Das Ergebnis wirkt viel länger als die 4:20 Minuten tatsächlicher Spielzeit, weil es so ereignisreich ist, und es scheint tatsächlich aus einer Zwischenwelt zu kommen, in die sich McIlwee ganz bewusst und unter erheblichem Kraftaufwand hineinversetzt hat, wie in eine Trance.
Freilich klingt Wicca Phase Springs Eternal bei weitem nicht so spinnert und düster wie der namensgebende Kult, auch nicht so obskur und verwunschen wie die vorherigen Werke von Adam McIlwee unter diesem Namen. Als Einflüsse für die neue Platte nennt er neben britischen Folk-Größen aus den 1960er und 1970er Jahren wie Fairport Convention and Pentangle auch elektronische Genres wie Trance und House. In der Tat ist die musikalische Bandbreite erstaunlich: Ein Track wie Open Portal wirkt kalt und morbide, One Silhouette verwandelt Schwermut in Tanzbarkeit, Mystery, I’m Tied To You stellt sich durch die akustische Gitarre und die zweite Stimme von Zola Jesus in die Nachfolge von Leonard Cohen, was als eine zunächst überraschende Traditionslinie erscheint. Das ambitionierte Twilight Miracle könnte man mit dem Slogan “The Smiths go Electro” zusammenfassen, auch Joy Division oder OMD drängen sich ein paar Mal als Bezugspunkte auf.
Über den 2019 veröffentlichten Vorgänger sagt McIlwee heute: “Suffer On und ein Großteil der Musik, die ich zu dieser Zeit machte, war gezeichnet von einer großen emotionalen Last. Ich hatte das Gefühl, dass ich dem Hörer und mir selbst viel zumutete. Also begann ich, über die frühe Wicca Phase und den Aufbau meiner Welt nachzudenken – damals warf ich einfach alles an die Wand, aber jetzt habe ich zehn Jahre mehr Erfahrung im Songwriting. Mir wurde klar, dass ich die Tiefe von Wicca Phase weiter ausbauen wollte, ich wollte nicht nur an der Oberfläche kratzen.” Auch deshalb heißt das Album nun genauso wie das Projekt: “Ich hatte das Gefühl, dass dies ein neuer Anfang sein könnte.”
Die größten Überraschungen für seine bisherigen Fans dürften Songs wie der einfallsreiche Album-Abschluss Who’s Watching Me mit seinem verschleppten TripHop-Beat sein, oder auch It’s Getting Dark, das ausnahmsweise ohne Stimmeffekte und nur zur akustischen Gitarre den Versuch und die Verheißung von Kontaktaufnahme thematisiert wie viele Lieder der Platte. So heißt das zentrale Verb auch im vor lauter spannenden Details beinahe berstenden Assembly wieder “reach out”.
In den zugänglichsten Momenten von Wicca Phase Springs Eternal findet auch der Sound eine Entsprechung für diesen Wunsch nach Miteinander. Moving Without Movement hat beispielsweise erstaunlichen Punch und erzeugt im Refrain sogar unverkennbar viel Licht durch das Versprechen von Zusammenhalt, sodass man etwa an The Big Pink denken kann. Auch die Eighties-Romantik in Saturday Night ist erstaunlich eingängig, zugleich macht dieses Lied in jedem Moment deutlich, worauf man sich einlässt, wenn man sich wirklich dieser Musik hingeben sollte, nämlich auf Ozeane voller Melancholie, Jahrtausende voller unerfüllter Sehnsucht und Millionen mühsam aufrecht erhaltener Träume.
Das sich teilweise in gefährliche Nähe zu EBM begebende Now That It’s Dark ist ein gutes Beispiel dafür, dass McIlwees Texte oft den Charakter von Tagebuch- oder Blog-Einträgen haben, was angesichts der damit verbundenen Bekenntnishaftigkeit sehr ungewöhnlich ist in der Welt der (im weitesten Sinne) Dance Music. Auch Farm unterstreicht das, der Song wird in der Strophe aggressiv, hingegen mystisch in den anderen Teilen (und natürlich auch im Text) – so hätten Linkin Park vielleicht klingen können, wenn sie es geschafft hätten, die Probleme in ihrem Kopf zwar nicht zu lösen, aber immerhin zu sortieren.
“Manchmal, wenn ich schreibe, bin ich in der fünften Dimension und merke, dass ich die Erlebnisse dort erst in die reale Welt zurückholen muss”, sagt McIlwee. Auch diese Erkenntnis hat offensichtlich dazu geführt, dass sich sein neuer Sound nicht nur erheblich vielseitiger, sondern auch deutlich robuster anfühlt: “Ich bin nicht an Musik interessiert, die total ätherisch ist – ich möchte einen Bezug zur Musik haben und ich möchte, dass die Leute auch einen Bezug zu meiner Musik haben.”