Weihnachtsfutter für die Ohren mit Jessica Haller, Phoebe Bridgers, Titus Andronicus, Superorganism, Molly Burch, Ell, David Byrne, The Linda Lindas, Dougie Poole und Chubby And The Gang

Jessica Haller Love Will Bring You Home
Ex-Bachelorette Jessica Haller hat ein Weihnachtslied aufgenommen. Foto: Promotion Werft / Leshea

Manchmal werden in der Weihnachtszeit ja Wünsche erfüllt. Im Falle von Love Will Bring You Home (**1/2) waren es sogar zwei Wünsche, die zugleich Wirklichkeit wurden. Zum einen ist da Jessica Haller, unter ihrem Mädchennamen Jessica Paska 2014 als Kandidatin bei Der Bachelor und drei Jahre später bei RTL als Die Bachelorette selbst Rosen verteilend im Einsatz, die nach eigenen Angaben schon lange davon träumt, Musik zu machen und insbesondere die Idee hatte, ihren Ehemann mit einem eigenen Weihnachtssong zu überraschen. Zum anderen ist da Daniel Hall, gebürtiger US-Amerikaner und Ex-Basketballprofi, der schon lange auch als Musiker, Produzent und Songwriter aktiv ist und in Düsseldorf ein Tonstudio betreibt. Er hatte den Song Love Will Bring You Home, geschrieben gemeinsam mit Taan Nguyen und Malte Hagemeister, schon eine Weile in der Schublade und suchte eine geeignete Stimme und einen geeigneten Anlass dafür. Also ein perfektes Match. Hall und Haller hatten sich während der Corona-Zeit in Ibiza kennen gelernt, wo die Castingshow-Kandidatin mit ihrem Mann Johannes (die Hochzeit fand übrigens an Weihnachten statt) und der im Mai 2021 geborenen Tochter Hailey-Su lebt. Für den Weihnachts-Kontext wurde das Lied um Glocken, Gospelchor und ein paar neue Textzeilen angereichert. Jessica Haller macht als Sängerin eine mindestens passable Figur, die Kombination aus Weihnachtsklängen und modernen Pop-Elementen gelingt ebenfalls, insbesondere der Refrain hätte aber ein bisschen mehr Glanz gebrauchen können. Die ursprüngliche Botschaft des Lieds passt ohnehin bereits bestens zum Fest der Liebe: Love Will Bring You Home erzählt vom Nach-Hause-Kommen über die Feiertage, zur Familie und den Liebsten – und von der Freude über dieses Wiedersehen und die Möglichkeit zur gemeinsamen Besinnung.

Natürlich kann so ein Familientreffen auch mächtig in die Hose gehen – insbesondere, wenn sich das ganze Jahr lang Frust angestaut hat oder man diverse Sorgen von der Arbeit, aus der Beziehung oder dem Grübeln über die Ereignisse in den Fernsehnachrichten mit nach Hause bringt. Diese Situation – und die Unfähigkeit, in einem so stark überfrachteten Kontext wie dem Heiligabend mit seinem Harmoniezwang vernünftig miteinander reden zu können – thematisieren Ell in ihrer neuen Single Sackgasse (***1/2), die sie als “Anti-Weihnachtshymne” bezeichnen. Die in diesen Tagen sehr berechtigte Frage “Können wir die ganze Scheiße nicht einfach sein lassen?” überzeugt dabei ebenso wie das enorme Energie-Level mit vielen packenden Riff-Ideen. Das Duo, bestehend aus Lisa-Anna und Lennart, die Bass respektive Schlagzeug beisteuern, war zuletzt beispielsweise als Support für Turbostaat, Deine Cousine und Egotronic unterwegs. Nach der Debüt-EP Wir sind wird am 24. März die nächste EP mit dem Titel Alles unter Kontrolle und insgesamt fünf Songs erscheinen, erneut produziert mit Kurt Ebelhäuser und Michel Wern. Sackgasse ist dann auch drauf.

“Ich wollte schon immer ein Lied für die Feiertage schreiben”, hat David Byrne unlängst über seine Plattenfirma mitteilen lassen. Natürlich darf man beim ehemaligen Talking-Heads-Vortänzer davon ausgehen, dass das nicht ganz unschuldig und oberflächlich sein wird, und in der Tat ist The Fat Man’s Comin’ (****) entsprechend eigensinnig. “Ich würde es nicht als Weihnachtslied bezeichnen, denn der Besuch des Weihnachtsmanns (früher bekannt als St. Nikolaus, der vor allem bestrafte) scheint sich eher zu einem weltlichen Konsummoment als zu einer religiösen oder spirituellen Angelegenheit entwickelt zu haben”, stellt David Byrne denn auch klar. Entstanden ist das von Jherek Bischoff produzierte Lied, das mit Bläsern, Streichern und vor allem einem ungewöhnlichen Rhythmus eine ziemlich einmalige Atmosphäre kreiert, als der 70-Jährige gemeinsam mit St. Vincent am Album Love This Giant gearbeitet hat. Vorbildlicherweise lässt er die Fans selbst entscheiden, wie viel sie für das bei Bandcamp verfügbare Lied bezahlen wollen. Alle Einnahmen gehen an Reasons To Be Cheerful, eine 2016 von Byrne gegründete Online-Publikation und -Plattform, auf der ausschließlich gute Nachrichten verbreitet werden.

https://www.youtube.com/watch?v=sD3tp0gcfNo

Auch Phoebe Bridgers ist gerne wohltätig und bekanntlich covert sie fast genauso gerne Weihnachtslieder. 2017 hat sie diese Tradition begonnen, damals mit Have Yourself A Merry Little Christmas, im vergangenen Jahr war es Tom Waits’ Day After Tomorrow. Diesmal hat sie So Much Wine (***1/2) neu interpretiert, das Original stammt von The Handsome Family aus dem Jahr 2000. Ihre etwas langsamere und besonders wehmütige Version hat sie gemeinsam mit ihren langjährigen Mitstreitern Tony Burg und Ethan Gruska (der auch die Orgel spielt) produziert, außerdem sind ihre Bandmitglieder Marshall Vore (Schlagzeug) und Harrison Whitford (Gitarre) dabei, ebenso ihr Freund Paul Mescal (im Haupftberuf Schauspieler) und Andrew Bird als Gastsänger. Alle Einnahmen spendet Phoebe Bridgers an das Los Angeles LGBTQ Center, und dass sie Weihnachten nicht nur als einen Anlass für Charity sieht, sondern wirklich ins Herz geschlossen hat, dürften auch ihre Auftritte bei den von Danny Elfman organisierten The Nightmare Before Christmas-Konzerten beweisen, bei denen sie in der vergangenen Woche zwei Mal in der OVO Arena in London auf der Bühne stand.

Gleich eine Doppelsingle zum Fest hat Molly Burch für ihre Fans zu bieten, denen sie schon 2019 mit The Molly Burch Christmas Album reichlich passende Lieder unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte. Cozy Christmas (***1/2) ist dabei ziemlich beschwingt, vielleicht für ein Familienfest, bei dem alle schon ein paar Glühwein intus haben und Lust auf Discofox, einen verschämten Flirt oder wenigstens Schunkeln bekommen. December Baby (***1/2) hingegen ist eher etwas für den Kamin am Tag nach der großen Bescherung oder den großen Jahresend-Blues, schließlich geht es um Liebeskummer und ein paar schmerzliche Erinnerungen an ein gemeinsames Weihnachtsfest mit dem Ex.

Aus dem Little Drummer Boy, den Harry Simeone in den Jahren 1958 bis 1962 gleich fünfmal in Folge in die Top40 der US-Charts gebracht hat, dürfte mittlerweile ein alter Mann geworden sein, schließlich stammt das Lied ursprünglich schon aus dem Jahr 1941. An Reiz hat das Stück in all dieser Zeit aber offensichtlich nicht verloren, gibt es doch immer wieder Coverversionen von teils sehr prominenten Künstler*innen. Nun haben sich Titus Andronics der Nummer angenommen, wenn auch in einer sehr freigeistigen Interpretation. Drummer Boy (****) ist ihre erste Weihnachtssingle überhaupt und führt Billy Joels Piano Man mit einer ironischen Weihnachtsgeschichte zusammen. Ihr kleiner Schlagzeuger scheint den Advent vor allem mit Guinness und Zigaretten verbracht zu haben, entsprechend rau und feuchtfröhlich klingt das Ergebnis, das auch zu den Dropkick Murphys oder Pogues passen würde. Die Billy-Joel-Melodie eignet sich dabei erstaunlich perfekt für ein Weihnachtslied, und bei Zeilen wie “We’re all in the mood for a rum-pa-pum-pum” kann sowieso niemand widersprechen.

Eigentlich sollte Dougie Poole mehr als genug zu tun haben mit dem Abschluss seines zweiten Albums The Rainbow Wheel Of Death, das für Februar angekündigt ist. Für seine Version des Klassikers Have Yourself A Merry Little Christmas (***) hatte der Mann aus New York aber offensichtlich noch Zeit. Ein bisschen wundert er sich indes selbst darüber, wie er erzählt: “In meiner Kindheit feierte meine Familie Weihnachten, obwohl ich Jude bin (mein Vater wurde lutherisch erzogen), aber die populäre Weihnachtsmusik – der Heilige Nikolaus, Milch und Kekse, die Schlittenglocken, die militante Verbreitung von Fröhlichkeit – kam mir in einem Haus voller Juden immer ein bisschen zu heidnisch vor. Ich habe mich immer gefragt, warum es keine tollen Chanukka-Musikstücke gibt, bis ich vor kurzem herausfand, dass die Hälfte des amerikanischen Weihnachtskanons von jüdischen Songwritern geschrieben wurde, die sich in der Musikindustrie tummeln. Da habe ich mich natürlich ein bisschen für das Ganze erwärmt.” Auf Have Yourself A Merry Little Christmas trifft das zu 50 Prozent zu, das Lied stammt aus der Feder von Hugh Martin (einem Sieben-Tage-Adventisten) und Ralph Blane (einem Juden) und wurde 1944 durch den Judy-Garland-Film Meet Me In St. Louis bekannt. Dass der Song auch mit Country-Spirit und viel Wehmut funktioniert, hätten die beiden Autoren vielleicht nicht gedacht, doch Dougie Poole beweist das ziemlich eindrucksvoll.

Superorganism haben sich mit ihrem Weihnachtslied selbst ein Geschenk gemacht. Sie sind nämlich große Fans der Zeichentrickserie HouseBroken. Als sie angefragt wurden, für die aktuelle Weihnachtsepisode einen neuen Titelsong zu machen, sagten sie begeistert zu. Das Lied heißt Woofin’ & Meowin’ (***1/2). Harry berichtet: “Etliche Titelmelodien und Soundtracks von Cartoons haben unsere Kindheit und letztendlich unseren Geschmack geprägt. Deshalb war es sehr inspirierend, sich darauf einzulassen. Wir haben Woofin’ And Meowin’ unmittelbar vor unserer ersten Tournee seit der Pandemie geschrieben, und ich glaube, man spürt, wie der Stress und die Aufregung überschwappen. Für mich klingt es wie die Aufregung meines Familienhundes, die unsere Aufregung als Kinder am Weihnachtstag widerspiegelt. Der arme kleine Kerl hatte keine Ahnung, warum wir alle so aufgeregt waren, aber er genoss einfach den Moment und freute sich mit uns.” Das Lied strahlt in der Tat Hektik ebenso aus wie Vorfreude, vor allem aber eine große Verspieltheit mit Weihnachtsglocken und diversen Tiergeräuschen. Das passt zur Serie: In HouseBroken werden die diversen Kapriolen des menschlichen Miteinanders (unter anderem spielen spielen Lisa Kudrow, Tony Hale, Will Forte und Jason Mantzoukas) aus der Perspektive von Tieren erzählt.

“Ich habe diesen Weihnachtssong geschrieben, als ich in meinem Van saß und fror, während ich darauf wartete, während der Feiertage mit der Arbeit zu beginnen. Weil ich es leid bin, immer dieselben vier Lieder zu hören”, sagt Charlie Manning-Walker, Frontmann von Chubby And The Gang über Violent Night (A Christmas Tale) (***1/2). Wie der Titel es ahnen lässt, geht es dabei ziemlich rabaukig zu, mit Glamrock-Beat und rotzigem Gesang über eine Kneipentour an den Feiertagen – das scheint uns allen in Erinnerung bringen zu wollen, dass sowohl The Ramones als auch Run DMC einst Weihnachts-Songs verfasst haben. Um den Kanon der allseits bekannten Lieder noch ein bisschen mehr zu erweitern, hat Manning-Walker gleich eine Doppel-A-Seite daraus gemacht, das zweite darauf enthaltene Stück namens A Christmas Extravaganza hat ebenfalls Bezug zu den Feiertagen. Wahrscheinlich werden beide Tracks auch zu hören sein, wenn Chubby And The Gang morgen erstmals in neuer Besetzung live zu sehen sein werden. Charlie Manning-Walker wird dann im Lower Third in London begleitet von Will Goodey (Gitarre), Geoff Wilcox (Bass) und Lee Munday (Schlagzeug).

Große Fans der Festtage sind auch The Linda Lindas aus Los Angeles. Genauer gesagt lieben sie die Weihnachtslieder, die einige ihrer Heldinnen gemacht haben. “Es gibt so viele coole Weihnachtslieder, zu denen wir gerne tanzen, und viele davon sind von unseren Lieblingspunkbands: Alice Bag, Red Kross, Shonen Knife… Sie haben uns dazu inspiriert, unser eigenes Weihnachtslied zu schreiben, das ihr zu eurer festlichen Playlist hinzufügen und bei Weihnachtsfeiern genießen könnt”, teilt die Bad mit, die Anfang des Jahres ihr Debütalbum Growing Up veröffentlicht hat. Dass man es angesichts der genannten Vorbilder bei Groovy Xmas (****) mit äußerst kurzweiligem Punk zu tun hat, dürfte kaum überraschen. Im Video veranstalten The Linda Lindas ihre eigene Weihnachtsfeier mit Freund*innen und neuen Instrumenten als Geschenken, und ihrer Botschaft für die Feiertage kann man sich nur anschließen: “Wir hoffen, ihr habt ein sehr grooviges Weihnachtsfest und ein tolles neues Jahr!”

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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