Alfie Templeman Mellow Moon

Alfie Templeman – „Mellow Moon“

Künstler*in Alfie Templeman

Alfie Templeman Mellow Moon
Alfie Templeman Mellow Moon zeigt auf „Mellow Moon“ eine neue Tiefgründigkeit.
Album Mellow Moon
Label Chess Club
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung Foto oben: Beats International / Lillie Eiger

Wenn man schon seit der Kindheit chronische Probleme mit den Atemwegen hat, dann ist so etwas wie Covid-19 ganz sicher nicht das, was man haben will. Wenn man nach mehreren umjubelten EPs und vielleicht sogar am Beginn eines kleinen Hypes gerade sein Debütalbum aufnimmt, dann sind Pandemie, Lockdown und Kontaktverbote definitiv auch nicht die geeigneten Rahmenbedingungen. Bei Alfie Templeman kam beides zusammen, als er Anfang 2020 mit der Arbeit an dieser Platte begann. Es ist also kein Wunder, dass Corona die 14 Songs auf Mellow Moon sehr entscheidend geprägt hat.

Für den 18-Jährigen, der noch bei seinen Eltern in Bedfordshire lebt und dort auch seine Songs aufnimmt, ist – noch mehr als für die meisten von uns – seit dieser Phase nichts mehr wie zuvor. „Es fühlt sich an, als wäre ich auf einem anderen Planeten. Ich bin an einen völlig neuen Ort gekommen und entdecke das Feuer zum ersten Mal“, beschreibt er seine eigene Sichtweise. Tatsächlich vereint Mellow Moon so etwas wie das Genießen einer neu gewonnenen Freiheit und das gierige Entdecken der Welt mit Gedanken an Fragilität und Vergänglichkeit sowie einer großen Sehnsucht nach Gemeinschaft.

Wenn er in 3D Feelings die Refrainzeilen, „You give me three-dimensional feelings / I love it“ singt, dann ist das ebenso ansteckend wie euphorisiert. Do It („I’m in my midlfe crisis / at the age of 18“) zeigt, wie unsagbar mitreißend ein Lied über Antriebslosigkeit klingen kann. Candyfloss wirkt, als würden The Naked And Famous alles auf Disco setzen. „Coole Sachen haben immer auch ihre Schattenseiten“, hat Alfie Templeman erkannt. „Zuckerwatte ist nur das, was man auf den ersten Blick sieht, bis man sich näher damit beschäftigt.“

Dieser Ansatz, den Dingen stärker auf den Grund zu gehen, prägt sein Debüt, auf dem unter anderem Tom McFarland (Jungle) und Justin Young (The Vaccines) mitgewirkt haben. „Mir wurde klar, wie sehr ich alles für selbstverständlich hielt. Dadurch wurde auch mein Songwriting tiefgründiger. Ich habe ein neues Niveau erreicht“, sagt er über eine weitere Auswirkung der Pandemie-Erfahrung. „Ich habe mir mehr Zeit für meine Songs genommen und mehr denn je über jedes einzelne Detail nachgedacht. So entstand ein wirklich spannendes Bild davon, wie es ist, endlich sein Zimmer zu verlassen. Jedes Mal, wenn ich das Haus verließ, schrieb ich einen neuen Song. Es war alles so aufregend.“

Das schlägt sich auch in einer größeren klanglichen Vielfalt nieder. Es gibt hier viel von der Heiterkeit und Tanzbarkeit, die man von den EPs und vom 2021er Mini-Album Forever Isn’t Long Enough kennt. Der äußerst beschwingte Auftakt A Western ist ein Beispiel dafür, ebenso Folding Mountains, das man irgendwo zwischen Beck, The Virgins und Wham! einsortieren könnte. Der Titelsong ist ein fluffiges und trotzdem packendes Pop-Meisterwerk, bei dem man glauben könnte, der Sänger würde über Schäfchenwolken und Regenbögen tanzen.

Es gibt neben diesem stilistischen Kern aber auch Momente wie das schwer groovende You’re A Liar, das wie Funk daherkommt, der nicht wirklich mitreißend sein will. Best Feeling wird im Sound sehr experimentierfreudig (auch wenn dabei nicht alle Ideen überzeugen) und zeigt Alfie Templeman stimmlich nahe am Sprechgesang. Galaxy setzt auf Midtempo, Eleganz und Schönklang, gönnt sich am Ende aber auch ein extravagantes Gitarrensolo. Leaving Today offenbart große Ambitionen und verströmt leicht psychedelische Seventies-Vibes. Take Some Time Away verzichtet auf die sonst übliche Kopfstimme, und schon klingt der Engländer dadurch fast wie ein anderer Act – auch, weil hier unter anderem mit Streichern und Percussions eine Atmosphäre geschaffen wird, in der sich auch Nancy Sinatra und Lee Hazlewood wohl gefühlt hätten. Auch der Schlusspunkt Just Below The Above hat eine ganz andere Ästhetik als der Rest der Platte, wird rührend und sogar ergreifend.

„Die meisten Leute denken wahrscheinlich, ich sei ein unkomplizierter, kontaktfreudiger Mensch, aber tatsächlich habe ich viel mehr Facetten, und dieses Album zeigt das“, sagt der Singer-Songwriter, für den sich das Komponieren nach eigener Aussage manchmal wie eine Therapie angefühlt hat. „Ich habe mich gefragt: ‘Was stimmt mit mir nicht?‘ und ‚Wie kann ich mich verbessern?‘ Ich habe einfach versucht, die Dinge in Echtzeit zu verstehen. Ich habe eine Therapie gemacht, aber es gab immer noch Dinge, die in meinem Kopf ungelöst waren. Also habe ich mich der Musik zugewandt, um Antworten zu finden.“

Der beste Beweis dafür ist zugleich der Höhepunkt von Mellow Moon: „Don’t you feel like you’re broken?“, fragt Alfie Templeman im hell strahlenden Refrain des tropisch angehauchten Broken – und wer würde sich da in Zeiten wie diesen nicht angesprochen und eingeschlossen fühlen? Er selbst sieht das Stück als „eine Art Hymne für Menschen in meinem Alter, all die kleinen Unsicherheiten, die man als Teenager hat, wenn man sich selbst findet.“ Auch Colour Me Blue zeigt sein enormes melodiöses Talent, zudem ist es sehr cool im Rhythmus. Solch ein Song wäre im Oeuvre vieler Acts ein totales Highlight, hier reiht es sich ein in seinen Standard-Sound, allerdings genau mit dem richtigen Maß an Abweichung.

Auch das zeichnet die Platte am Ende aus: Sie ist nicht nur eine Aneinanderreihung schöner Lieder, sondern sehr konsistent und auch mit einer geschickten Dramaturgie versehen. „Wenn die Leute meine Songs in ihre Playlists oder ins Radio aufnehmen wollen, ist das toll, aber ich liebe richtige Alben“, sagt Alfie Templeman, „also hat diese Sammlung von Songs eine echte Bedeutung, auch wenn ich nicht vorhatte, ein Album zu machen. Die Songs wären nicht darauf, wenn das nicht so wäre. Es ist ein Moment in meinem Leben, an den ich mich für immer erinnern möchte. Ich habe so viel Arbeit hineingesteckt, und es ist ein echtes Erlebnis, sie anzuhören.“

Im Video zu Broken wird Alfie Templeman zur Actionfigur.

Website von Alfie Templeman.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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