Childrenn – „International Exit“

Künstler Childrenn

International Exit Childrenn Kritik Rezension
Mit US-Produzent Randall Dunn wurde „International Exit“ in Kopenhagen aufgenommen.
Album International Exit
Label Mighty Music
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Eine goldene Büste ist auf dem Cover von International Exit abgebildet. Aber das erste Bild, das man mit diesem heute erscheinenden Album assoziiert, ist ein anderes. Schon nach ein paar Sekunden des Openers Cool Ache sieht man in Gedanken die Batterie von Effektgeräten, die wohl zu den Füßen von Gitarrist und Sänger Jacob Brixen steht, ebenso wie die Poster von Monster Magnet und vielleicht auch The Darkness, die wahrscheinlich in seinem Jugendzimmer hingen, bevor er dann als Frontmann einer Band zu cooleren Einflüssen wie SunnO))) gewechselt ist. Diese sehr ursprüngliche Begeisterung für die Essenz von Rockmusik ist ein prägendes Element auf dem zweiten Album von Childrenn.

Das Quartett aus Dänemark hat als Produzent Randall Dunn (Wolves In The Throne Room, Earth, Marissa Nadler) gewinnen können, der beim Debüt Animale (2016) schon für das Mixing gesorgt hatte. Gemeinsam mit ihm haben Jakob Brixen, Manoj Ramdas (Gitarre), Jakob Jørgensen (Bass) und Rune Nugge Kristensen (Schlagzeug) eine Platte gemacht, die erstaunlich viele Facetten von Gitarrenmusik abdeckt. The Signal Is Clear klingt wie die Jungs vom Black Rebel Motorcycle Club, wenn sie den Rest von Lethargie ablegen würden, der für ihren Sound so prägend ist. Year Of Complaint zeigt in der Strophe deutliche Krautrock-Einflüsse, im Refrain hingegen den lupenreinen Wahnsinn, den beispielsweise Frank Black auch nicht glaubwürdiger hinbekommen hätte – ganz am Ende, in den letzten paar Sekunden, scheinen dann tatsächlich die Sicherungen durchzubrennen. 11th Hour Lullaby/Cloud #22 ist plötzlich sanft im Sound, aber viel zu psychedelisch und vor allem zu durchtrieben, um eine Kennzeichnung wie “Ballade” zu erlauben.

Zusammengehalten wird das alles, wie Sänger Jakob Brixen sagt, vom „Gefühl, das alles um uns herum in die Brüche gehen kann“. Das sich daraus ableitende Thema für International Exit bezeichnet er folgerichtig als „Kollaps mit Elementen von Dekadenz, dem üblichen Wahnsinn, Leugnen, Wut und Sehnsucht nach Erlösung“. Die Single Royal Fever verdeutlicht, wie Childrenn diese Idee bevorzugt umsetzen: Verzerrung ist hier ein Wert an sich, ebenso wie Refrains, in denen die Wucht permanent mit der Theatralik im Clinch liegt.

Sing Sing Electric offenbart eine große Ungeduld, zu der das komplexe Gitarrenriff ebenso beiträgt wie die fordernden Drums und der Gesang, der aufgewühlt ist, aber sehr geschickt den nötigen Sicherheitsabstand zum gefährlichen Reich der Hysterie wahrt. Der Album-Schlusspunkt Year Of Desire zeigt, dass der Niedergang hier nicht nur politisch interpretiert werden sollte, sondern auch die persönliche Ebene einschließt. „It‘s been a year and I can’t manage all this desire and all this letting go“, heißt es darin, dazu gibt es nur Gesang, ein bisschen Gitarre und wieder eine gute Portion an Todessehnsucht. Das Ganze kann man sich gut als die ersten 4 Minuten eines 17-minütigen Progrock-Stücks vorstellen, zu dem das Lied dann auch kurz zu werden scheint.

A New Low hat ein schweres Bass-Riff als Fundament, im hymnischen Refrain klingt dieser neue Tiefpunkt gar nicht mehr so abschreckend, im Gegenteil: Childrenn feiern ihn, als wären sie Suede oder Pulp mit einer Vorliebe für Heavy Metal aus den Siebzigern. I Am The Antenna ist der einzige Schwachpunkt, weil Childrenn hier vor lauter Reminiszenzen vergessen, dem Song einen eigenen Kern zu geben. Das vielleicht beste, in jedem Fall aber typischste Stück auf International Exit ist Where’s The Door. Es deutet erst einen akustischen Moment an, um dann im Refrain umso rabiater zu werden. Darin steckt eine sehr dunkle Verzweiflung und eine Lust auf Selbstzerstörung, die nur einen Weg kennt (und das sehr genau weiß): nach unten.

Schön psychedelisch ist auch das Video zu Royal Fever.

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Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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