Clipping – “Visions Of Bodies Being Burned”

Künstler Clipping

Clipping Visions Of Bodies Being Burned Review Kritik
“Visions Of Bodies Being Burned” ist der zweite Teil von Clippings Horrorcore-Reihe.
Album Visions Of Bodies Being Burned
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Man könnte befürchten, Clipping seien für die echte Welt verloren. Das Trio aus Los Angeles hat sich einen Namen als einer der innovativsten Acts im HipHop gemacht. Zudem haben sich Rapper Daveed Diggs und die Produzenten Jonathan Snipes und William Hutson immer wieder engagiert gegen Rassismus, soziale Ungleichheit und andere Formen von Benachteiligung – und mit diesem Einsatz durchaus etwas bewegt. Auf dem 2019er Album There Existed An Addiction To Blood fanden sich diese Themen und Botschaften dann aber allenfalls noch auf sehr indirekte Weise. Stattdessen erweckten Clipping damit das Genre des Horrorcore wieder zum Leben, das seine Blütezeit in den 1990er Jahren hatte und sich lyrisch in fiktiven Welten voller Killer, Slasher, Monster und Vampire bewegte. Mit dem heute erscheinenden Visions Of Bodies Being Burned gibt es nun schon wieder eine Horrorcore-Platte von ihnen.

Wer der Poesie, Schärfe und nicht zuletzt Wirkungsmacht nachtrauert, die Clipping entwickeln können, wenn sie sich mit realen und aktuellen Inhalten beschäftigen, kann allerdings zumindest ein bisschen aufatmen: Zum einen haben sie in diesem Jahr mit dem Track Chapter 319 als Tribut an George Floyd gezeigt, dass sie dazu durchaus noch in der Lage sind (und auch noch Lust darauf haben). Zum anderen war der Ausflug ins Grusel-Genre von Anfang an als Zweiteiler geplant. Das 16 Songs umfassende Visions Of Bodies Being Burned sollte eigentlich kurz nach There Existed An Addiction To Blood erscheinen, nur wegen der Covid-19-Pandemie wurde die Veröffentlichung nach hinten geschoben.

Auch der zweite Teil zeigt sehr deutlich, worin für Clipping der Reiz an dieser Idee besteht: Sie können sich hier textlich die Freiheiten nehmen, die sie auch musikalisch so lieben, und Atmosphären entwerfen, die einem auch ganz ohne Bezug auf das Grauen der realen Gegenwart reichlich Schauer über den Rücken jagen können. Schon die Trommel im Intro kündet eindeutig Unheil, bevor nach 90 Sekunden der Rap von Daveed Diggs dazu kommt und schließlich nur noch eine schmerzhafte Verzerrung zu hören ist. Solche Elemente, die beim Hörer auch körperliches Unbehagen auslösen können, findet man auf Visions Of Bodies Being Burned regelmäßig. Make Them Dead hat ein fieses Tinnitus-Geräusch als Basis, in Invocation, einem der Interludes auf dieser Platte, fabrizieren sie mit Greg Stuart ein Schwingen wie aus Feedback oder von singenden Gläsern. In ’96 Neve Campbell (feat. Cam & China) hört man, passend zum auf Scream anspielenden Titel, ein Hämmern (wahrscheinlich eines Killers auf der Suche nach Opfern) an die Tür und das Wetzen von Messern. Body For The Pile (mit Sickness) kombiniert Störgeräusche, eine extrem tiefe Bass Drum und extrem hohe Frequenzen, das Ergebnis wird nicht nur experimentell, sondern abenteuerlich.

Auch sonst zelebriert das Trio hier wieder seinen einmaligen Sound, der so weit von konventionellem HipHop entfernt ist wie ein Teenager-Mädchen in einem Wes-Craven-Film vom unversehrten Erleben des Filmendes. Der Backing Track in She Bad besteht nur aus wenigen Geräuschen, das Ergebnis wirkt fast wie ein Rap über einem Hörspiel. Eaten Alive, bei dem Tortoise-Gitarrist Jeff Parker und Schlagzeuger Ted Byrnes mitwirken, legt den Rap über Sounds wie aus einem Traumfänger und Klänge, als wühle jemand im Besteckfach in der Küche. Pain Everyday (feat. Michael Esposito) sampelt Aufnahmen von angeblichen Geisterstimmen und zeigt auch jenseits davon die Kreativität dieser Platte: Der Beat hat sowohl Kraft als auch Finesse, ist direkt und hinterhältig, Daveed Diggs schaltet nach der Aussage „They gotta pay“ einen Gang hoch, begleitet von überraschenden Streichern. Auch in der Single Say The Name wird der Beat mit jeder Sekunde immer komplexer, eleganter und intelligenter.

Enlacing scheint die Clipping-Version von Cloud Rap zu sein, auch die Zeile „Get your ass down to the floor“ im Refrain könnte man für konventionell halten, aber der Rest ist dafür natürlich zu finster und klug. Das vergleichsweise straighte Check The Lock lebt von einem sehr coolen Bass, Looking Like Meat wird auch durch den Gast-Rap von Ho99o9 aggressiver als der Durchschnitt des Albums, trotzdem gespenstisch. Something Underneath glänzt mit einem rasanten Rap, der sein Tempo dann auf den Rest (einschließlich eines Outkast-Zitats) überträgt. Den Abschluss von Visions Of Bodies Being Burned macht Secret Piece, den Text dieses Stücks hat Yoko Ono schon 1953 geschrieben, Clipping reichern ihn unter anderem mit Geräuschen aus dem Wald an. Vielleicht darf man das als Fingerzeig werten, dass sich das Geschehen beim nächsten Album wieder in der natürlichen Welt abspielen wird.

Der Clip zu Enlacing / Pain Everyday ist kein Horrorfilm.

Website von Clipping.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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