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Darum muss RB Leipzig die Lizenz bekommen

Aufstiegs-Euphorie: Wer das abtötet, tötet den Fußball. Foto: dierotenbullen.com

Ich bin kein richtiger Leipziger. Ich bin nicht hier geboren und nicht hier aufgewachsen, und als kleiner Junge habe ich mich köstlich amüsiert, wenn ich irgendwo jemanden getroffen habe, der diesen putzigen Dialekt sprach. Aber ich habe jetzt mein gesamtes erwachsenes Leben in Leipzig verbracht. Ich habe diese Stadt ins Herz geschlossen. Ich will hier nicht mehr weg.

Ich bin kein richtiger RB-Fan. Ich stehe nicht in der Kurve, ich habe keinen Schal und kein Trikot. Aber ich liebe Fußball. Es gibt wenig, das ich nicht für einen guten Kick (als Spieler oder Zuschauer) stehen lassen würde. Ich freue mich, wenn RB Leipzig guten Fußball spielt, gewinnt und vielleicht irgendwann dafür sorgt, dass ich in meiner (Wahl-)Heimatstadt auch Bundesliga-Fußball im Stadion sehen kann.

In dieser Position, mit einer gewissen Sympathie für RBL und einer gewissen Distanz zum Fußballgeschehen, muss ich mich in diesen Tagen wundern. RB Leipzig hat, als Aufsteiger, einen Spieltag vor Saisonende bereits die sportliche Qualifikation für die Zweite Liga geschafft. Der Club bringt die nötige Infrastruktur mit, um dort mitzuspielen, ebenso wie – dank Großsponsor Red Bull – kerngesunde Finanzen. Doch die Deutsche Fußball-Liga, in der alle 36 derzeitigen Erst- und Zweitligisten organisiert sind, will den Leipzigern womöglich das Recht verwehren, in der Zweiten Liga mitzuspielen. Der Einfluss von Geldgeber Red Bull sei zu groß, lautet der Kern des Vorwurfs. Die DFL droht mit Verweigerung der Lizenz, Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz droht mit dem Ende seines Engagements in Leipzig, sollte dieser Fall eintreten.

Der Streit ist in den vergangenen Tagen eskaliert. Da mag viel Säbelrasseln dabei sein, vielleicht auch der Versuch, das Gesicht zu wahren, während hinter den Kulissen an einem Kompromiss gebastelt wird. Mit Vernunft ist es im Fußball zwar noch nie weit her gewesen. Aber als vernünftiger Mensch kann man in diesem Konflikt vor allem über das Verhalten der DFL nur den Kopf schütteln. Nüchtern betrachtet, ist völlig klar: Die DFL muss RB Leipzig die Lizenz erteilen. Aus vier Gründen.

1. Die DFL muss RB Leipzig die Lizenz aus juristischen Gründen erteilen.

RB Leipzig ist ein eingetragener Verein, genießt damit eine weitgehende Autonomie von der DFL. Wie viele Mitglieder muss es geben, wie nah dürfen sie dem Sponsor stehen, wie hoch dürfen die Mitgliedsbeiträge sein? Viele juristische Experten bezweifeln, dass die DFL da hineinreden darf, solange RB Leipzig die Regeln des Vereinsrechts einhält.

Mit der Rechtsform als Verein umgeht Leipzig auch die Anwendung der 50+1 Regel. Mit diesem Paragraphen will die Deutsche Fußball-Liga verhindern, dass Clubs im deutschen Profifußball auftauchen, die von einem Geldgeber gesteuert werden. Doch der Passus ist nur auf Kapitalgesellschaften anwendbar – und RB Leipzig ist keine Kapitalgesellschaft, sondern ein Verein.

Selbst wenn ein Gericht der Meinung wäre, die Regelung sei „vom Geiste her“ auf RB Leipzig anwendbar, wäre das heikel. Denn die 50+1-Regel ist seit jeher juristisch heftig umstritten. Die Fußballwelt musste in jüngerer Vergangenheit schon wiederholt erkennen, dass sie es sich nicht mehr als juristische Parallelgesellschaft gemütlich machen kann. Fifa, Uefa und nationale Verbände haben wiederholt Konstrukte geschaffen, die ihre Gepflogenheiten schützen, aber rechtlich nicht haltbar sind. Das Bosman-Urteil oder die Entscheidung des EuGH, dass wichtige Länderspiele nicht nur im Pay-TV zu sehen sein dürfen, sind Beispiele dafür. Wenn ein Kläger auftritt, der finanzkräftig und stolz genug ist (auf Dietrich Mateschitz trifft beides zu), den Paragraphen durch alle Instanzen hindurch anzufechten, muss die DFL befürchten, dass er kippt. Mit der 50+1-Regel haben die deutschen Proficlubs eine Schutzmauer um sich gezogen, die sie vor Übernahmen durch arabische Scheichs oder russische Oligarchen bewahren soll. Es könnte sich als klüger erweisen, in dieser Mauer eine Tür für RB Leipzig einzubauen statt den Einsturz des gesamten Schutzwalls zu riskieren.

2. Die DFL muss RB Leipzig die Lizenz aus wirtschaftlichen Gründen erteilen.

Mit Profifußball soll Geld verdient werden. Das gilt für die einzelnen Clubs, aber auch für die DFL insgesamt. Beim Blick auf die Entwicklung von RB Leipzig liegt auf der Hand: Mit dieser Mannschaft in der Bundesliga oder Zweiten Liga lässt sich mehr Geld verdienen als ohne diese Mannschaft. Wenn RB Leipzig in der Zweiten Liga oder Bundesliga spielen würde, müsste ein anderer Verein darunter leiden (dessen Platz dann von Leipzig eingenommen würde), aber 17 andere Vereine würden profitieren.

Leipzig hat die besten Zuschauerzahlen der Dritten Liga. Zum letzten Heimspiel der Saison kamen am vergangenen Samstag mehr als 42.000 Zuschauer. Nur ein einziges Zweitligaspiel (die Kölner Meisterparty gegen St. Pauli) zog an diesem Spieltag mehr Fans an, auch in der ersten Liga ging ein Drittel der Spiele (in Bremen, Freiburg und Braunschweig) vor kleinerem Publikum über die Bühne.

Hinter solcher Begeisterung steckt Kaufkraft, auch in den strukturschwachen neuen Ländern. Sollte RB Leipzig den Sprung in die erste Liga schaffen, könnte der Club über kurz oder lang den gesamten Fußball-Osten wieder an die Bundesliga andocken, die seit 2009 und dem Abstieg von Energie Cottbus eine Exklusiv-Veranstaltung der alten Länder geworden ist. Kein anderer Club hat eine derart gute Ausgangsposition, um daran etwas zu ändern und – im Finanzsprech der DFL-Verantwortlichen ausgedrückt – neue Absatzmärkte auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen zu erschließen.

Nicht zuletzt wäre eine Rote Karte für das Mateschitz-Projekt auch eine katastrophale Botschaft an Investoren. Sie würde lauten: Es lohnt sich in Deutschland nicht, Geld in den Fußball zu stecken – jedenfalls dann nicht, wenn man einen eigenen Plan verfolgt und selbst etwas aufbauen will. Red Bull hat genau diese Strategie verfolgt, hat deutlich mehr in Infrastrukturmaßnahmen wie Jugendarbeit oder Trainingsanlagen investiert als in Stars für die Mannschaft. Wenn solch ein, in allen Wirtschaftszweigen als vorbildlich gepriesener Weg, im deutschen Profifußball in die Sackgasse führt, dann wäre das ein fatales Signal. Im Finanzsprech der DFL würde das bedeuten: Das Marktvolumen für alle könnte viel größer sein, wenn man nicht so kleinlich darauf achten würde, dass bloß kein Emporkömmling ein Stückchen davon abbekommt.

3. Die DFL muss RB Leipzig die Lizenz aus sportlichen Gründen erteilen.

RB Leipzig ist im vergangenen Jahr ungeschlagen in die Dritte Liga aufgestiegen. Als Neuling hat die Mannschaft bereits Platz zwei in der Tasche, das morgige letzte Saisonspiel könnte noch die Meisterschaft bringen. Der Club hat die meisten Siege eingefahren und die meisten Tore aller 20 Drittligisten geschossen. Für alle, denen etwas an Fußball liegt, müssten diese Fakten ausreichen, um jeden Zweifel an der Legitimität der Zweitligazugehörigkeit auszuräumen.

Eine solche sportliche Leistung nicht mit dem Aufstieg zu belohnen, würde nicht nur dem Fair Play, sondern auch dem gesamten Geist des Fußballs widersprechen. Die angeblichen Gralshüter dieses Geistes sollten sich klar machen, dass sie sich womöglich für nichts anderes als Besitzstandswahrung einspannen lassen, wenn sie gegen RasenBallsport mobil machen. Wenn die DFL wirklich RB Leipzig nicht haben will, dann liegt das nicht daran, dass der Brauseclub das falsche Logo oder das falsche Gründungsjahr hat. Es liegt daran, dass die in der DFL organisierten Proficlubs befürchten, RB Leipzig könne vielleicht in ein paar Jahren im Europapokal spielen, während etablierte Bundesligisten wie Stuttgart, Frankfurt oder Mönchengladbach in die Röhre gucken.

Doch Aufsteiger hat es im Fußball immer gegeben. Neulinge, die die Liga aufmischen, Platzhirsche, die um ihr Revier bangen müssen – das macht letztlich den Reiz des Sports aus. Leipzig hat sich das Recht erspielt, sich in der Zweiten Liga zu beweisen. Mit einem potenten Sponsor, ja. Aber auch mit Einsatz, Klasse und Leidenschaft auf dem Platz. Wer das nicht honoriert, der macht – um einmal eine Lieblingsformel der RB-Gegner aufzugreifen – den Fußball kaputt.

RB Leipzig hat in der Stadt eine riesige Begeisterung entfacht – nicht für Energy-Drinks, nicht für österreichische Grandseigneurs, sondern für Fußball. Die Menschen in Leipzig sind hungrig auf guten Fußball, in kürzester Zeit hat es der Club geschafft, in einer an Fußball-Tradition wahrlich nicht armen Stadt (weil’s so schön ist, sei es noch mal erwähnt: hier wurde der DFB gegründet, aus Leipzig kam der ersten deutsche Fußballmeister, und dort, wo heute RBL spielt, stand jahrzehntelang die größte deutsche Fußballarena) so etwas wie Identifikation aufzubauen. All das sind die Werte, die sich angeblich auch die DFL auf die Fahnen geschrieben hat. Ich bin gespannt, wie die Verantwortlichen dort es dem kleinen Jungen mit RBL-Bettwäsche oder der Studentin, die sich schon eine Dauerkarte für die neue Saison gekauft hat, erklären wollen, sollte RB Leipzig 2014/15 nicht in der Zweiten Liga spielen.

4. Die DFL muss RB Leipzig die Lizenz aus gesellschaftlichen Gründen erteilen.

Der Erfolg von RB Leipzig in dieser Stadt hat, neben Erfolg und gutem Fußball, noch einen anderen Grund: Man kann jetzt in Leipzig ins Fußballstadion gehen, ohne Angst vor Hooligans oder Pyrotechnik haben zu müssen. Man kann kleine Kinder mitbringen, ohne die Sorge zu haben, sie würden durch die Parolen auf den Rängen dauerhaft in ihrer geistig-moralischen Entwicklung gestört. Auch damit ist der Club ein Vorbild, nicht nur für die Stadt, sondern für den gesamten Osten Deutschlands und die Arenen auch anderswo in der Republik.

Das gilt auch auf einer anderen Ebene: Red Bull hat in Leipzig enorm in die Jugendarbeit investiert. Das Engagement ist auf Nachhaltigkeit angelegt, und es ist erfolgreich. Der Newcomer hat (das gilt schon in der Dritten Liga, es würde noch mehr in den Spielklassen darüber gelten) nicht nur Spaß und Stolz, sondern auch jede Menge Wertschöpfung in die Stadt gebracht. RB Leipzig ist ein Paradebeispiel für gelungenen Aufbau Ost. Dieses Projekt nun einzustampfen – Dietrich Mateschitz hat angekündigt, diese Konsequenz zu ziehen, sollte die Lizenz nicht erteilt werden – wäre mehr als frustrierend für alle Beteiligten. Nach der Verschwörungstheorie, Funktionäre und Hasardeure aus dem Westen hätten nach der Wende den Ex-DDR-Fußball systematisch kaputt gemacht, würde für die Fußballfans im Osten eine neue, diesmal gerechtfertigte Dolchstoßlegende geschaffen.

Man muss aber nicht die Ossi-Karte ausspielen, um auf die moralische Fragwürdigkeit der DFL-Argumente hinzuweisen. Die DFL hat kein Problem mit Werksclubs wie Wolfsburg und Leverkusen. Sie hat kein Problem mit Vereinen, die von Gazprom bezahlt werden (Schalke), von Mäzenen wie Dietmar Hopp (Hoffenheim) oder Klaus-Michael Kühne (Hamburg). Sie hat kein Problem damit, wenn ein Verein womöglich jahrelang auf fragwürdige Weise mit Steuergeldern am Leben erhalten wurde, wie es jetzt im Falle des 1. FC Kaiserlautern diskutiert wird. Und sie hat auch nichts gegen Clubs, zu deren wichtigsten Geldgebern zwei Quasi-Staatskonzerne (Telekom, zu 31,9 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand; und Audi, als Teil der Volkswagen AG zu 20 Prozent im Besitz des Landes Niedersachsen) gehören: Jawohl, ich rede vom FC Bayern München. Die DFL hat nur ein Problem, wenn ein Unternehmer einen Fußballclub als Marketingmaßnahme groß machen will, völlig transparent.

All das zeigt, wie seltsam dieser Konflikt ist und wie kurzsichtig die Position der DFL anmutet. Es zeigt, wie viel Sprengstoff in dieser Entscheidung steckt, und es zeigt auch, wie sehr Fußball-Fans, die „Tradition“ und „Fußballkultur“ damit verwechseln, dass alles immer so bleiben soll wie es ist, in diesem Konflikt instrumentalisiert werden. Wenn die etablierten Vereine nicht wollen, dass RB Leipzig in der Zweiten Liga mitspielt, dann haben sie ein ganz einfaches Mittel, um dieses Ziel zu erreichen: Sie sollten RB Leipzig besiegen. In der nächsten Saison. Auf dem Platz.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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