Durchgelesen: Stefan Gärtner – „Putins Weiber“

Autor Stefan Gärtner

Cover des Romans "Putins Weiber" von Stefan Gärtner
Der Titelheld in „Putins Weiber“ lebt die Unentschlossenheit.
Titel Putins Weiber
Verlag Rowohlt
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Ich mag Stefan Gärtner. Er hat in seinen Jahren als Titanic-Redakteur (1999-2009) reichlich Lacher in die Welt gebracht. Er schafft es, in seinem Kurzlebenslauf die geheimnisvoll anmutende Passage „studierte Geisteswissenschaftliches in Mainz und New York“ unterzubringen. Und er hat mir in einem Interview einmal beigebracht, was man an Guido Westerwelle sympathisch finden könnte.

Mit seinem literarischen Debüt macht er es mir (und allen anderen Rezensenten) allerdings schwer. Ist Putins Weiber ein guter Roman? Die Frage ist schnell beantwortet: ja, eindeutig. Sicher will der geneigte Leser aber auch noch wissen, woran das liegt. Und das ist schon weitaus schwieriger auf den Punkt zu bringen. Man könnte schreiben: Dieser Roman lebt von einem sehr hintersinnigen Humor. Man könnte Stefan Gärtners Schreibe „frech und aggressiv“ finden, wie die FAZ das getan hat. All das trifft zu. Aber auf der Ebene darunter wird es schwierig, dieses Buch zu fassen zu kriegen.

Das liegt vor allem an einer Hauptfigur, die so etwas wie die personifizierte Unentschlossenheit ist. Waldemar Winkelhock, genannt Putin, ist Mitte 30 und lebt von einer Tätigkeit als Autor, deren einziger wirklicher Output eine bitterböse Kolumne in einer Fernsehzeitschrift ist. „Er (…) sieht im Waschspiegel den Jungen, der einmal welterschütternde Abenteuer erwartet hat, aber immer nur der geblieben ist, dem nichts und niemand die ungeheure Leistung vergilt, die der vollbringt, der gar nichts tut“, lautet an einer Stelle seine Selbstbeschreibung. Schon vorher attestiert er sich: „Er schläft zu viel, trinkt zu viel, zögert zuviel, hadert zuviel; er ist nicht dicht und hat alles Recht, auch ohne Voranmeldung um Hilfe nachzusuchen. Er ist ein Notfall.“

Zu Beginn des Buches kommt seine Freundin Vera von einer Tagung zurück und gesteht ihm, dass sie dort mit einem anderen Mann im Bett war. Weil sie ein schlechtes Gewissen hat und Putin die Zeit geben will, diesen Fehltritt zu verarbeiten, schlägt sie eine Beziehungsauszeit vor. Mehr noch: Sie bietet an, nun dürfe auch Putin sie einmal betrügen. „Ich glaube, sie glaubt, dass das mit uns so lange nicht wieder funktioniert, bis ich… was weiß ich … gleichgezogen habe“, erklärt er seinem besten Freund Georg diesen verwirrenden Vorschlag, als er emotionalen Beistand sucht.

Georg allerdings findet Veras Idee ganz großartig. Gedanklich gehen die beiden Freunde Putins Weiber durch und überlegen, welche ehemalige Flamme wohl für einen offiziell legitimierten Seitensprung zur Verfügung stehen könnte. Allerdings war Putin bisher nicht gerade ein Casanova. Das einzige, was seine erotische Biografie in der Zeit vor Vera zu bieten hat, sind verpasste Möglichkeiten aus der Studentenzeit mit jungen Frauen, die Putin durchaus zugeneigt waren, aber vergeblich auf seine Initiative warten mussten, so dass nie etwas daraus wurde.

Das will Putin nun nachholen. Er macht sich auf die Suche und findet Mareike, mittlerweile Psychotherapeutin in Frankfurt, Marie, Ehefrau und Mutter in der Eifel, und Mimi, deren Spuren sich erst auf wenig jugendfreien Seiten im Internet und dann in Finnland finden.

Diese Ausgangssituation erinnert an Nick Hornbys High Fidelity. Die Frage, die Putin umtreibt, ist allerdings nicht so sehr: Warum hat sie mich damals nicht gewollt? Sondern vielmehr: Was wäre aus uns, vor allem aus mir, geworden, wenn es geklappt hätte? Wo, wer und wie wäre ich jetzt? Und wäre mein hypothetisches Dasein besser als das reale Leben in Bielefeld, wo Putin jetzt alleine hockt und die schlechte Musik seines Nachbarn ertragen muss?

Dieses Spekulieren über Schicksal und Mutlosigkeit, Entscheidungen und deren Umgehung, prägt die Atmosphäre von Putins Weiber. Gärtner trägt mit einigen Kniffen dazu bei, dass diese Verwirrung nicht nur seinen Titelhelden heimsucht, sondern auch den Leser. In einem Kapitel erzählt Putin plötzlich aus der Ich-Perspektive, die danach nie mehr aufgegriffen wird. Immer mal wieder streut der Autor kleine Absurditäten des Lebens ein, die nicht zwingend in diesen Roman gehören, die er aber irgendwo beobachtet und offensichtlich für Wert befunden hat, weitergetragen zu werden. Es gibt Zeitsprünge und Ortswechsel, die nicht anmoderiert werden. All das geschieht offensichtlich mit dem Ziel der permanenten Verunsicherung, die das Thema dieses Romans ist.

Putin ist jemand, der sich hoffnungslos in seinen Gedankenspaziergängen verliert wie die (Anti-)Helden von Wilhelm Genazino. Der Witz in diesem Buch entsteht auch durch den oft steifen, manchmal gestelzten Ton, den er dabei wählt und der sich natürlich mit seiner kaum vorhandenen Produktivität (literarisch und sexuell) beißt. Gärtner schafft es dabei, das pralle Leben beim prolligen Gartenfest im Hinterhof ebenso einzufangen wie beinahe philosophische Debatten; sein Humor kann grobschlächtig sein und kalauernd, aber auch subtil und – besonders gerne – tiefschwarz.

Dieser Humor ist zudem fast immer (was dann doch erstaunt bei einem Satiriker) wertneutral und von großer Sympathie für seine Figuren getragen. Das Buch maßt sich nicht an, Entscheidungen einzufordern, wo Abwarten möglich wäre oder gar festzulegen, was richtig oder falsch wäre. Damit folgt der Roman einer wunderbaren Erkenntnis, die Putin in einer Szene auf einer Parkbank (übrigens im Vollrausch) entwickelt: Entscheidungen können immer auch Fehler sein. Alles, was unser Leben ausmacht, ist nur deshalb geschehen, weil wir uns (womöglich irrtümlich) dafür und somit zugleich gegen etwas anderes entschieden haben. Im extremsten Fall bedeutet das: Unser ganzes Leben ist auf einer Kette von Fehlentscheidungen aufgebaut, und trotzdem ist es unser Leben. Vielleicht beruht sogar alles, was existiert, auf einem Fehler. Dem Ur-Fehler am Anfang aller Zeiten.

Bestes Zitat: „Vielleicht war es eine Quatschidee, und vielleicht wäre alles wunderbar schiefgegangen, und mein Leben wäre heute keinen Deut anders als es ist. Und trotzdem werde ich immer die sein, die es nicht probiert hat. Ich habe ihn nie vergessen. Und ich frage mich jeden Tag, ob es nun gut oder schlecht ist, dass ich den größten Fehler meines Lebens schon gemacht habe.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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