Vieles an My Big Day wirkt auf dem Papier sehr reif. Die Platte, die am 20. Oktober erscheinen wird, ist bereits das sechste Album von Bombay Bicycle Club. Sie haben sich drei Jahre dafür Zeit genommen. Frontmann Jack Steadman hat selbst produziert, im eigenen Studio der Band. Aufgenommen hat das Quartett in den Church Studios zuhause in London. Dass der Sänger nun im Video zur neuen Single Turn The World On (****) in einem Kinderzimmer mit Spielzeug-Autos, Soldatenfiguren und Dinosauriern sitzt, ist trotzdem kein Widerspruch: Steadman ist – ebenso wie weitere Bandmitglieder – während der Arbeit an My Big Day zum ersten Mal Vater geworden und singt in diesem Stück darüber. „Turn The World On ist der letzte Song, den Jack für das Album geschrieben hat, und auch der persönlichste. (…) Es ist eine Reflexion über das Elternwerden und die Hoffnung der Jugend“, teilt die Band mit. Letzteres hört man in der niedlichen Stimme und der heiter-optimistischen Grundstimmung. Wie alle guten Momente bei Bombay Bicycle Club ist der Song verspielt, aber mit dem nötigen Punch ausgestattet, intelligent, aber nicht sperrig. Als Gäste auf dem neuen Album kündigen sie Damon Albarn, Holly Humberstone, Nilüfer Yanya und Jay Som an, außerdem einen bisher noch geheim gehaltenen Act. Überraschungen mögen die vier Engländer momentan offensichtlich ohnehin besonders gerne: Zuletzt spielten sie „Karaoke“-Shows für Fans, nun wird es Auftritte in ausgewählten Plattenläden in Cardiff, Leeds, London und Brighton geben, bei denen man Tickets zu vier intimen, akustischen Spontan-Konzerten an ungewöhnlichen Orten gewinnen kann.
Eine fette Überraschung war auch die Show von K.I.Z. gestern auf dem Hamburger Heiligengeistfeld im Rahmen des Reeperbahn Festivals. Das Trio lockte dort in Windeseile ein paar Tausend Fans an und präsentierte zudem den ersten neuen Song seit zwei Jahren: Görlitzer Park (***1/2), zugleich Titel des neuen Albums (auf das man allerdings noch bis 21. Juni 2024 warten muss). Das Stück ist nicht nur wegen der Live-Kulisse im Video sehr eindrucksvoll und erfüllt alles, was man von neuem Material des Trios erhoffen durfte: Es ist engagiert, hart, aktuell, schonungslos und nie belehrend. Weiterhin wissen K.I.Z. zum Glück nicht nur genau, wo sie herkommen, sondern unverkennbar auch, wo sie hinwollen.
Vom Weltuntergang haben K.I.Z. bekanntlich schon 2015 ein Lied gesungen, nun hat Enno Bunger das Thema für sich entdeckt und verknüpft in der gleichnamigen Single (****) die Angst vor der Klimakatastrophe mit einem Flirt im Club. „Alles hört auf / komm, wir fangen was an“, lautet die Zusammenfassung dieser Konstellation, und natürlich bietet das Lied noch weitere tolle Zeilen wie „Vielleicht sind wir nicht mehr zu retten / vielleicht nur einen Abend lang.“ Musikalisch setzt er das mit einem zunächst gedämpften Electrobeat und einer New-Order-Gitarre um, was im Ergebnis ziemlich umwerfend wird für einen Song mit so viel Nonchalance. Weltuntergang (Alles hört auf) ist zugleich der erste Vorbote für sein fünftes Studioalbum, dessen Veröffentlichung für Januar geplant ist.
Girl Scout bleiben vorerst beim EP-Format. Nach Real Life Human Garbage folgt am 27. September Granny Music, und die daraus ausgekoppelte Single Bruises (****) zeigt, dass das schwedische Quartett weiterhin offensichtlich alles richtig macht. Der Gesang von Emma Jansson ist höchst beeindruckend, dazu kommen eine tolle Dramaturgie und eine feine Balance aus Sensibilität und Kraft, Leidenschaft und Romantik. „Bruises ist ein Song darüber, dass man irgendwann merkt, dass alle Erwachsenen um einen herum auch nur Kinder in einem alten Körper sind. Es geht darum, die Fehler und Verfehlungen der Leute, mit denen man sich umgibt, zu verstehen und darüber hinweg zu sehen. Der Song soll mich daran erinnern, dass ich öfter mit Liebe und Geduld reagieren sollte, nicht mit Wut oder Ärger“, sagt Songschreiber und Gitarrist Viktor Spasov.
Über das Ruhrgebiet (dort ist sie aufgewachsen) und Kiel (dort hat sie Psychologie studiert) führte der Weg von Katja Seiffert alias Blush Always nach Leipzig. Am 5. Oktober wird sie dort im wundervollen Ilses Erika ihr Debütalbum You Deserve Romance vorstellen, das nächste Woche erscheint. Die famose Vorab-Single Virtual For You (****) ist ein Beispiel dafür, wie gekonnt sie Wut und Schmerz aus der Grunge-Ästhetik mit einem konstruktiven und zugänglichen Sound kombiniert, der an My Ugly Clementine denken lässt. Wer die Release-Show in Leipzig verpasst, hat zwei Tage später in Kiel noch eine Chance, dort sind dann vielleicht auch die Jungs von Leoniden im Publikum, die Blush Always bereits bei den ersten Karriereschritten unterstützt haben.
