Gregor McEwan Going Solo

Gregor McEwan – „Going Solo“

Künstler*in Gregor McEwan

Gregor McEwan Going Solo Review Kritik
Nur Gitarre und Gesang gibt es auf „Going Solo“.
Album Going Solo
Label Rewind Retrack Recording
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Foto oben: (C) Timothy O’Sweebe

Einer von acht Jobs in der Gastronomie ist durch die Corona-Pandemie weggefallen. In Kneipen und Bars ist der Wert sogar noch höher: Sie beschäftigten 2022 rund 21 Prozent weniger Personal als drei Jahre zuvor. Natürlich gibt es dort weiterhin mehr als genug zu tun. Aber viele Mitarbeitende, die während der Zwangsschließungen im Lockdown auf der Straße standen, haben sich umorientiert und sind nicht in die Gastronomie zurückgekehrt. Sie haben andere Branchen gefunden, die ihnen mehr Perspektiven, Wertschätzung und Sicherheit versprechen.

Man hätte verstehen können, wenn auch Gregor McEwan diesen Schritt geht. Als Musiker und Mitarbeiter einer Konzertagentur war er beruflich gleich doppelt hart von den Covid-19-Einschränkungen getroffen. Er konnte nicht auf Tour gehen und auch keine Shows für andere Acts organisieren. Er war zur Untätigkeit gezwungen, ohne einen großen Teil seiner üblichen Kontakte und verlor obdendrein seine Einkommensquellen. Man hört seinem heute erscheinenden fünften Album an, wie sehr das an ihm gezehrt hat. Die Frage, ob und wie das alles noch Sinn macht, hat er sich eindeutig gleich mehrfach gestellt. Und mit Going Solo sehr überzeugend beantwortet.

Der 40-Jährige, der bürgerlich Hagen Siems heißt, ist unlängst aus Berlin (wo Going Solo noch mit Thies Neu aufgenommen wurde) nach Ostfriesland gezogen und zeigt auf dieser Platte deutlich mehr Ernsthaftigkeit als bisher, nicht nur durch die spartanische Ästhetik. Live setzt er gerne Loops und Effektgeräte ein, auf den vorherigen Veröffentlichungen bot er teils sehr ausgefeilte Arrangements. Diesmal gibt es nur Gesang und Westergitarre. „Ein richtig klassisches Soloalbum“ nennt er das, was zugleich den Albumtitel erklärt. Dass Johnny Cash, dessen American Recordings er als Referenz benennt, solche auf den absoluten Ursprung der Musik reduzierten Platten erst kurz vor seinem Tod gemacht hat, und beispielsweise Bruce Springsteen mit Nebraska einen ähnlichen Ansatz verfolgte, als er in einer Sinnkrise steckte, unterstreicht die Tatsache, dass dieses Werk in einer Ausnahmesituation entstanden ist.

Schnell wird dabei klar: Gregor McEwan, von Linus Volkmann im Pressetext zur Platte treffend als „einer der besten Songwriter des Landes“ gepriesen, singt auch deshalb so oft über ausgefallene Konzerte, das Songschreiben oder die prekären Lebensumstände als Künstler, weil dies eben sein Leben ist. Er zweifelt und hadert und kämpft, weil sein Herz an dieser Sache hängt, weil er schon so viel dafür gegeben hat und weil er weiß, dass Lieder eben sein Mittel sind, sich auszudrücken und die Welt zu bewältigen.

(To You) CEO, Bitch eröffnet die Platte, es ist gerichtet an Daniel Ek, den Gründer von Spotify, der mit seinem Streaming-Dienst zwar sehr vielen Musiker*innen eine globale Plattform bietet, sie zugleich aber kaum am finanziellen Erlös partizipieren lässt und überdies Klicks zu einem Maßstab gemacht hat, der mittlerweile auf die Musik selbst zurückwirkt. Alles, was nicht sofort funktioniert, für die kürzeste denkbare Aufmerksamkeitsspanne, hat keine realistische Chance mehr auf Wahrnehmung. Eine Platte wie Going Solo, die von Zwischentönen und Details lebt, ist also auch so etwas wie eine Kriegserklärung an den Skip-Button.

Anthem For The Year 2020, dessen Titel auf Silverchair anspielt, erweist sich als wunderbare Reflexion über die Pandemie-Monate, deren Wahrnehmung nicht nur bei Gregor McEwan höchst ambivalent war: So willkommen die Möglichkeit war, herunterzukommen, zu entschleunigen und Dinge neu zu priorisieren, so bedrückend war das Verschwinden vieler Kontakte und so beunruhigend die Frage, was Corona auf lange Sicht mit uns, unserem privaten und beruflichen Umfeld und der Gesellschaft macht. “2020, just go and fuck yourself / I don’t ever want to see you again”, lautet das Fazit.

Die Mundharmonika in diesem Lied ist ein seltener Farbtupfer in der Klangwelt des Albums, ebenso wie die wenigen Tamburin-Schläge im Hintergrund bei Upside Down, das nicht nur mit Liam Gallaghers Lieblingsinstrument, sondern auch im Text eine Referenz zu Oasis einbaut. Passend dazu hätte ein Song wie 60 BPM (darin gibt es Anspielungen auf Duran Duran und Neil Young) bestens aufs neue Album von Noel Gallagher gepasst, hätte man ein bombastisches Arrangement dazugepackt. Talking, das vor lauter Sehnsucht ganz verloren wirkt, könnte man sich von (ebenfalls unterschätzten) Singer-Songwriter-Helden wie Kristofer Åström oder Badly Drawn Boy vorstellen, ein Lied wie Being And Becoming ist zwar kein Highlight des Albums, zeigt gerade damit aber das enorm hohe Qualitätslevel auf Going Solo.

Man kann staunen, wie vielfältig diese Platte ist und wie viel Dynamik mit nur einem einzigen Instrument entsteht. Windows Done, Volume Up erzeugt eine sehr dichte Atmosphäre, Halo: Reach nutzt unter anderem den Verweis auf Computerspiele, um von einer großen, nicht zu fassenden Liebe zu erzählen, 1 2 3 4 5 6 7 baut mit einem Open Tuning und vor allem mit dem Gesang viel Spannung auf, bis wieder einer der Momente erreicht ist, in denen man kurz befürchten muss, die Stimme von Gregor McEwan könne sich in Hulk verwandeln.

Es ein tatsächlich noch schöneres Liebeslied erweist sich My Little Girl. Mit Zeilen wie „No certainties, no stable income, too small to succeed, too big to be gone“ besingt er die Universalität der Liebe, die keine der Parameter braucht (Status, Intellekt, Vermögen), die sonst in unserer Welt so gerne zur Bewertung herangezogen werden, und die Wichtigkeit des immerwährenden Interesses aneinander, das eine Beziehung glücken lässt: “I don’t know anything / about life in this world / but I know most everything / about you, my little girl.”

The End beschließt das Album mit einem weiteren sehr klaren Corona-Bezug. “Ich habe The End während der Pandemie und insbesondere mit Blick auf die Klimakrise und politische Entscheidungsträger geschrieben”, erzählt Gregor McEwan. Erstaunlich ist dabei nicht nur, wie viele globale Problemfelder er in diese 150 Sekunden zu packen vermag, sondern auch hier wieder die sehr gekonnte Dramaturgie, die mit tollem Gitarrenpicking und einer besonders zerbrechlichen Stimme beginnt, bis der Track zwischendurch übersteuert, so als würde dem Künstler der Kopf fast explodieren vor lauter Wut auf Impfgegner und etliche Deppen anderer Art.

„I have a vision / of love not suspicion / maybe we can all get along“, lauten ein paar Verse in The End, die einen weiteren wichtigen Hinweis darauf geben, warum sich Gregor McEwan während der krisenreichen Covid-Monate nicht von seinem Metier verabschiedet hat. Er ist ein Künstler, der vielleicht auch in der Prä-Online-Ära nicht erfolgreicher gewesen wäre und nicht von seiner Musik hätte leben können (die Produktion der Platte wurde unter anderem durch Fördermittel aus dem staatlichen „Neustart Kultur“-Programm möglich). Aber darum geht es nicht. Es geht um Leidenschaft und Überzeugung für diese „Musik für all die Untiefen da draußen und drinnen“ (Linus Volkmann), für diese Lieder, die Moral und Mitgefühl einfordern. Dass auf Going Solo nichts von der Konzentration auf diesen Kern seiner Kunst ablenkt, macht ihn noch einzigartiger.

Auch sehr spartanisch: das Video zu Halo:Reach.

Website von Gregor McEwan.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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