Bettina Köster – “Kolonel Silvertop”

Künstler Bettina Köster

Kolonel Silvertop Bettina Köster Album Kritik
“Kolonel Silvertop” sollte eigentlich ein Best-Of-Album werden.
Album Kolonel Silvertop
Label Pale Music
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Eigentlich wollte Bettina Köster, einst Sängerin bei Malaria! (Kaltes klares Wasser), Underground-Heldin und Stilikone, ein Best Of ihrer Karriere zusammenstellen und nur eine handvoll neuer Lieder dazu schreiben. Dann wurde die 58-Jährige von der Kreativität übermannt, sodass in Zusammenarbeit mit den Produzenten Ingo Kraus (ehemals Conny Plank Studio) und Rene Tinner (Fraeulein Studio) gleich ein ganzes Album namens Kolonel Silvertop entstand, das vorgestern erschienen ist.

Zwei Lieder lang wünscht man sich, die Sängerin hätte es bei der Werkschau belassen. Denn den Auftakt der Platte macht 1959 und klingt, als lese sie halbwegs unmotiviert Auszüge aus dem Wikipedia-Eintrag zu diesem Jahr vor. Es folgt Friday und verstärkt den Eindruck, dass sie nicht viel zu erzählen hat, begleitet von ebenfalls unentschlossener Musik.

Doch dann kommt, zum Glück, Der Novak und stellt die Weichen für ein sehr außergewöhnliches Album. Faszinierend war dieser Chanson schon im Original (das in den 1950er Jahren zumindest in Bayern wegen Amoralität auf dem Index stand), aber auch die aktuelle Umsetzung mit dieser unnachahmlichen Stimme und einer angedeuteten Reggae-Atmosphäre ist einzigartig.

Nicht nur in diesem Lied versteht man, was Bettina Köster einst den Ehrentitel als „Hildegard-Knef des Punk“ (Der Standard) einbrachte. Das folgende Flagging ist aggressiv und kompromisslos, nicht ganz so sehr wie Atari Teenage Riot, aber immerhin wie The Prodigy. Rain And Thunder hat einen sehr stoischen Beat, aber trotzdem eine prickelnde Atmosphäre. Underground World scheint zunächst ein solider Beinahe-Rocksong zu sein, bis die atonalen Ausbrüche am Ende andeuten, dass der Track mit diesem Attribut wohl ein ernstes Problem hätte, weil er viel mehr sein will als das.

„Zwischen Berliner Underground, italienischer Entspanntheit und New Yorker Andersartigkeit sind Lieder entstanden, die sich weigern, nebenher gehört zu werden. Diese Verweigerung gegenüber jeder Schublade verleiht Kolonel Silvertop einen musikalischen Charme, wie man ihn heutzutage nur noch selten erlebt“, hat die Teleschau über dieses Album geschrieben. Das schlimme Wort „heutzutage“ ist dabei fast angemessen, denn die Vergangenheit spielt eine wichtige Rolle in den neuen Liedern von Bettina Köster.

Zum einen gilt das für ihre Begleitband, zu der alte Wegbegleiter wie Christine Hahn (Malaria), Klaus Krüger (Tangerine Dream) und Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten) zählen. Zum anderen zeigt sich dieses Thema immer wieder auch in den Texten. Im Sad Song kennt die „Queen of Noise“ (John Peel) nichts als Verlorenheit, in Til The End Of Time gibt es als überraschende Zutaten eine akustische Gitarre, ein verwehtes Echo und am Ende ein Akkordeon. Silvertop ist eine wunderbare Liebeserklärung mit der schönsten Zeile des Albums: „I wanna do to you / what springtime does to cherry trees.“

Der Titelheld taucht noch einmal auf. The Great Silvertop thematisiert, wie unwirklich sich manchmal ein kleiner Moment des Glücks anfühlen kann, zeigt aber auch: Nach dem Erwachen aus diesem Moment bleibt womöglich Trauer, in jedem Fall aber Sehnsucht. Dazu gibt es weder einen Beat noch sonst etwas, was einer klassischen Instrumentierung entsprechen würde. Der Schlusspunkt Where Do You Go To ist hier im Prinzip ein Chanson, vielleicht schon immer einer gewesen. Und A Hop And A Skip reflektiert darüber, wie schnell das Schicksal zuschlagen kann, wie schnell wir aber auch zugreifen müssen, wenn es uns unverhofft eine Gelegenheit offeriert. Wie bei The Great Silvertop ist das dahinterstehende Motiv die Vergänglichkeit – und damit hat sich Bettina Köster noch einen weiteren Ehrentitel verdient: die deutsche Marianne Faithful.

Der Novak live im Berliner Marie Antoinette.

Bettina Köster bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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