Künstler*in | Ellie Goulding | |
Album | Delirium | |
Label | Polydor | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Für den Titel ihres dritten Albums hat Ellie Goulding eine sehr einleuchtende Erklärung. Die Platte heißt Delirium, weil dieses Wort treffend zusammenfasst, was sie in ihrer bisherigen Karriere erlebt hat. „Es kann sich auf einen absolut euphorischen, fast schon verrückten Gefühlszustand beziehen. Oder eben auf das genaue Gegenteil davon. Ich befinde mich permanent in diesem Zustand”, sagt die 28-Jährige, die beide Vorgänger an die Spitze der Charts in ihrer englischen Heimat gebracht, weltweit 20 Millionen Tonträger verkauft und zwei Brit Awards gewonnen hat.
Eine klare Vorgabe für Delirium hat Ellie Goulding auch: „Ein Teil von mir sieht dieses Album als Experiment, als den Versuch, ein wirklich großes Pop-Album aufzunehmen. Ich habe den bewussten Entschluss gefasst, damit auf ein neues Level zu kommen.”
Es ist ein großes Ziel, und – soviel vorab – sie verfehlt es. Delirium ist modern, aber nicht innovativ. Ambitioniert, aber nicht futuristisch. Es ist eine Platte, die nicht nach der nächsten Evolutionsstufe von Popmusik klingt, sondern durch und durch nach 2015. Dazu passt, dass die Songs in diversen Pop-Hotspots aufgenommen wurden (London, Stockholm, Los Angeles und, ähm, Ellies Heimatstadt Herefordshire). Dazu passt eine sehr vorzeigbare Auswahl an aktuellen Hitproduzenten als Songwriting-Partnern. Dazu passt, dass alles enorm ausgetüftelt ist. Dazu passt auch eine Vermarktungsstrategie, die mehrere Vorab-Tracks beinhaltet und das ach so provokante Cover mit einer halbnackten Ellie Goulding.
Eine Enttäuschung ist Delirium allerdings nur, wenn man (wie die Künstlerin selbst) mehr erwartet als gute, zeitgemäße Popsongs. Denn davon gibt es, wie stets bei Ellie Goulding, auf dieser Platte mehr als genug. Aftertaste ist groß, hymnisch, glamourös und selbstbewusst – und damit durchaus typisch für die Mentalität dieses Albums. Auch Something In The Way You Move ist sehr gut, sehr wirkungsvoll und sehr intelligent.
Love Me Like You Do macht großen Spaß und würde das wohl auch in zwei Jahren noch machen, sollte man dann (was nicht unbedingt zu erwarten ist) noch auf die Idee kommen, das Stück noch einmal aufzulegen. Der Song klingt wie der Prototyp eines Hits anno 2015, auch dann, wenn man nicht wissen sollte, dass er Platz 1 der Charts in 70 (!) Ländern erreicht hatte, als er als Single aus dem Fifty Shades Of Grey-Soundtrack ausgekoppelt wurde. Holding On For Life ist musikalisch eher konventionell, wird aber von der Dringlichkeit im Gesang veredelt, die man bei einem Songtitel wie diesem auch erwarten kann, die aber trotzdem beileibe keine Selbstverständlichkeit ist.
Andere Stellen offenbaren den Willen, etwas Außergewöhnliches zu bewerkstelligen, was allerdings nicht immer funktioniert. Das Intro zeigt wieder einmal, wie überflüssig 99 Prozent aller Intros sind. Keep On Dancin’, das sie mit Ryan Tedder (OneRepublic) geschrieben hat, verlässt sich eine knappe Minute nur auf ihre Stimme und traut sich auch danach Einiges, allerdings gilt leider auch hier nicht die alte Weisheit vom „Wer wagt, gewinnt.“ Scream It Out, der einzige Track, bei dem ihr langjähriger Songwriting-Partner Jim Eliot zur Seite stand, ist eher eine hohle Geste als ein majestätischer Schlusspunkt für diese Platte.
Schon deutlich besser gelingt We Can’t Move To This, einer von fünf Songs, der gemeinsam mit Greg Kurstin (Lily Allen) entstanden ist. Allein, was da alles mit der Stimme angestellt wird, ist ziemlich erstaunlich, dazu kommt noch ein mächtiger Beat. Auch die mit Max Martin geschriebene Single On My Mind ist ambitioniert und mutig, von der Police-Gedächtnis-Gitarre in der Strophe über den vergleichsweise dezenten Beat bis zum Refrain, der eher Lautmalerei als Slogan ist. Ein ungewöhnlicher Höhepunkt ist auch Army, in dem man die Folk-Ursprünge von Ellie Goulding meint heraushören zu können. Mit seiner unverstellten Emotionalität und dem eher akustischen Sound wird diese Hymne an die beste Freundin (“When I’m with you / I’m standing with an army”, lautet der Refrain) ein angenehmer Kontrapunkt zum oft etwas zu coolen Rest von Delirium.
Was eher stört als die Experimente, ist die Austauschbarkeit einiger Stücke auf dieser Platte. Around U ist eingängig und energisch, aber ebenso Fließbandware wie Lost And Found, das viel zu harmlos und gefällig gerät. Codes könnte genauso gut von Katy oder Miley oder RiRi sein. Don’t Need Nobody klingt wie sein eigener Club-Remix, Don’t Panic und Devotion hören sich schon beim ersten Durchlauf an, als habe man sie schon dreimal in diesem Jahr gehört, von Ellie Goulding oder irgendeiner anderen Sängerin.
Natürlich ist das ein Problem, mit dem fast alle Pop-Prinzessinnen zu kämpfen haben, die auf die Zuarbeit von Hitproduzenten setzen. Bei Ellie Goulding ist man dennoch ein wenig mehr von diesem Effekt beleidigt als bei anderen. Nicht nur, weil sie sich selbst für Delirium höhere Maßstäbe gesetzt hatte, sondern auch, weil ihre ersten Platten etwas versprochen hatten, was hier bei aller Professionalität und Kurzweil fehlt: Magie.
Ellie Goulding singt Love Me Like You Do live beim Pukkelpop.
https://www.youtube.com/watch?v=WgqwAQX6aW0
Ellie gibt es 2016 live in Deutschland:
21.01.2016 Hamburg, Barclaycard Arena
22.01.2016 Berlin, Max-Schmeling-Halle
25.01.2016 Frankfurt, Jahrhunderthalle
27.01.2016 Stuttgart, Porsche Arena
02.02.2016 München, Olympiahalle
26.02.2016 Oberhausen, König-Pilsener-Arena