Florence & The Machine – „How Big, How Blue, How Beautiful“

Künstler Florence & The Machine

Cover des Albums "How Big, How Blue, How Beautiful" von Florence And The Machine
Deutlich persönlicher als früher sind die Texte auf dem dritten Album von Florence.
Album How Big, How Blue, How Beautiful
Label Island
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Man könnte behaupten, dass Florence Welch in den bisherigen 28 Jahren ihres Lebens wenig falsch gemacht hat. Ihr Debütalbum erreichte 2009 die Spitze der UK-Charts, der Nachfolger ebenso. Sie hat es geschafft, mit 21 ein gefeierter Popstar zu werden und sich dennoch keine nennenswerten Aussetzer zu leisten – in der Zeit seitdem ist sie einfach bloß immer mehr zu einer Ikone geworden.

Nun ist How Big, How Blue, How Beautiful da, ihre dritte Platte. Wieder erreichte das Album mühelos Platz 1 der Charts, nicht nur in ihrer englischen Heimat, sondern auch in sieben weiteren Ländern, darunter den USA. Florence Welch ist mittlerweile so berühmt, dass sie am kommenden Freitag die Foo Fighters als Headliner beim Glastonbury-Festival ersetzen wird, die wegen des Beinbruchs von Dave Grohl nicht spielen können.

Hört man How Big, How Blue, How Beautiful, kann man sich trotzdem nicht des Eindrucks erwehren, dass ihr diesmal ein Fehler passiert ist. Und zwar bei der Wahl des Produzenten. Sie hat sich Markus Dravs (Arcade Fire, Coldplay) herausgesucht, den sie vor allem für seine Arbeit auf Homogenic von Björk schätzt. „Ich hatte einfach den Eindruck, dass bei ihm die Balance zwischen organischen und elektronischen Elementen stimmt – er versteht es einfach, diese beiden Welten perfekt zu vereinen. Na ja, und richtig satt klingen seine Produktionen ja auch, und ich stehe nun mal auf diese ‚Big Sounds’. Mehr noch: Mit Trompeten kennt er sich auch aus, und ich wollte auf diesem Album unbedingt mit ganz vielen Bläsern arbeiten“, sagt sie und ergänzt: „Zusammen mit Markus wollte ich einen Sound kreieren, der opulent und massiv ist, aber zugleich auch irgendwie sanft klingt.“

Genau dieser Versuch ist es, an dem die Musik von Florence & The Machine diesmal krankt. Der Titelsong ist, wie passend, ein gutes Beispiel dafür. How Big, How Blue, How Beautiful kann sich nicht entscheiden, ob es mit seinem aufwändigen Bläser-Arrangement glamourös und üppig oder mit seiner Seventies-Rock-DNA geerdet und melancholisch sein will. Florence ist dennoch begeistert: „Wie die Trompeten, die ganz am Schluss des Songs kommen – genau so fühlt sich die Liebe für mich an. Wie ein endloser Bläser-Part, der abhebt in den Orbit. Und einen dabei mitnimmt“, sagt sie. „Wie in einer anderen Sphäre fühlt sich das an. Und genau dieses Gefühl gibt mir auch die Musik. Man will einfach nur, dass sie nie aufhört, immer weiter läuft – und das Gefühl ist einfach der Hammer.“

Auch an anderen Stellen bemerkt man gelegentlich den Versuch, eher durchschnittliche Songs durch bombastische Streicher und Bläser aufzuplustern. Queen Of Peace ist so ein Fall: Das Lied klingt, als würden Florence & The Machine mit den vor 20 Jahren modernen Mitteln von Texas einen der penetrant-plakativen Songs von Loreen interpretieren und so etwas wie eine Kreuzung aus Summer Son und Euphoria fabrizieren. Mother ist ein angemessen epischer Schlusspunkt für das Album (und wahrscheinlich auch für die Glastonbury-Show). Wenn die Fans vom Festival zurück und wieder nüchtern sind, werden sie aber womöglich feststellen: Es ist ein Lied, das knapp sechs Minuten lang nicht so richtig weiß, wohin mit seiner ganzen Leidenschaft.

Freilich ist How Big, How Blue, How Beautiful weit davon entfernt, eine Enttäuschung zu sein. Zum einen tragen die Texte dazu bei. Nach der letzten Tour versuchte Florence Welch sich eine Weile am ganz normalen Leben, und das schlägt sich auch in den Songs nieder. Sie handeln davon „zu lernen, wie man lebt, sein Leben meistert – und wie man hier, auf dieser Welt, Liebe finden kann, anstatt nach irgendeinem Ausweg zu suchen. Fühlt sich schon seltsam und sogar beängstigend an, weil ich mich nicht mehr hinter all diesen abstrakten Ideen verstecke, aber ich hatte einfach das Gefühl, diesen Schritt genau jetzt gehen zu müssen“, sagt sie.

Zum anderen ist da natürlich noch immer dieser Wahnsinns-Gesang. Es ist sicherlich nicht originell, bei Florence & The Machine die Stimme herauszustellen, aber es geht einfach nicht anders. Auch auf dem dritten Album stellt der Gesang alles in den Schatten, auch auf dem dritten Album ist er noch sagenhaft packend.

Der Auftakt Ship To Wreck, geschrieben mit Kid Harpoon, illustriert das wunderbar. Es gibt ein wenig Fleetwood-Mac-Anleihen, ein straightes Schlagzeug, ein nervöses Tamburin, einen guten Bass und eine schöne Hintergrundmelodie im Refrain, trotzdem ist alles Stimme. Es steckt viel Fassungslosigkeit in der Art und Weise, wie Florence die Zeile „Did I build this ship to wreck?“ singt, die Erkenntnis der beträchtlichen Größe der emotionalen Fehlinvestition, die sich hier wohl abzeichnet. Aber trotzdem ist da auch so etwas wie eine Verweigerung der Kapitulation, ein Rest von Hoffnung und Trotz – das Ergebnis ist eine herrlich mitreißende Aufgewühltheit.

Long & Lost wird sehr sinnlich, in Caught klingt der Gesang in der Strophe zerbrechlich wie bei Heather Nova, im Refrain dann stolz, kraftvoll und gefährlich wie eine Amazone. In St. Jude, das sie mit James Ford geschrieben hat, beschwört sie zu einer traumhaften Oboen-Begleitung ein herzergreifendes Verlorensein à la Lana Del Rey herauf. Various Storms & Saints ist schon am Anfang faszinierend, als der Gesang nur von einer E-Gitarre begleitet wird. In Third Eye ist Florence unverkennbar die Anführerin, nicht einer Generation oder eines Geschlechts, sondern einer Massenbewegung, einer Revolution, deren wichtigstes Motto lautet: „Sei wie du bist.“

Die Single What Kind Of Man wird beim Glastonbury sicher ein Highlight sein: Der Moment, wenn nach dem The XX-artigen Beginn die bratzige E-Gitarre einsetzt, unmittelbar gefolgt von einem Whoaho-Chor und später noch verstärkt durch eine Pseudo-Fanfare, ist wie gemacht für ein großes Festival. Auch hier ist der Song aber bei genauerer Betrachtung nicht so groß wie die Geste, die er evoziert.

Das beste Lied von How Big, How Blue, How Beautiful wird ausgerechnet eines der Stücke, in denen es weder Bläser noch Streicher gibt. Delilah dreht auch mit überschaubaren Mitteln dennoch das ganz große Rad, hat eine klasse Dramaturgie und wird eine wunderbare Spielwiese für den Gesang, der hier alle Register zieht. „Too fast for freedom / sometimes it all falls down / these chains never leave me / I keep dragging them around”, heißt die letzte Strophe. Spätestens da wird klar, was Florence & The Machine auch diesmal wieder so besonders macht: Es ist ihre Stimme, die nicht so sehr durch Technik beeindruckt, sondern durch Intensität. Und durch die selten gewordene Qualität, tatsächlich der beeindruckende Ausdruck einer beeindruckenden Persönlichkeit zu sein.

Das Video zu Ship To Wreck ist ein gar nicht so kleines Beziehungsdrama.

Homepage von Florence & The Machine.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.