Künstler*in | Kendrick Lamar | |
Album | To Pimp A Butterfly | |
Label | Interscope | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Lieber Rap,
bitte hör auf damit! Es macht keinen Spaß mehr, es ist nicht mehr cool und schon gar nicht lustig. Ich weiß: Du brauchst deine eigene Sprache, du hast deine eigene Geschichte, du funktionierst nur, wenn deine Aushängeschilder mächtig, ehrgeizig und gefährlich sind. Aber ich will keine Platten mehr hören, auf denen es vor „Fuck“ und „Nigger“ und „Bitch“ nur so wimmelt. Und deshalb kann ich To Pimp A Butterfly von Kendrick Lamar nicht leiden. Kein bisschen.
Ja, ich weiß: „Nigger“ ist im Rap nicht als Schimpfwort gemeint. Es gibt genug Frauen im HipHop, die sich selbst als „Bitches“ bezeichnen. Das Genre hat – wie viele andere zuvor – seine eigene Terminologie hervorgebracht, seine eigenen Codes formuliert und seinen eigenen kulturellen Kontext erschaffen, in dem vieles eine ganz andere Bedeutung hat als außerhalb dieser Kultur. Rapper haben etliche Begriffe, die einmal als Beleidigung gedacht waren, okkupiert, zu ihrer eigenen Waffe gemacht, zu einem Ausdruck des Stolzes auf ihre Identität.
Trotzdem ist diese Sprache sagenhaft kalt, brutal und vulgär. Ich habe mir den Spaß gemacht und nachgezählt: Auf To Pimp A Butterfly wird 54 Mal „Fuck“ gesagt, 94 Mal „Nigger“ und 43 Mal „Shit“. Dazu kommen 10 Mal „Ass“, 21 Mal „Bitch“, 11 Mal „Motherfucker“ und auch ein paar Mal “Dick”. Ich will keine Musik um mich haben, deren Sprache so ekelhaft ist. Ich will nicht in einer Welt leben, die so kalt ist. Und ich will mir diese Welt erst recht nicht von Leuten erklären lassen, die so vulgär sind.
Ich höre (neben den Leuten mit dem unwiderlegbaren Vorwurf „Der weiße Typ hat Rap nicht kapiert“) schon die Widerrede, die darauf hinweist: Die Welt ist nun einmal kalt, brutal und vulgär. Erst recht für viele Schwarze in den Problemvierteln der USA, wo Gewalt und Benachteiligung herrschen und Rap eines der wichtigsten Mittel zur Kommunikation, zur Selbstvergewisserung und zum Aufbegehren ist. Das stimmt. Aber ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass diese kalte und vulgäre Sprache ein Teil des Problems sein könnte, kein Teil der Lösung. Ich habe jedenfalls noch niemanden getroffen, der plötzlich mit weniger Respekt behandelt wurde, bloß weil er sich manierlich ausdrücken konnte.
Man muss nicht die Sprache der Gosse benutzen, um vom Leben in der Gosse zu berichten – erst recht nicht, wenn man an diesem Leben etwas ändern möchte. Man darf sich auch fragen, ob ein Wort wie „Nigger“ wirklich all seine verletzende Wirkung verliert, wenn ein Schwarzer sich plötzlich selbst (und seine Mitmenschen, egal welcher Hautfarbe) so nennt. Wirkt da bei aller Kraft der Neuinterpretation nicht ein Rest der ursprünglichen Bedeutung fort, der auf diese Weise weitergetragen und am Leben erhalten wird? Was ist das für eine Pseudo-Gleichberechtigung, wenn man dem Beleidiger und Unterdrücker bloß seine Schimpfwörter klaut? Und ist es tatsächlich Emanzipation, wenn Frauen sich jetzt selbst als Schlampen titulieren dürfen?
Bei Kendrick Lamar ist das Nicht-Hinterfragen des üblichen Rap-Wortschatzes besonders ärgerlich, denn ganz unverkennbar hat man es bei To Pimp A Butterfly mit einem sehr intelligenten und innovativen HipHop-Album zu tun. Der zweifache Grammy-Gewinner aus Compton wird wahlweise als „New king of Cali“ (XXL-Magazine) oder „Hottest MC in the game“ (MTV) gefeiert, schon den Vorgänger good kid, m.A.A.d. city (2012) hatte selbst der Spiegel als „beste HipHop-Platte seit langer, langer Zeit“ bejubelt. Auch für To Pimp A Butterfly gab es (neben Platz 1 in den US- und UK-Charts) fast nur Lobpreis. Bei Spin wurde das Werk gar als „the Great American Hip-Hop Album“ geadelt, mit 10 von 10 Punkten.
Man erkennt, warum: Es gibt einen riesigen Fundus an Einflüssen, von Soul-Samples (Wesley’s Theory) über Jazz (For Free) und Versatzstücke von Sufjan Stevens (Hood Politics) bis hin zu Boom-Bap-Krachern wie der Single The Blacker The Berry, die selbst im Oeuvre des Wu-Tang Clans ein Höhepunkt wäre.
Kendrick Lamar schafft es, ein musikalisch enorm ambitioniertes Album vorzulegen, das trotzdem den nötigen Hit-Anteil hat. Der Groove in King Kunta ist nicht annähernd so plump wie das auch hier penetrant anstößige Vokabular es vermuten lassen könnte; die völlig umgekrempelte Version der schon im Vorjahr veröffentlichten Single i ist umwerfend mitreißend.
Obwohl der 27-Jährige schon 2012 mit der Arbeit an To Pimp A Butterfly begonnen hat, ist die Platte enorm aktuell und legt den Finger erbarmungslos in die gerade wieder ziemlich blutige Wunde des Rassismus in den USA. Zugleich gibt sich Kendrick Lamar geschichtsbewusst, wie etwa der Ausschnitt eines Interviews mit Tupac Shakur in Mortal Man zeigt, oder das sehr reflektierte Momma (mit dem Stoßgebet „Thank God for rap.“)
Manchmal passiert so viel in den abenteuerlichen Hintergründen, dass man all die Kraftausdrücke gar nicht mehr wahrnimmt. Im schlimmsten Fall ist es aber umgekehrt: In Alright beispielsweise gibt es so viele „Niggers“, „fucks“, „whores“ und „pussys“, dass der Track bloß noch debil klingen kann – egal, was rundherum passieren mag oder was Pharrell Williams da vielleicht noch beisteuern kann.
Das ist vielleicht – jenseits von übertriebener Political Correctness oder Parental-Advisory-Hysterie – das größte Problem an To Pimp A Butterfly: Selbst in einem rein ästhetischen Sinne ist dieser Tsunami aus Kraftausdrücken ein Armutszeugnis. War Rap nicht einmal die Kunstform für jene, die halsbrecherisch kreativ mit Sprache spielen, neue Ausdrücke erfinden, irrwitzige Reime entdecken? Wenn einem der prominentesten Vertreter des Genres nun kein anderes Synonym mehr für einen jungen Mann in den Sinn kommen will als „Nigger“ und er keinen anderen Begriff für eine junge Frau hat als „Bitch“, dann ist das erschreckend einfallslos. Und wenn er all diese Klischees übernimmt, ohne einen Hauch von Ironie, ohne den geringsten Versuch, sie auf ihre Gültigkeit, ihre Grundlagen und ihre Wirkung hin abzuklopfen, dann ist das fahrlässig bequem.
Wie zutreffend diese Schlussfolgerung ist, macht Kendrick Lamar selbst deutlich, nämlich mit den wenigen Tracks, die nicht mit Fäkalsprache getränkt sind. In Complexion (A Zulu Love) schafft er es (trotz „fucks“ und „niggers“) so etwas wie Warmherzigkeit heraufzubeschwören, unterstützt von Rapsodys schöner Stimme. How Much A Dollar Cost braucht keine protzigen Muskelspiele, um Kampfbereitschaft zu beweisen. Auch im ebenso smoothen wie fokussierten These Walls beweist er eine Entschlossenheit, die auch ohne Kraftausdrücke deutlich wird. Ein „bitch“ und ein „fuck“ haben sich dann aber doch reingeschlichen, auch in diesen Track. Typisch. Und genau deshalb so schade.