Madsen – „Kompass“

Künstler Madsen

Madsen Kompass Kritik Rezension
Auf „Kompass“ werden Madsen politisch.
Album Kompass
Label Four Music
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Madsen gelten, vergleicht man sie mit Zeit- und Gesinnungsgenossen wie Kettcar, den Kilians oder Tomte, immer ein wenig als Leichtgewichte. Stets heiter, höflich und positiv, mit Liedern, die eher fürs Lagerfeuer der Kirchenfreizeit geeignet scheinen als für einen „Parental Advisory“-Aufkleber oder die intensive Analyse im Feuilleton.

Viele Kritiker haben Madsen diese Mentalität angekreidet. Aber erstens ist es gar nicht schlimm, wenn eine Rockband nicht komplett aus Geisteskranken besteht. Zweitens ist das Image der netten Jungs selbst gewählt. „Ich bin da generell so ein kleiner Hippie: Ich verteile gerne Liebe und gute Laune, das ist einfach in mir drin“, hatte mir Sänger Sebastian Madsen im Interview gestanden. Das Quartett pfeift längst darauf, als cool wahrgenommen zu werden („Madsen sind irgendwie doch ein eigener Planet, und das ist auch gut so“, sagte Sebastian im gleichen Interview), gönnt sich auf der Bühne regelmäßig die eine oder andere Albernheit und leistet sich auch hier so wenig glamouröse Dinge wie ein Dankeschön an den eigenen Fanclub im Booklet des Albums. Drittens ist die Zeit der ultimativen Harmlosigkeit spätestens mit Kompass vorbei.

Auf ihrem sechsten Longplayer und im zehnten Jahr ihrer Plattenkarriere bewegen sich Madsen in deutlich erwachsenere Gefilde. Schon der Auftakt Sirenen lässt daran keinen Zweifel. So heavy hat man Madsen selten gehört, und das gilt nicht nur für den Sound, sondern auch für den Text. Dass eine Band, die im Wendland aufgewachsen ist und den Anti-Atom-Protest dort hautnah miterlebt hat, auch politisch werden kann (ins Albumcover ist eine Friedenstaube eingebaut), sollte eigentlich nicht verwundern. Trotzdem ist dieses Lied, eine Warnung vor Ignoranz und ein Aufruf zum Engagement, eine Überraschung. Madsen richten den Blick nicht mehr auf die heimelige Welt des eigenen Freundeskreises und das darin ohnehin gepflegte Gemeinschaftsgefühl. Stattdessen weisen sie darauf hin: Da draußen ist eine Welt, die ganz anders ist als unsere, mit Menschen, die weniger privilegiert oder wohlmeinend sind als wir. Und: Wir wollen uns nicht zurückziehen und nivellieren. Wir wollen den Mund aufmachen, uns exponieren und aufrütteln, notfalls auch gegen die Bequemlichkeit und das Harmoniebedürfnis unserer eigenen Fans.

Natürlich ist Kompass kein Grübler-Album geworden und fließt auch nicht über vor Agitation. Die Platte, produziert gemeinsam mit Moritz Enders (Kraftklub) und Simon Frontzek (Thees Uhlmann), ist kraftvoll, direkt und optimistisch, „ein Stadionkonzert in deinem Wohnzimmer“, wie es die Plattenfirma treffend anpreist. Oft trifft man auf eine Ästhetik oder sogar ein Riff, das sehr bekannt vorkommt. Leichter zum Beispiel ist deutlich an Iggy Pops Lust For Life angelehnt und entpuppt sich als Liebeslied über die Erkenntnis, dass Liebe nicht immer rosarot sein muss. Fluten ist hörbar von den Queens Of The Stone Age (vor allem No One Knows) beeinflusst und zeigt so etwas wie die Quintessenz von Madsen: hymnischer, harter Rock, Festivalgefühl und ganz viel Zuversicht. Trotzdem zeigt Kompass: Etwas hat sich verändert in der Welt, auch in der Welt von Madsen.

Im Titelsong kommt das Wort „Danke“ gar nicht vor, trotzdem ist dieser Begriff die große Überschrift von Kompass. Das Lied ist vielleicht eine Verbeugung vor dem Vater, in jedem Fall vor den Vorfahren, Wegbereitern und Wegbegleitern insgesamt. Madsen setzen damit nicht auf die Rock’N’Roll-übliche Rebellion gegen die Alten, sondern auf das Anerkennen, dass wir ohne sie nicht und nichts wären. Auch Graue Welt zeigt die Veränderung der Perspektive: Zwar geht es auch hier, wie so oft bei dieser Band, um Aufmunterung, doch es wird auch klar, dass es nicht reicht, sich und anderen gut zuzusprechen – man muss sich auch zeigen, der grauen Welt entgegentreten.

Ich trink nur eben aus ist ein Lied mitten aus dem Leben, nämlich über diesen einen Freund, den so viele von uns haben: Er schmiedet seit Jahren große Pläne, bevorzugt in der Stammkneipe, und kommt vor lauter Schwadronieren nie dazu, diese Pläne auch in die Tat umzusetzen. Auch hier rücken Madsen in die Position des Mahners, aber sie werden dabei nicht überheblich, weil sie nicht das Talent des Schwaflers infrage stellen, sondern nur seine Unfähigkeit thematisieren, sich aufzuraffen. Nochmal feiert Themen, die man bisher auch nicht spontan mit Madsen assoziiert hätte, nämlich Übermut, Unvernunft, sogar Hedonismus. Die Botschaft lautet: Es geht nicht nur darum, gut zu sein; man darf auch jung sein, anders, tollkühn.

Wenn auf dieser Platte einmal die alte Sehnsucht nach Abgeschiedenheit hervortritt, in der es am besten auch kein Mobilfunknetz gibt, dann bezeichnenderweise in einem Lied (Unerreichbar), dessen Text nicht Sebastian Madsen geschrieben hat, sondern Max Lessmann von Vierkanttretlager. Das Stück könnte zugleich ein Liebeslied sein oder ein Song über Freundschaft – auch das ist typisch Madsen. Auch Leuchttürme, in dem Bosse eine Strophe singt, wird den Fans der ersten Stunde gefallen: Am Beginn steht ein Metal-Riff, nach dem man kaum glauben kann, dass sich ein putziges Lied entfaltet rund um das Bekenntnis, für andere da zu sein und mit ihnen durch dick und dünn zu gehen. „Leuchttürme wackeln im Wind / doch fallen niemals um“, heißt eine Zeile, das ist vielleicht auch auf die Geschichte der Band bezogen.

Der einzige Schwachpunkt des Albums ist das viel zu plumpe Küss mich – beinahe hört man da den Hinweis der Plattenfirma „Wir bräuchten noch eine unverfängliche, radiotaugliche Vorab-Single“. Dem stehen allerdings etliche Highlights gegenüber wie Ich bin korrupt. Der Song ist schmissig und, auch wenn das nicht sofort klar wird, hoch romantisch: Madsen besingen hier die Tatsache, dass die Liebe stärker ist als alles; auf jeden Fall stärker als die eigenen guten Vorsätze. Das vielleicht schönste Lied und die einzige Ballade auf Kompass ist Über die Berge. Auch hier wird deutlich, wie sehr Madsen ihre Qualitäten bewahrt und sich zugleich musikalisch und persönlich weiterentwickelt haben. Ein bisschen Stolz ist dann vielleicht doch dabei, wenn die Aussage in diesem Song lautet: Ich kann vielleicht noch kein Kompass sein, aber eine verlässliche Stütze.

Im Video zu Sirenen steckt die Politik in den T-Shirt-Aufdrucken.

Website von Madsen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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