Phillip Boa And The Voodooclub – „Bleach House“

Künstler Phillip Boa And The Voodooclub

Boa kann Eleganz und Punk, beweist er auf "Bleach House".
Boa kann Eleganz und Punk, beweist er auf „Bleach House“.
Album Bleach House
Label Cargo
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Man kann davon ausgehen, dass sich Phillip Boa nicht allzu viel aus Erfolg macht. Dass Bleach House, sein (je nach Zählung) ungefähr 18. Studioalbum sein erstes Werk ist, das die Top10 in Deutschland erreicht hat, dürfte ihm bestimmt dennoch gefallen. Es ist nicht nur ein Beweis für die Treue seiner Fans (Loyalty hieß schließlich sein letztes Album vor zwei Jahren), sondern sicher auch eine Genugtuung. Schließlich haben Bands wie die White Lies (und andere) in jüngster Vergangenheit veritable Hits gehabt mit genau dem Sound, den er mit seinem Voodooclub (und anderen) vor ungefähr 30 Jahren erfunden hat: Rockmusik, die sich vom eigenen Hedonismus auch bis auf die dunkle Seite des Lebens tragen lässt.

Bleach House ist ein guter Beweis dafür. Kaum ein Lied braucht die Autorität von Phillip Boas Karriere und Verdiensten, um Gültigkeit zu erlangen. Fast alles auf dieser Platte hat genug Frische und Kraft, um aus sich selbst heraus zu funktionieren. „Ich bin stolz“, hat Boa selbst nach Vollendung des Albums auf seiner Website mitgeteilt. „Meine verträumten und naiven Wünsche, dieses Album zu etwas Besonderem zu machen, wurden mal wieder erfüllt.“ Und er fügt an, dass dies in Zeiten geschehe, „in denen immer mehr Manager bei Radio, TV und Plattenfirmen davon reden, dass das Format ‚Album/LP’ veraltet bzw. überholt ist und ein Ende dieser Formate prophezeien und fordern”.

Kill The Future heißt, vielleicht auch wegen solcher Aspekte der Gegenwart, der erste Song. Sofort stehen die Zeichen auf Attacke, mit einem treibenden, metallisch klingenden Schlagzeug und einem dem Songtitel angepasst plakativen Refrain. Dass Bleach House, produziert von David Vella und aufgenommen in London und Boas maltesischer Wahlheimat, deutlich aggressiver ist als der Vorgänger Loyalty, lässt sich da schon erahnen und wird vom folgenden The One Who Howls At The Moon prompt bestätigt. Wuchtig und energisch ist das, der Gesang hat einen beinahe faustischen Unterton, Bass und Bongos (!) bekommen ein kleines Solo.

In die Offensiv-Abteilung von Bleach House gehört auch Are You The One From Heaven, das sich als Power-Pop mit der Betonung auf „Power“ entpuppt. Der Rausschmeißer Icons Of Anarchy ist lupenreiner, krawalliger Punk, auch Down With The Protocols bestätigt, wie sehr Phillip Boas Musik davon profitiert, dass er auch im reiferen Rock-Alter regelmäßig auf Tour ist: Den Live-Kontext auch schon bei der Arbeit im Studio mitzudenken, erweist sich hier als die beste Versicherung dagegen, ungewollt lahmarschig zu werden.

Natürlich liefert Boa mit Bleach House keine eindimensionale Vollgas-Platte ab. Der gebürtige Dortmunder wird „anscheinend nicht älter, sondern subtiler“, orakelt das Presse-Info zum Album, und dafür finden sich durchaus Belege. Der Titelsong bietet nicht nur den ersten prominenten Auftritt von Pris, die beim Voodooclub mittlerweile Pia Lund ersetzt hat, sondern auch einen enorm spannenden Rhythmus. Are You The One From Heaven ist entspannt und elegant, Überblendung bietet Zirkushorror (das meint einen Sound, als hätten sich Tito & Tarantula ein paar Clownsmasken aufgesetzt) und die hübsche Zeile „I sold my soul for ten years of fame“.

Dass Boa nach wie vor Hitpotenzial hat, beweist unter anderem The Fear That Falls, das an Blondie (circa Union City Blue) denken lässt, und zwar nicht nur an deren Sound, sondern auch an die wunderhübsch verpackten Boshaftigkeiten. Standing Blinded By The Rooftops hat im Refrain eine ebenso schöne, fast sonnige Melodie und klingt wie eine leicht betrübte Version der Lightning Seeds. Baby Please Go Home bewegt sich in die Nachbarschaft von Franz Ferdinands No You Girls Never Know, besingt „the youth of 1984“, ist aber spannend und lebendig.

Das beste Lied ist Chronicles Of The Heartbroken mit einem tollen Zusammenspiel der Stimmen und einer Attitüde, die ebenso weltmännisch wie romantisch und melancholisch ist – als hätten die Pet Shop Boys beschlossen, die Sache mit der Gitarre jetzt wirklich mal durchzuziehen. Der Song ist, ebenso wie Bleach House als Ganzes, ein erstaunliches Ausrufezeichen mit einer klaren Botschaft: Phillip Boa schafft es auch im Alter von 50+, nicht nur gut und relevant zu bleiben, sondern sogar cool.

Eindeutig eher in Malta als in London entstand das Video zu Standing Blinded On The Rooftops.

Homepage von Phillip Boa.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.