Künstler*in | Kaizers Orchestra | |
Album | Maestro | |
Label | Kaizers Orchestra | |
Erscheinungsjahr | 2005 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Beats International / Stian Andersen |
“Das Musical war das einzige Medium, das unsere wahre Verrücktheit und Heuchelei angemessen zum Ausdruck bringen konnte – unsere kollektive Fähigkeit, in einem Theater zu sitzen und Irren dabei zuzusehen, wie sie Schwachsinn singen, während draußen die Welt brennt.”
So hat Dave Eggers in seinem Roman Bis an die Grenze recht treffend das Genre charakterisiert, das den Bühnen dieser Welt so große Verbrechen wie Das Phantom der Oper und König der Löwen beschert hat. Dass Kaizers Orchestra als erstes kreatives Projekt nach ihrer rund zehnjährigen Pause ausgerechnet ein Musical planen (nämlich rund um Violeta, der sie sich einst schon mit einer Album-Trilogie gewidmet hatten), könnte man also als Alarmsignal interpretieren. Aber man muss sich um diese sechs Norweger wohl keine Sorgen machen. Erstens sind sie viel zu Rock’N’Roll, um plötzlich hohl oder verlogen zu werden. Zweitens gehörte kunterbuntes Theater schon immer zu ihrer Musik.
Das zeigt auch die Wiederveröffentlichung von Maestro, ursprünglich 2005 als drittes Album von Janove Ottesen (Leadgesang, Gitarren, Perkussion), Geir Zahl (Gitarren, Gesang, Backing Vocals, Ölfass), Terje Winterstø Røthing (Gitarren, Backing Vocals, Ölfass), Helge Risa (Orgel, Piano, Akkordeon, Backing Vocals), Rune Solheim (Schlagzeug, Percussion) und Øyvind Storesund (Kontrabass, Bassgitarre) erschienen. Die Platte wird – wie alle acht Studioalben des Kaizers Orchestra – in diesem Jahr als Remaster neu auf Vinyl aufgelegt, um die Comeback-Tournee zu begleiten, die in ihrer Heimat binnen einer Viertelstunde ausverkauft war und die Band 2024/25 auch für Shows nach Deutschland führen soll, womöglich gar mit neuer Musik im Gepäck.
Dass Kaizers Orchestra auch international nicht nur bestaunt, sondern auch verstanden werden, lässt Maestro sofort wieder nachvollziehbar erscheinen. Diese Musik ist auch dann spektakulär, wenn man die norwegischen Texte nicht versteht. KGB eröffnet das Album mit Bläsern, Kuhglocke, einem schweren Rhythmus und dem verschwörerischen Gestus, der so typisch für dieses Sextett ist. Der Refrain hat viel Kraft und Präsenz, zum Ende hin häuft das Lied immer mehr Überraschungen an. Knekker Deg Til Sist klingt wie Mando Diao, wenn sie alles aus ihrem Arsenal auffahren würden, das geeignet ist, sich bei Quentin Tarantino beliebt zu machen. Das vergleichsweise straighte Blitzregn Baby würde zu den Black Keys passen, Jævel Av En Tango klingt so, wie die Filme von Aki Kaurismäki aussehen.
Man kann hier mühelos die Meisterschaft dieser Musiker erkennen und trotzdem den Eindruck haben, jeder mache innerhalb dieser zwölf Stücke einfach, was er will. Der Titelsong ist ein gutes Beispiel dafür: Maestro erweist sich als eine sehr eigene Interpretation von Funk, scheint sich dann selbst ein paar Wunden und Kratzer zuzuziehen, aus denen es in alle möglichen Richtungen ausblutet – erstaunlicherweise ohne dabei seine Vitalität zu verlieren. So würden vielleicht die Red Hot Chili Peppers klingen, wenn sie auf dem Balkan aufgewachsen wären.
Das quicklebendige Delikatessen wird schräg und abgründig und baut dabei tatsächlich so unterschiedliche Stile wie Surf, Mariachi und Country ein. Manches in Auksjon (i Dieter Meyers Hall) wirkt arabisch, anderes wie aus der Feder von Jack White, dazu gesellt sich noch ein hysterischer “Who is your Daddy”-Chor. Christiania wird schwermütig und zurückgenommen, aber dadurch nicht weniger reizvoll – wer will, kann darin vielleicht eine Grunge-Ballade erkennen. Das Lied zeigt damit wie etliche weitere Passagen auf Maestro (etwa Papa Har Lov, in dem Ottesen seine Stärken als Sänger demonstriert), dass Kaizers Orchestra nicht nur Tumult und Krawall beherrschen, sondern auch Gefühl und Atmosphäre.
Dieter Meyers Inst (das darin benannte Institut scheint ein ziemlich spukiger Ort zu sein) bleibt zunächst akustisch und entwickelt sich dann beinahe zu einer Revue, außerdem unterstreicht es, mit welchem Element diese Norweger all diese Ideen zusammenhalten: Leidenschaft. Der Album-Abschluss Pá Ditt Skift ist zugleich knallhart und verspielt, obendrein zeigt es eine Eigenschaft, die es mit so vielen Songs dieser Band teilt: Es endet ganz woanders als es angefangen hat, und es streift zwischendurch durch musikalische Landschaften, von denen man nicht einmal wusste, dass sie existieren.