Ich bin, Gott sei Dank, in Begleitung. Es wäre sonst nicht auszuhalten hier. Pärchen. Fast ausschließlich. Händchen werden gehalten, Ohrläppchen geknabbert, Köpfe an Schultern geschmiegt. Es sieht aus, als habe sich das Werk 2 just an diesem Abend in einen Inkubator für die romantische Liebe verwandelt. Und natürlich gibt es einen Grund dafür. Der Grund steht auf der Bühne, trägt blaue Jeans, einen schwarzen Longsleeve und eine, wie er zwischendurch bekennt, überlebenswichtige Britpop-Frisur und heißt Maximilian Hecker.
Der 37-Jährige hat vor knapp zwei Wochen sein neustes Album vorgelegt, jetzt trägt er die Lieder von Spellbound Scenes Of My Cure in die Welt. Und mit ihnen seinen Kummer. Denn in den Liedern von Maximilian Hecker geht es, auch auf seinem achten Longplayer, auch an diesem Abend in Leipzig, immer wieder um die schmerzhafte Diskrepanz zwischen der verheißungsvollen Idee der Liebe und dem betrüblichen Dasein als einer, der das Wesen dieser Idee besser verstanden hat als die meisten, aber damit der Möglichkeit, die Liebe erleben, fühlen und genießen zu dürfen, keinen Schritt näher gekommen ist.
Es ist eine ziemlich angreifbare Haltung, denn sie passt weder zum gängigen Konzept des Popstars noch zum klassischen männlichen Rollenverständnis. Von Swagger ist Maximilian Hecker so weit entfernt wie Stephen Hawking vom Dschungelcamp. Und, dieser Hinweis muss erlaubt sein, es ist eine auch nicht allzu abwechslungsreiche Attitüde. Wenn man den Fehler machen sollte, alleine zu einem Maximilian-Hecker-Konzert zu gehen, vielleicht sogar mit einem so frisch gebrochenen Herzen, dass der Groll noch viel stärker ist als die Wehmut, dann könnte es passieren, dass man das Geschehen auf der Bühne prätentiös findet, nervtötend, langweilig.
Aber davon kann in Leipzig keine Rede sein, aus zwei Gründen. Erstens zeigt das Konzert, dass die Larmoyanz bei Maximilian Hecker keine Pose ist, sondern ein Wesenszug. Wenn er zwischen den Songs einen Film zeigt, den er in Seoul gedreht hat, ein Kapitel aus seinem Buch The Rise And Fall Of Maximilian Hecker liest, nach der Show ganz zappelig beim Meet & Greet ist (er empfiehlt “Meat & Greed” übrigens als cleveren Namen für ein noch zu gründendes Restaurant) oder als erste Zugabe Bob Dylans Mr. Tambourine Man spielt, dann erlebt man ihn in der immer gleichen Rolle: verloren, sehnsüchtig, ganz und gar nicht einverstanden mit sich selbst.
Auch seine unbeholfen-charmanten Ansagen im Werk 2 (einen Song kündigt er beispielsweise ironisch an als „die obligatorischen Ballade, mal was fürs Herz, zum Träumen“) unterstreichen das. Nicht zuletzt passt auch sein Bemühen dazu, das Mikrofon als Instrument zu nutzen: Seine manchmal seltsam aussehenden Verrenkungen am Klavier rühren offensichtlich daher, dass er sich bei besonders schwierig zu singenden Tönen nicht allzu nahe ans Mikrofon heranwagen will – kaum zu fassen, dass ein so guter Sänger so wenig Zutrauen in seinen Gesang hat.
Zweitens sind seine Songs in den besten Momenten von so erhabener Schönheit, dass man ihnen niemals Weinerlichkeit vorwerfen könnte, sondern immer nur Feingefühl erkennt. Messed Up Girl, Treasure Trove und Untouchable (Kastrup Part II) spielt er mit Gitarre, den Rest gibt es am E-Piano, mehr braucht es nicht. Nach dem Auftakt mit Summer Days In Bloom bilden die Songs vom neuen Album den klaren Schwerpunkt, und durchweg klingen sie auch in ganz reduzierten Arrangements magisch: Die immer wieder an Art Garfunkel erinnernde Kopfstimme wirkt entkörperlicht, auch die Musik scheint nicht einem Instrument zu entspringen, sondern gerade eben vom Himmel herab geschwebt zu sein.
Hecker sei „einer von wenigen in Deutschland, die es schaffen, mit aufrichtigem Pathos von der unerfüllten Liebe zu singen“, hat Spiegel Online jüngst attestiert, und das gut 90-minütige Konzert in Leipzig erklärt, warum dieses Pathos nie peinlich wird: Hecker singt Lieder, die vielen seiner Zuhörer alles bedeuten. Sie sind der perfekte Soundtrack fürs unerfüllte Schwärmen ebenso wie für den Rausch der ersten Verliebtheit und den Schmerz des Verlusts; die Sorte von Lied, zu der Verheiratete (und vielleicht auch Geschiedene) später einmal sagen: “Weißt du noch, das war unser Lied.”
Es ist Musik ausschließlich für Liebende, und die Kraft dieser Konstellation hat einst selbst ein Misanthrop wie Friedrich Nietzsche gepriesen: „Denn durch die Musik hindurch sehen und hören wir sie, wie durch einen farbigen Rauch, ihre Liebe gleichsam ferner, rührender und weniger schwer geworden; Musik ist ihnen das einzige Mittel, ihrem außerordentlichen Zustande zuzuschauen und mit einer Art von Entfremdung und Erleichterung erst seines Anblicks teilhaftig zu werden. Jeder Liebende denkt bei der Musik: Sie redet von mir, sie redet an meiner statt, sie weiß alles!“, hatte der Philosoph 1881 in Morgenröte geschrieben, und Maximilian Hecker beweist in Leipzig, wie gültig diese Erkenntnis nach wie vor ist.
Einziges Problem des Abends: Es sind sehr wenige Liebende gekommen. Im Werk 2 findet sich ein gutes Dutzend gemischtgeschlechtlicher Pärchen, dazu vier Mädels und zwei Kerle, die ebenfalls paarweise gekommen sind. Hecker, womöglich der einzig Einsame unter den rund 40 Leuten im Saal, macht sich den Spaß und begrüßt jeden im Publikum mit Handschlag.
Vielleicht liegt der spärliche Besuch daran, dass das Konzert ursprünglich am vergangenen Freitag angesetzt war, dann aber verschoben wurde, weil das Werk 2 sich an diesem Tag vollständig dem No-Legida-Einsatz widmen wollte. „Ich finde das nicht so schlimm. Ich hatte unverhofft einen zusätzlichen freien Tag und habe mich ein bisschen ausgeruht“, verrät mir Maximilian Hecker nach dem Konzert sein persönliches Ersatzprogramm für jenen Abend. Erstaunlich. Ich hätte wetten können, er hat sich stattdessen auf die Suche nach dem Glück gemacht. Wieder einmal. Und vergeblich.