No Direction Home – Bob Dylan

Film No Direction Home – Bob Dylan (Deluxe 10th Anniversary Edition)

No Direction Home - Bob Dylan Review Kritik
„No Direction Home“ begleitet Bob Dylan in den Jahren 1961-1966.
Produktionsland USA
Jahr 2005
Spielzeit 207 Minuten + 152 Minuten Bonusmaterial
Regie Martin Scorsese
Hauptdarsteller Bob Dylan, Joan Baez, Allen Ginsberg, Pete Seeger, Liam Clancy, Dave Van Ronk
Bewertung

Worum geht’s?

In der knapp dreieinhalbstündigen Dokumentation blickt Regisseur Martin Scorsese auf die erste Karrierephase von Bob Dylan. Im Kern des Films steht ein ausführliches Gespräch, das der Musiker mit seinem Manager Jeff Rosen geführt hat – das erste längere Interview von Bob Dylan vor einer Kamera seit mehreren Jahren. Angereichert wird es um Konzertmitschnitte, Fernsehauftritte und weiteres Archivmaterial, das teilweise zuvor unveröffentlicht war. Der Film zeigt, wie Robert Zimmermann in Minnesota aufwuchs, der Fokus liegt dann auf der Zeit seit seiner Ankunft in New York 1961 bis zu seiner turbulenten England-Tournee 1966. In exklusiven Interviews blicken viele Wegbegleiter und Zeitzeugen auf diese prägende Phase in der Karriere des Musikers zurück.

Das sagt shitesite:

Martin Scorsese hatte 1978 schon Bob Dylans einstiger Begleitgruppe The Band mit The Last Waltz ein filmisches Denkmal gesetzt und sollte sich dann 2019 mit der Dokumentation der Rolling Thunder Revue erneut intensiv mit ihm beschäftigen. Einer der Vorteile von No Direction Home ist, dass er trotzdem kein Fan der ersten Stunde und schon gar kein Dylanologe ist, dieses Filmprojekt übrigens auch nicht selbst initiiert hat. Die persönliche Beziehung des Regisseurs zu seinem Sujet wird erkennbar, aber er wählt einen filmischen, künstlerischen Zugang zum Thema. So entsteht „an electrifying account of an unprecedented life“, wie es David Fricke vom Rolling Stone treffend genannt hat.

Überdeutlich ist dabei die Idee einer Odyssee als Rahmen: Bob Dylan ist losgezogen, um sein Zuhause (wieder) zu finden, begegnet sagenhaften Gestalten, erkundet fremde Länder, muss nie dagewesene Herausforderungen bestehen. Erkennbar wird das nicht zuletzt in Like A Rolling Stone, das hier sehr bewusst als erste Performance gezeigt wird, dann ein Leitmotiv bildet und mit einer aus dem Lied entnommenen Textzeile auch für den Titel der Dokumentation gesorgt hat.

In den nur sechs Jahren, aus denen hier schwerpunktmäßig berichtet wird, hat sich zum einen die Welt rasant verändert. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Angst in der Gesellschaft, und No Direction Home macht den Ballast gut sichtbar, den es in den 1960er Jahren abzuschütteln galt. „It was a new society. A new world“, sagt Martin Scorsese an einer Stelle über den Moment, als die Jugend dieser Ära den Eindruck haben konnte, dieses Ziel erreicht zu haben. Ebenso wird der neue Ballast erkennbar, den sich diese Generation durch das Bewältigen dieser Transformation aufgeladen hat, mit Konflikten, Selbstbetrug und Illusionen. Bob Dylan war vielleicht einer derjenigen, die das sehr früh erkannten und nichts weniger wollten, als später die Verantwortung dafür tragen zu müssen. Zugleich erfolgte in dieser Zeit eine Revolution in der Musikwelt, wofür die Beatles (sie haben dafür gesorgt, dass die gesamte Gesellschaft mit Pop durchdrungen wurde) und Dylan selbst (er hat dafür gesorgt, dass Autorschaft auch in Pop und Rock plötzlich wichtig wurde, also der Authentizitäts-Anspruch der Folk-Szene auch auf diese Genres übertragen wurde) die treibenden Kräfte waren.

Scorsese erzählt weitgehend chronologisch, wechselt und erweitert aber immer wieder die Perspektive. Bob Dylan wird so stets in Beziehung zu seinem Umfeld und seiner Zeit gesetzt. Dadurch ist sowohl erkennbar, wie Dylan – spätestens seit seinem Nobelpreis unumstritten einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts – diese Ära prägte, umgekehrt aber natürlich auch auf die Entwicklungen dieser Zeit und nicht zuletzt auf die Rolle, die man ihm darin zuschreiben wollte, reagierte.

Die Ambivalenz und die Widersprüche, die dabei zu beobachten sind, und die Rolle von Bob Dylan als Erfinder, Schauspieler und Opportunist negiert No Direction Home an keiner Stelle, Scorsese nimmt diesbezüglich auch keinen Kommentar vor. So benennt Bob Dylan im Interview beispielsweise sehr deutlich seine prägenden Einflüsse vom Radio zuhause über Hank Williams bis Bobby Vee, später Woody Guthrie und Jack Kerouac. Zugleich behauptet er, sich komplett selbst erschaffen zu haben. Er stellt immer wieder seine Rolle als Außenseiter heraus, zugleich ist überdeutlich, wie strategisch und leidenschaftlich er darauf hingearbeitet hat, als Teil der Folk-Szene im Greenwich Village anerkannt zu werden, nachdem er als 20-Jähriger dort ankam. Sehr deutlich wird auch, wie unangemessen der Versuch der weltweiten Linken war, in Bob Dylan ein Sprachrohr für ihre Sache zu finden: Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen und Mitstreitern war er nicht sonderlich politisch, und wenn er in diesen aufgewühlten Zeiten von Kubakrise, Kennedy und Vietnam überhaupt ein Aktivist war, dann höchstens für sich selbst.

So gekonnt No Direction Home, in der Deluxe 10th Anniversary Edition auf zwei DVDs mit einer überaus üppigen Spielzeit von 207 Minuten plus 152 Minuten Bonusmaterial, den Weg vom Nobody über den talentierten Folksänger bis zum Rockstar und zur Ikone der Gegenkultur ab Mitte der 1960er Jahre nachzeichnet, so sehr ist dies auch ein Blick auf die Glorifizierung, Überhöhung und Exegese dieses Künstlers, die wunderbar in der Szene einer Pressekonferenz zum Ausdruck kommt, als ein Jounalist das Covermotiv von Highway 61 Revisited interpretiert, und dabei insbesondere über die Bedeutung des T-Shirts eines Motorradherstellers philosophieren möchte, das der Künstler darauf trägt. Bob Dylan antwortet zur Entstehung des Fotos aber bloß lapidar: „It was just taken one day when I was sitting on the steps, y’know.“

Das ist letztlich die deutlichste Erkenntnis in diesem Film: Das künstlerische Ethos von Bob Dylan, das er hier vergleichsweise explizit und einleuchtend erläutert, ist geprägt durch den Willen zu Offenheit, Entwicklung, Veränderung und Überraschung. Die Entsprechung dazu beim Blick auf sein Image und seine Persona ist eine tief sitzende Neigung zur Verweigerung. Er behält sich immer das Recht vor, anti zu sein und sich eine Hintertür offen zu halten. So wird No Direction Home ein facettenreiches, reflektiertes, ästhetisch grandioses und durchaus auch erhellendes Porträt. Trotz der umfangreichen Recherche ist der Film aber nicht investigativ. Er liefert viele Assoziationen, aber keine Antworten. Dylan bleibt mystisch, kryptisch und undurchdringlich – und nutzt seine Aussagen auch selbst wiederum, um diesen Status zu untermauern..

Bestes Zitat:

Bob Dylan, beschreibt was aus seiner Sicht die Besonderheit seiner Performance ausmachte, als er Teil der Szene im Greenwich Village wurde: „You would have to make an impression on somebody. There was many, many singers who were good. But they couldn’t focus their attention on somebody. They wouldn’t really get inside somebody’s head. You gotta be able to pin somebody down.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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