Ich gehöre hier nicht her. Das wird schon in den Minuten vor dem Konzert klar, als ich am Eingang des UT Connewitz auf meine Begleitung warte und den Rest des Publikums beäuge. Ich habe kein Tattoo, meine Jacke ist zwar dunkelblau, aber damit bereits viel zu bunt im Vergleich zu den sonstigen Outfits. Mein Wegbier ist mit 0,33 Liter deutlich zu klein, außerdem sind Dope-Schwaden omnipräsent. So schwierig, dem Passiv-Kiffen aus dem Weg zu gehen, war es zuletzt für mich im Proberaum meiner Band, und schon damals mochte ich das nicht (nicht nur, weil es zu diesen Zeiten noch illegal war). Dass ich wenige Stunden zuvor noch im Ebay-Chat über Memorabilia von Roxette gefachsimpelt habe, sollte ich hier vielleicht auch lieber verschweigen.
Anders als die meisten Fans habe ich mich auch nicht monatelang auf diesen Abend gefreut, sondern hätte die Show in Leipzig beinahe verpasst, wäre ich nicht zufällig tags zuvor auf dem Weg zu einem kreuzbraven Familien-Stadtteilfest hier an einem Plakat vorbeigekommen. Mein T-Shirt zeigt nicht Black Sabbath oder wenigstens die Melvins, sondern eine versteckte Huldigung an Michael Jackson. Und bei der sehr guten Vorband Grinding Eyes muss ich eher an Black Rebel Motorcycle Club denken als an die viel härteren Referenzen, die bestimmt viele im Saal bei dieser Musik im Kopf haben.
Auch, als dann Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs loslegen, bleibt da zunächst ein Gefühl von Fremdheit. So sehr ich die Musik dieser Band aus Newcastle (und insbesondere das 2023er Album Land Of Sleeper) mag, so klar bleibt: Das ist eigentlich alles viel zu hart für meinen Geschmack. Es sind fünf Leute auf der Bühne, was man aber sicherheitshalber mehrfach nachzählen sollte, weil 1) so viel Nebel die Sicht erschwert und 2) der Sound dank der vielen Effektgeräte nach viel mehr Instrumenten klingt.
Schnell wird mir dabei aber auch wieder klar, warum ich gerne hier sein wollte. Der Sound von Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs ist nicht nur sehr hart, sehr laut und sehr unberechenbar, sondern hat insbesondere live eine fast immersive Wirkung. Es hat keinen Sinn, hier Einzelteile analysieren zu wollen, vielmehr entwickelt sich ein Gesamterlebnis für alle Sinne. Wie viele Leute stehen da auf der Bühne? Wer spielt welches Instrument? Wo hört ein Song auf und wo fängt der nächste an? Das ist an diesem Abend alles egal. Das Quintett taucht sein Publikum stattdessen komplett ein in ein unauflösliches Miteinander von Klang und Licht, Gefühl und Energie, Drone und Noise, einem vom Bass bebenden Boden und einer hypnotischen Bewegung.
Erstaunlich ist dabei: So düster, bedrohlich und aggressiv diese Musik ist, so unweigerlich macht dieses Konzert gute Laune. Vielleicht liegt es daran, dass man sich hier voll und ganz in einen Ausnahmezustand begeben kann, in ein Inferno, das tatsächlich die Wirkung von Katharsis oder zumindest Ablenkung von all dem Scheiß da draußen haben kann. Zweifelsohne ist es außerdem ein großer Spaß, dabei zu sein, wenn Menschen mit Gitarrenmusik eine solche Kraft und Begeisterung entfalten. Und eindeutig hat auch Sänger Matt Baty großen Anteil an diesem Eindruck.
Der Sänger trägt ein Muskelshirt eines Gyms und die Shorts eines Boxclubs, und ein besseres Outfit könnte es kaum geben für ihn. Er hopst wie ein Martial-Arts-Fighter, der sich zum Kampf bereit macht, er verbiegt sich und wirft sich in Bodybuilder-Posen. Man ahnt sofort: Das ist ein Stinkstiefel, der keinem Ärger aus dem Weg geht – nicht nur, weil er die deutlich größeren Jungs im Rücken hat. Mit jeder Minute im UT Connewitz kann man mehr daran glauben, hier hätte vielleicht Francis Begbie all das Geld aus einer erfolgreichen Gaunerei in Stereoide investiert und dabei noch Glenn Danzig als Ernährungsberater engagiert, um dann Frontmann einer Band zu werden.
Er hat auch gehörigen Anteil daran, dass ich mich im UT Connewitz nicht nur bestens unterhalten, sondern schließlich auch willkommen fühle. Denn Matt Baty zeigt in seinen wenigen Ansagen einen köstlichen Humor und verkörpert auch sonst keine Spur von „Ich bin cooler / härter / fieser als ihr alle zusammen“-Attitüde. Stattdessen nimmt er das Publikum mit. Die Fans in Leipzig singen beispielsweise ein gemeinsames „Hoch soll er leben“, weil der Vater von Gitarrist Adam Ian Sykes heute Geburtstag hat. Später wird noch eine Dame in der ersten Reihe als “Headbanger of the evening” ausgezeichnet, zugleich betont Baty aber, dass die Band eigentlich gar keine Lust auf Machismo und Wettbewerb hat. Das ist vielleicht die schönste Erkenntnis dieses tollen Konzertabends: Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs sind nicht nur immersiv, sondern auch inklusiv.