Amen Dunes Purple Land Review

Corona-Musik 46 mit Amen Dunes, Dekker, Ghostly Kisses, MRCY und BMX Bandits

Vier Jahre nach den ersten großen Schlagzeilen über die Pandemie prägen Debatten wie die Aufarbeitung des Krisenmanagements, die in vielen Branchen noch immer sehr spürbaren wirtschaftlichen Folgen oder die Suche nach optimierten Impfstoffen das Geschehen. Was die unmittelbarste Folge des nach wie vor präsenten Virus ist, gerät dabei oft in Vergessenheit: Man wird krank. Damon McMahon, der Mann hinter dem 2006 gegründeten Projekt Amen Dunes, hat das 2020 am eigenen Leib erfahren. Covid-19 erwischte den Mann aus New York ziemlich heftig, auch danach hatte er noch dauerhafte Atemproblemen und nahm insgesamt 15 Kilogramm ab. Zwei Jahre lang hing er somit in den Seilen, und an neue Musik oder gar einen würdigen Nachfolger für Freedom (2018), das von Pitchfork als „bestes Album des Jahrzehnts“ bezeichnet wurde, war in dieser Phase nicht zu denken. Es waren die Kontaktaufnahme zu anderen Musiker*innen und erste zaghafte Kollaborationen, die ihn dann wieder in Schwung brachten. Am 10. Mai wird nun sein siebtes Album erscheinen, der Titel Death Jokes ist dabei womöglich durch die Corona-Erfahrung geprägt, in jedem Fall aber die Tatsache, dass in den Songs von Amen Dunes der Blick erstmals nicht nach innen, sondern nach außen gerichtet wird. Die neuen Lieder beklagen „die Verkümmerung der Seele und die Trennung zwischen uns“, sagt McMahon. Ein Beispiel dafür ist die erste Single Purple Land (***1/2). Das Lied über „die Unverbundenheit und Ernüchterung einer unsicheren Welt“ erzählt davon, wie wertvoll und zerbrechlich unser Dasein auf dieser Welt ist – und wie leicht man das in der Phase, die gerne „die Rush Hour des Lebens“ genannt wird, vergessen kann. „You’ll be all grown / I’ll be long gone / You’ll be living on the sun / If you ain’t careful, you’re gonna forget it“, heißt es. Der Song wirkt zunächst ätherisch, baut dann aber eine subtile Spannung auf und entwickelt eine hypnotische Wirkung. Amen Dunes hat diesmal mit etlichen Snippets von YouTube gearbeitet, die in die Songs eingebaut sind. Auch bei Purple Land findet man in der zweiten Hälfte immer mehr irritierende, verfremdende Effekte. Das klingt ein bisschen wie Alex Cameron, wenn der lieber deep als arschcool sein wollte.

Auch Brookln Dekker, der für seinen Solo-Künstlernamen den Vornamen einfach auslässt (gemeinsam mit seiner Ehefrau ist er auch als Rue Royale aktiv), hat die gesundheitliche Gefahr von Covid-19 zuletzt sehr unmittelbar beschäftigt, und zwar ausgerechnet in einer Phase, in der er kreativ und kommerziell ein neues Level erreicht hatte. „Nach der Fertigstellung von I Won’t Be Your Foe im Jahr 2021 wusste ich, dass mir etwas Besonderes gelungen war. I Won’t Be Your Foe war der Versuch, in einer schwierigen Phase mit Hilfe meiner Songs ein Bild zu entwerfen, wie ich sein wollte und wie sich die Dinge anfühlen sollten“, sagt er über sein zweites Album. Der Weg zum Nachfolger Future Ghosts, der am 1. März erscheinen wird, war zunächst von der Corona-Krise geprägt. „Als der Fokus auf Covid zu schwinden begann, traten an dessen Stelle verschiedene gesundheitliche Ängste und schlimme Diagnosen in meiner erweiterten Familie. Als Künstler liefen die Dinge gut, die Streaming-Zahlen und Ticketverkäufe stiegen stetig an, aber ich hatte privat etwas mehr zu kämpfen als sonst. Diese Unausgeglichenheit brachte Ängste um die Gesundheit und eine Vorahnung der Sterblichkeit mit sich“, erzählt Dekker. Den Titelsong der neuen Platte schrieb er gemeinsam mit seiner Tochter, als diese ihn fragte, was nach dem Tod passiert. „Irgendwie wusste ich, dass ich damit gerade den Ton für das Album getroffen hatte: nachdenklich, melancholisch, nicht übermäßig nachsichtig und mit einem etwas lebendigeren Gefühl als bei meinen früheren Arbeiten“, sagt Dekker. Der Single I Won’t (***1/2) merkt man das unter anderem durch schlichtes, aber wirkungsvolles Schlagzeug und etwas Elektronik an, das Ergebnis ist im Kern natürlich immer noch Folk und dabei äußerst einnehmend. Die Aufnahme der zehn Lieder, teilweise in Berlin, wurde dann immer wieder für längere Zeit unterbrochen. „Heute sehe ich, dass diese Zeit dem Album gut getan hat und dazu beigetragen hat, dass es sich so lebendig anfühlt, wie ich es mir erhofft hatte. In diesen Liedern geht es um Schmerz, Verlust und Orientierungslosigkeit, doch das ist nicht die beabsichtigte Botschaft oder Stimmung. Das Album dreht sich um das Leben und seine vielen Geheimnisse. Es geht darum, schwierige Zeiten durchzustehen und zu lernen, dass man diese bewältigen kann.“

Viele Acts haben das Fehlen von Konzerten während der Lockdown-Monate betrauert, nicht nur wegen der wegbrechenden Erlös- und Marketingmöglichkeiten, sondern auch, weil keinerlei direkter Kontakt mit den Fans mehr möglich war. Ghostly Kisses haben in dieser Zeit eine ganz andere Erfahrung gemacht. Das kanadische Duo, bestehend aus Margaux Sauvé und Louis-Étienne Santais, hatte nämlich auf seiner Webseite einen anonymen Online-Briefkasten eingerichtet, dem man persönliche Geheimnisse anvertrauen konnte. Aus den Geschichten, Briefen und Anekdoten, die in dieser „Box of Secrets“ gelandet sind, machten sie nun die Lieder für ihr zweites Album Darkroom, das am 17. Mai veröffentlicht wird und von Ghostly Kisses gemeinsam mit Oli Bayston produziert wurde. Ein Beispiel ist die Single On & Off (***1/2), die laut Margaux Sauvé handelt von „einer komplexen und turbulenten zyklischen Beziehung, in der sich zwei Menschen ständig trennen und wieder zusammenfinden. (…) Wir haben versucht, ein Gefühl von Nostalgie in den Rhythmus einzubringen und den ätherischen Gesang mit einem Gefühl der Sehnsucht zu verbinden.“ Das ist wunderbar gelungen, denn der Track verbindet die tolle Stimme von Sauvé mit einem dezenten Swing und zeigt so, wie konkret, verführerisch und gleichzeitig mysteriös der Dream-Pop von Ghostly Kisses sein kann.

Auch bei Barney Lister und Kojo Degraft-Johnson, die unter dem Namen MRCY gerade ihre erste Single Lorelei (****) herausgebracht haben, waren die Online-Möglichkeiten während der Pandemie entscheidend – in ihrem Fall aber nicht als Inspiration für neues Material, sondern für das Zustandekommen des Duos an sich. Barney Lister stammt aus Huddersfield und hat viel Anerkennung für seine bisherige Arbeit als Produzent geerntet, Kojo Degraft-Johnson kommt aus Süd-London, wo seine Anfänge im Kirchenchor lagen. Über Instagram haben sie sich während der Pandemie kennengelernt, die kurzen Pausen zwischen den Lockdowns nutzten sie für gemeinsame Treffen in Brixton, wo sie sich nicht nur besser kennenlernten, sondern auch den Sound von MRCY ausdefinierten. Die Auswirkungen von Corona blieben natürlich auch in dieser Zeit sehr einflussreich. Wenn man will, kann man das Credo des Duos als Reaktion auf Vereinzelung, Verschwörung und Radikalisierung aus dieser Zeit interpretieren: Die Musik von MRCY soll einen gemeinsamen Nenner adressieren, eine zutiefst humane Neigung zur Verbundenheit, die eigentlich selbstverständlich sein sollte. Für Lorelei haben sie sich ein Thema herausgesucht, das nicht nur hierzulande durch den entsprechenden Mythos bestens bekannt ist, sondern eben universell: Ein Mann ist in eine Frau verliebt, er weiß, dass ihn das in sein Unglück stürzen wird, aber er kann nicht anders, als sich ihr auszuliefern. „Es ist, als würde man eine ferne Erinnerung hören“, sagt Barney, „aber eine, die zu deiner Situation im Hier und Jetzt spricht.“ Das Ergebnis wird schick, elegant und warm, hoch romantisch und unverkennbar zeitlos – und dass neben tollen Streichern und einem herrlichen Rhodes auch ein paar Unterwasser-Geräusche eingebaut sind, die auf die ursprüngliche Lorelei-Sage verweisen, ist absolut meisterhaft.

In den fast 40 (!) Jahren ihrer Existenz haben die BMX Bandits aus Schottland schon viel erlebt. Zu ihrer Besetzung gehörten beispielsweise Leute, die später (oder parallel) mit The Vaselines, The Pastels, The Pearlfishers, Soup Dragons oder Teenage Fanclub erfolgreich waren. Ein gewisser Kurt Cobain hat sie groß abgefeiert, eine Band namens Oasis spielte einige ihrer ersten Konzerte in ihrem Vorprogramm. Eine Pandemie gehörte aber bisher nicht zum Erfahrungsschatz von Mastermind Duglas T. Stewart, und auf dem zwölften Album Dreamers On The Run (kommt am 26. April bei Tapete Records heraus) sind deren Nachwirkungen entsprechend präsent. Denn Stewart hatte die Eckpunkte für die Platte eigentlich schon 2014 festgelegt. Es sollte ein Konzeptalbum werden über das Leben in zwei Welten: Erstens die Welt der Träume und der Musik und zweitens der Versuch, in der realen Welt zu überleben. Seine psychische Gesundheit verschlechterte sich dann aber so sehr, dass er alle Planungen stoppen musste und ungewiss war, ob Dreamers On The Run jemals das Licht der Welt erblicken würde. Ausgerechnet während der härtesten Covid-19-Monate bekam Stewart dann aber die Kurve. Er arbeitete in dieser Zeit am Soundtrack zum Film Dreaded Light (Regie: Mark MacNicol) und wählte dafür den Multiinstrumentalisten Andrew Pattie (er hatte zuvor schon Gitarre in der Livebesetzung der BMX Bandits gespielt) als Mitstreiter. Die Zusammenarbeit war so gelungen, dass sie für die auf Eis liegende Platte fortgesetzt werden sollte. „Mir wurde klar, dass Andrew der richtige Partner für dieses sehr filmische Album war, von dem ich geträumt hatte. Er hatte die Musikalität und Unerschrockenheit, die es brauchte“, sagt Duglas T. Stewart. „Gemeinsam arbeiteten wir an einigen Songideen und Themen, die ich vor einem Jahrzehnt hatte, und vervollständigten sie gemeinsam. Wir beide schrieben auch neues Material, das die Erzählung des Albums ergänzte.“ Die Single Hop Skip Jump (For Your Love) (****) zeigt, wie tatsächlich inspirierend und erfrischend dieses Match gewesen sein muss. Der Song glänzt mit feiner Selbstironie, einem klasse Arrangement und einer am Ende fast kindlichen Ausgelassenheit.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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