Künstler*in | Cowboy Junkies | |
Album | Such Ferocious Beauty | |
Label | Cooking Vinyl | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Beats International / Heather Pollock |
Country-Musiker teilen ein Schicksal mit Nachrichtensprechern, Fahrlehrern oder Schiffskapitänen: So richtig glaubwürdig sind sie erst, wenn sie alt sind. Das Genre verlangt Lebenserfahrung. Wer hier Tiefe und Authentizität bieten will, muss genügend Schmerz gesammelt und genügend Menschen getroffen, oft genug abgestürzt und oft genug wieder aufgestanden sein.
Die Cowboy Junkies, gegründet 1985 von den Geschwistern Michael Timmins (Songwriting, Gitarre), Peter Timmins (Schlagzeug) und Margo Timmins (Gesang) mit ihrem langjährigen Freund Alan Anton (Bass), hätten dieser These im vergangenen Jahrtausend sicher noch widersprochen, womöglich genauso wie einer Verortung im Country, ist ihr Sound doch ebenso von Folk, Rock, Blues und Jazz beeinflusst. Doch auf Such Ferocious Beauty, dem 16. Studioalbum in der Karriere der kanadischen Band, beweisen sie, wie viel Wahrheit darin steckt.
Sie singen über Vergänglichkeit und Sterben, über gebrochene Herzen und geplatzte Träume, und sie tun es mit einer Ernsthaftigkeit und Poesie, die nichts weniger als umwerfend ist. Perfekt zu Country passen “a bag full of heartache”, “a life full of regrets and dreams” und “a chest full of beauty and dirt” in Circe And Penelope, aber auch die reife Selbsterkenntnis “I enjoy the what-ifs and the could-have-beens”. In Hell Is Real erscheinen “scared”, “angry”, “lonely” und “empty” nicht gerade als die Attribute, die man vorweisen möchte, wenn das Jüngste Gericht kommt, wie es hier nur mit Gitarre und Gesang vorhergesagt wird. Und mit “Every man has a plan / until he’s punched in the mouth” dürften die Cowboy Junkies schon jetzt den Titel für den stärksten Eröffnungsvers des Jahres sicher haben, der dazugehörige Track Mike Tyson (Here It Comes) wird ein Lied wie ein Thriller, durch den als Special Effect eine spanische Gitarre irrlichtert.
Ohnehin ist Such Ferocious Beauty weit davon entfernt, nur mit den Texten zu glänzen. “Dieses Album hat eine größere Dichte”, sagt Michael Timmins, der auch selbst produziert hat, über die Platte. “In vielerlei Hinsicht werden die Musik, die Wahl bestimmter Strukturen und die verwendeten Töne für die Vermittlung der Themen des Albums genauso wichtig wie die Texte.” So gibt es beispielsweise in Flood zu Beginn ein erstaunlich lärmendes Feedback, danach einen verstörten Rhythmus und ein unheilvolles Klavier. Hard To Build, Easy To Break wirft mit einem sehr prominenten Bass einen lässigen Blick auf die Aufgabe, Kinder großzuziehen. Knives kombiniert einen dunklen Groove mit einer spektakulären Geige, Shadows 2 entwickelt erstaunlichen Schwung angesichts der Aussage, wie wertvoll die Fähigkeit sein kann, den Lauf der Dinge einfach nur zu ertragen.
Das Lied ist einer von mehreren Momenten, in denen der Tod des Vaters der Timming-Geschwister thematisiert wird, der nach langer Demenz-Erkrankung gestorben ist. Am deutlichsten wird das im Album-Auftakt What I Lost, das die letzten Monate seines Lebens betrachtet. “Ich dachte oft über all diese Erinnerungen und Erfahrungen nach, die langsam von der Demenz aufgefressen wurden und schließlich mit seinem Tod völlig verschwinden würden”, sagt Michael Timmins. Die Zeile “I woke up this morning” scheint dabei zu Beginn noch einen harmlosen Moment der Desorientierung zu beschreiben, etwa wenn man im Urlaub zum ersten Mal in einer neuen Umgebung aufwacht. Als dieselbe Zeile ganz am Schluss noch einmal erklingt, wirkt dieses morgendliche Aufwachen wie das schlimmste Schicksal, das einem überhaupt widerfahren kann.
“In unserer eigenen Menschlichkeit gibt es großen Schmerz und großes Elend, aber auch große Freude und Trost. Es gibt für mich nichts Demütigenderes als die wilde Schönheit, in der wir leben, einschließlich Leben und Tod”, fasst Margo Timmins den Kern des Albums zusammen. Ihr Gesang ist dabei ein weiterer entscheidender Faktor dafür, dass diese Platte so eindrucksvoll geworden ist. In jeder Silbe von Such Ferocious Beauty steckt so viel Spannung in ihrer Stimme, dass in jedem Moment ein Wutausbruch, eine Liebeserklärung oder eine Panikattacke kommen könnten. Ein Lied wie Throw A Match demonstriert das sehr deutlich: Es droht in all seiner Komplexität manchmal in seine Einzelteile zu zerfallen, aber ihre Stimme hält es zusammen. Der reduzierte Album-Abschluss Blue Skies zeigt dann noch einmal die wichtigste Formel in der Musik der Cowboy Junkies (und im Country generell): Schmerz + Hoffnung = Sehnsucht.