Pabst Live in Leipzig

Die große Konzertvorschau 2023 für Leipzig, Teil 2

Der (international) erfolgreichste deutsche Liveact des Jahrtausends hat sich in die Welt des auf keinen Fall weiter zu Unterstützenden verabschiedet (ja, gemeint sind Rammstein). Jan Böhmermann zeigte unlängst auf, wie viel beim Ticketverkauf für Konzerte, Festivals und sonstige Kulturveranstaltungen schief läuft (ja, gemeint sind die Methoden von CTS Eventim). Und der Konzertbranche geht es nach den Corona-Jahren immer noch so dreckig, dass man insbesondere bei Shows kleinerer und mittlerer Acts in Clubs und kleinen Hallen jedes Mal die Angst haben muss, dieser Spaß sei womöglich bald ein für allemal vorbei („Die Realität ist, dass immer mehr Konzerte, Tourneen und Festivals abgesagt werden, da der Kartenverkauf verheerend ist. Und selbst ausverkaufte Events sind verlustreich, da sich mit den überwiegend bereits 2019 verkauften Tickets die aktuellen Veranstaltungskosten nicht annähernd finanzieren lassen”, sagte im September Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft).

Trotzdem gibt es natürlich auch noch Möglichkeiten, sich guten Gewissens und mit viel Vorfreude auf Live-Veranstaltungen in Leipzig zu freuen. Das erste Halbjahr hatte schon reichlich Highlights zu bieten. Die besten Konzerte für die zweite Jahreshälfte stellt Shitesite heute vor. Der Überblick geht quer durch alle Locations in Leipzig und deckt Genres von Singer-Songwriter bis Metal, von Rap bis Kammerpop ab. Als besonderen Service gibt es jeweils einen Tipp des Monats und eine Empfehlung, welche Shows man in der Messestadt von Juli bis Dezember lieber meiden sollte.

Juli

Pünktlich zum kalendarischen Sommeranfang kommt viel Schwung ins Programm der Open-Air-Konzertlocations in Leipzig. Die Parkbühne im Clara-Zetkin-Park hat sich diesmal vor allem verdienten Pop-Helden verschrieben, so schauen dort am 7. Juli The Hooters und am 18. Juli Suzanne Vega vorbei. Das Täubchenthal hat zwar auch einen sehr hübschen Außenbereich, die Eagles Of Death Metal werden aber sicher die Indoor-Bühne bespielen, wenn sie dort am 10. Juli zu Gast sind. Wer es noch etwas härter mag, ist am 21. Juli (und wahrscheinlich auch an fast allen anderen Tagen des Jahres) im Hellraiser an der richtigen Adresse, dort sind dann Soulfly mit Ex-Sepultura-Sänger Max Cavalera zu sehen. Schon am 14. Juli gibt sich dort Ramones-Dummer Marky Ramone auf seiner Solotour die Ehre.

Delta Sleep Live Leipzig
Delta Sleep freuen sich offensichtlich auf den Sommer. Foto: Fleet Union

Tipp des Monats: Wenn von “Math Rock” die Rede ist, kann man meist von seelenlosem Gefrickel ausgehen. Menschen, die ihre Instrumente sehr gut beherrschen, wollen in diesem Genre genau das zeigen, leider oft ohne Interesse daran, damit auch ihr Publikum zu begeistern oder gar zu berühren. Bei Delta Sleep ist das anders. Die Band aus Brighton ist auf ihren bisher vier Alben und vier EPs überaus virtuos und extrem einfallsreich, versteht es dabei aber auch, Unmittelbarkeit und Leidenschaft zu transportieren. Am 24. Juli kann man das im Naumanns erleben.

Unbedingt vermeiden: ASP spielen am 14. Juli auf der Parkbühne des Clara-Zetkin-Park. Alles, was irgendwo in der Nähe von “Dark Wave”, “Gothic” oder “schwarze Szene” rangiert, sollten Menschen mit funktionierenden Ohren ablehnen. Umso mehr gilt das, wenn diese Musik auch noch im Freien an einem Sommerabend aufgeführt werden soll.

August

Der Leipziger Konzertkalender leidet im August traditionell darunter, dass viele Künstler*innen und Fans noch in den Sommerferien sind. Erschwerend hinzu kommt, dass die ganz großen Namen dann eher Festivals spielen als eigene Tourtermine (wovon man natürlich auch um die Ecke profitieren kann, wenn vom 18. bis 20. August das Highfield über die Bühne geht). Trotzdem bietet der August ein paar schöne Möglichkeiten für Live-Unterhaltung. Lygo werden am 11. August im Naumanns mit klugem Punkrock sicher für beste Stimmung sorgen. Tocotronic und ihren Fans darf man am 26. August für die Show auf der Parkbühne Geyserhaus bestes Wetter wünschen. Auf der Freilichtbühne im Clara-Zetkin-Park sind tags darauf die Bluegrass-Rabauken The Dead South aus Kanada zu Gast, womit man in Leipzig die wohl seltene Gelegenheit hat, Menschen im Publikum beim Spielen der Luft-Mandoline zu beobachten.

2raumwohnung 20 Jahre
2raumwohnung bringen Pop in den Park.

Tipp des Monats: Wohl kaum jemand in Deutschland hat das Prinzip Pop so gut verstanden wie Inga Humpe. Das galt schon vor 40 Jahren bei DÖF, man konnte es zuletzt in ihren Beiträgen für den Serien-Soundtrack zu Eldorado KaDeWe hören, und es trifft natürlich auch auf ihr Schaffen mit 2Raumwohnung zu. Aus Anlass des 20. Jubiläums der Band waren sie (mit zwei Jahren Verspätung) im Vorjahr schon in Leipzig im Täubchenthal zu sehen, auf die Parkbühne im Clara-Zetkin-Park, wo sie am 11. August auftreten, dürfte ihr Sound noch besser passen. Selbst dann, wenn es nicht 36°C heiß werden sollte.

Unbedingt vermeiden: Das Völkerschlachtdenkmal ist ohnehin schon eine fragwürdige Sehenswürdigkeit in der größten Stadt Sachsens, am 5. August sollte man aber erst recht einen großen Bogen darum machen. Sonst kommt man in Hör- und womöglich gar Sichtweite der “90s Super Show”, bei der unter anderem Rednex, East 17, Caught In The Act, Captain Jack und Oli P. zeigen werden, wie schlecht ihre wenigen Hits gealtert sind.

September

Der Livemusik-September könnte in Leipzig der Monat der feinherben Melancholie werden. Die kann man nämlich bestimmt bei Woods Of Birnam am 9. September auf der Parkbühne Geyserhaus erleben, ebenso wie am 17. September beim Gastspiel von Element Of Crime im Haus Auensee. Ein Mix aus viel Herz und Leidenschaft mit einem Hauch von Bitterkeit haben sicher auch Fortuna Ehrenfeld im Gepäck, wenn sie am 29. September im Kupfersaal vorbeischauen.

The Kiffness Leipzig Konzertkritik
The Kiffness bringt Cat Content nach Leipzig.

Tipp des Monats: Die wundersame Karriere von The Kiffness hat ihren Ursprung bei YouTube. Die Idee, sein Konzept (vereinfacht gesagt: tanzbare Tracks, die zum guten Teil aus gesampelten Katzenvideos bestehen) auf ein Live-Format zu übertragen, musste lange Zeit absurd erscheinen. Wie gut sich das allerdings in die Tat umsetzen lässt, hat der hoch sympathische Südafrikander schon im vergangenen Jahr im Täubchenthal bewiesen. Am 13. September schaut er wieder in Leipzig vorbei, diesmal im Naumanns. Das wird sicher wieder sehr unterhaltsam, Haustiere sind allerdings auch hier nicht erlaubt.

Unbedingt vermeiden: Es ist wohl – nicht nur wegen der obskuren Aussagen während der Corona-Pandemie – nicht zu weit her geholt, Jan Josef Liefers als selbstverliebt zu bezeichnen. Am 1. September ist er mit seiner Band Radio Doria auf der Parkbühne im Clara-Park zu Gast. Vielleicht ist es heilsam für ihn, wenn da einfach niemand auftaucht. Und wer einfach nur mal die Chance haben will, den Mann aus dem Münster-Tatort in Fleisch und Blut zu sehen, kann ja stattdessen am 16. September ins Haus Leipzig gehen. Dann spielt dort seine Ehefrau Anna Loos, und er steht vielleicht am Bühnenrand, ohne zu singen.

Oktober

Die Chance, in den Tag der deutschen Einheit hineinzufeiern, kann man sich diesmal gleich an zwei Orten von feiner Musik begleiten lassen: The Jeremy Days sind am 2. Oktober im Rahmen ihrer Comeback-Tournee im Naumanns zu sehen, im Werk 2 stehen zur selben Zeit die wunderbaren Kakkmaddafakka auf der Bühne. Auch an zwei anderen Abenden im Oktober dürfte die Entscheidung schwer fallen: Am 16. Oktober konkurriert Lina Maly (im Täubchenthal) mit dem Patti Smith Quartet (Haus Auensee), am 24. Oktober wird es sicherlich einige Leute geben, die gerne sowohl Die Nerven (im UT Connewitz) als auch Sleaford Mods (im Täubchenthal) sehen würden. Schon am 5. Oktober geben Die Prinzen ihr Heimspiel in der Quarterback Immobilien Arena aus Anlass ihres 30-jährigen Bestehens, die Arena wird dann am 24. Oktober sicher auch von Sido gefüllt.

Juse Ju Interview
Juse Ju macht Deutschrap in clever.

Tipp des Monats: Sein Kumpel Fatoni hat gerade erst im Conne Island begeistert, am 27. Oktober ist Juse Ju dort selbst live zu erleben und wird zeigen, wie intelligent, abwechslungsreich und unterhaltsam Deutschrap sein kann. Dazu gibt es sicherlich den einen oder anderen Aufruf zum Engagement für die gute Sache. Und getanzt werden darf dazu auch. Wer eine seiner vielen Shows in Leipzig gesehen hat, wird sicher wieder dabei sein wollen.

Unbedingt vermeiden: Das Pferd, das The BossHoss einmal getragen hat, ist totgeritten. Das liegt nicht unbedingt daran, dass ihre Masche von Anfang an nur eine überschaubare Halbwertszeit hatte, und auch nicht an Sellout-Aktionen wie der langjährigen Mitwirkung bei Castingshows oder Nebenjobs als Sounddesigner für Großkonzerne. Es liegt daran, dass die “Urban Cowboys” einfach keine vernünftigen Songs mehr hinbekommen und selbst das Konzept mit countryfizierten Coverversionen nicht mehr zündet.

November

Den November darf man wohl als Highlight der Konzertsaison in Leipzig betrachten, die Spanne reicht dabei von Weltstars (Björk am 24., Sting am 28. November, jeweils in der Arena) über verdiente Veteranen ihrer jeweiligen Genres (Protomartyr am 1. November im UT Connewitz, Oliver Koletzki am 21. November im Täubchenthal, die Donots am 29. November im Auensee) bis hin zu spannenden Newcomern (Alli Neumann am 13. November im Täubchenthal). Unbedingt empfehlenswert ist ein Besuch im UT Connewitz am 2. November, wenn Timber Timbre dort zu sehen sind. Eine Woche später spielen Life Of Agony im Täubchenthal, am 11. November müssen sich Musikfans (auch wenn die Zielgruppen nicht sehr viele Überschneidungen haben dürften) zwischen dem unkaputtbaren Stoppok im ebenso unkaputtbaren Anker und Max Raabe samt Orchester in der Arena entscheiden. Am letzten Tag des Monats empfiehlt es sich, in der Moritzbastei vorbeizuschauen, wo sich Yasin die Ehre gibt, der zuletzt erst im Februar (damals noch gemeinsam mit Audio88) in Leipzig zu sehen war.

Ein bisschen Rot gab es aber auch.
Selig werden 30 – und feiern das live.

Tipp des Monats: Das Konzept “Wir spielen ein legendäres Album zu einem runden Jahrestag live in voller Länge” konnte man in den vergangenen Jahren ja regelmäßig erleben, auch in Leipzig. Es dürfte allerdings nur wenige deutsche Bands geben, die ein solches Album gemacht haben und zugleich so würdevoll gealtert sind, dass man eine Jubiläums-Show dieser Art ohne Gefahr von Peinlichkeit herbeisehnen könnte. Beim Debütalbum von Selig ist dies allerdings gegeben. Die Platte war damals nicht nur ein wichtiger Türöffner für deutschsprachige Rockmusik im Mainstream, sondern tatsächlich ein Werk, das die Zeit gut überdauert hat. Am 11. November spielen Selig aus Anlass des 30. Jubiläums im Täubchenthal.

Unbedingt vermeiden: Wenn es denn dabei bleibt, tritt Rammstein-Sänger Till Lindemann mit seinem Soloprogramm am 8. November in der Arena auf. Dass nach den Vergewaltigungs-Vorwürfen rund um “Row Zero” für die Ab-18-Show tatsächlich ein VIP-Paket angeboten wird, das Zugang zu einem exklusiven ”Backstage Club” und einen Hostess-Service umfasst, ist mindestens unsensibel.

Dezember

Highlights am Monatsanfang und -ende sowie ein Kracher mittendrin – so wird der Konzertjahr 2023 in Leipzig abgeschlossen. Betterov macht am 2. Dezember im Felsenkeller den Beginn, am 16. Dezember sind dann Pabst, die sich in vielen Listen mit den besten Livebands Deutschland sehr weit oben finden und das zuletzt auch mit einem Livealbum untermauert haben, im UT Connewitz zu sehen (und sicherlich in schätzungsweise 4 Kilometer Umkreis zu hören). Am 27. Dezember herrscht dann Plauzen-Alarm in der Messestadt, nicht nur wegen der vorangegangenen Weihnachtsfeiertage samt Festschmaus: Dritte Wahl spielen an diesem Abend im Haus Auensee, parallel haben JBO im Felsenkeller sicherlich auch alles andere im Sinn als Besinnlichkeit.

Blond Perlen Albumkritik
Blond beenden ihre Tour in Leipzig.

Tipp des Monats: Der vollkommen berechtigte Siegeszug von Blond wird am 3. Dezember im Felsenkeller wohl weitergehen. Nicht nur, weil hier ein sächsisches Heimspiel und das Finale der Tour zum wunderbaren Album Perlen ansteht, sondern auch, weil das Trio aus Chemnitz immer wieder zeigt, wie problemlos sich Aktivismus und Spaß vereinen lassen – und live meist noch ein paar sehr schräge Überraschungen zu bieten hat.

Unbedingt vermeiden: In Zeiten, in denen die Errungenschaften der Aufklärung immer mehr ins Wanken geraten, sollte man sich auf keinen Fall ins Mittelalter zurückwünschen. Der Sound von In Extremo (am 15. Dezember im Haus Auensee zu Gast) ist auch vollkommen unabhängig davon in jedem Jahr der Menschheitsgeschichte ein Quell des Grauens.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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