William Fitzsimmons – „Lions“

Künstler William Fitzsimmons

Stilsicher und einfühlsam ist William Fitzsimmons auch auf "Lions".
Stilsicher und einfühlsam ist William Fitzsimmons auch auf „Lions“.
Album Lions
Label Grönland
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Das besondere Gehör ist, gleich in mehrfacher Hinsicht, ein wichtiger Schlüssel zu dieser Platte. Zunächst im Hinblick auf die Zielgruppe. „The people that get it. The people that really get it”, will William Fitzsimmons mit Lions erreichen. “They hear a lot more than just, you know, some depressed bearded guy“, hat er angesichts der Rezeption seiner bisher fünf Alben festgestellt.

Das besondere Gehör ist es aber auch auf ihn selbst bezogen, was Lions ausmacht. Erneut zeigt sich William Fitzsimmons hier sagenhaft einfühlsam, er musiziert ganz intuitiv, er beweist einen famosen Blick fürs Detail. Man kann nicht anders als das auf die Tatsache zurückführen, dass er als Kind blinder Eltern aufgewachsen ist, also in einem Haushalt, in dem Geräusche, Töne und Musik eine ganz besondere Aufmerksamkeit bekamen.

Neben den Platten von Joni Mitchell oder Leonard Cohen stand in seinem Elternhaus auch eine Sammlung von Gitarren, Pianos und anderen Instrumenten herum, und die Wertschätzung dafür muss wohl besonders groß sein, wenn man die kommunikative Kraft von akustischen Signalen noch unmittelbarer erfährt als andere Menschen. Psychologen aus Montreal haben unlängst untersucht, warum sich Blinde im Alltag sehr viel besser an Geräuschen orientieren können als Sehende. Das Ergebnis: Sie entwickeln ein besonders sensibles Gehör, weil die dafür zuständigen Areale im Gehirn bei ihnen schneller und präziser arbeiten. Zusätzlich nutzen sie auch Hirnareale, die bei Sehenden für die optische Wahrnehmung zuständig sind, für das Hören. Deshalb haben sie auch ein besonders feines Gespür für Musik.

William Fitzsimmons ist zwar nicht blind, aber wenn man Lions hört, dann muss man annehmen, dass er diese Fähigkeit ebenfalls erlernt hat. Denn die Platte zeigt ihn als fast traumwandlerisch stilsicheren Songwriter. “I had probably the biggest changes ever in my life happening it the last couple of years. (…) It is about very specific people and circumstances and instances”, umschreibt Fitzsimmons die Themen seines sechsten Albums. “I guess, I just allowed the experience and emotion of that to dictate what happens with the music.”

Entsprechend spontan und organisch klingt vieles, ohne deshalb vorläufig oder simpel zu erscheinen. Im Opener Well Enough gibt es fast nur das Picking einer akustischen Gitarre, und dazu seine gehauchte Stimme, warm wie der erste Frühlingswind. Wenig später fragt er in Brandon zu virtuosen Gitarren „May I lay beside you now?“ in einem Ton, dass kein Mensch diese Bitte verwehren könnte.

Eine besondere Stärke von Lions ist der Blick fürs Detail, an dem Produzent Chris Walla (The Decemberists, Tegan And Sara) sicherlich einigen Anteil haben dürfte. ”I made a list of the producers who were making the music and records that most meant something to me. With no expectation I got in touch with the person at the top of the list”, erzählt Fitzsimmons, wie die Zusammenarbeit mit dem Death-Cab-For-Cutie-Gitarristen zustande kam. “And, in a few months, I was on a plane to Seattle to begin working with Chris Walla to turn these songs in a notebook into the collection I wanted them to become.”

Im praktisch schwebenden Josie’s Song gibt es ein sehr sparsames, aber effektvolles Klavier. Fortune entwickelt einen dezenten, aber erstaunlichen Drive und bietet ein faszinierendes Zusammenspiel der beiden Stimmen. Lions verbreitet eine brüchige, herbe Melancholie wie Nada Surf. Vor allem im letzten Drittel des Albums gibt es ein paar kleine Extravaganzen, die das Werk besonders spannend machen. From You kommt mit Orgel und jazzigem Schlagzeug daher, Centralia ist am Beginn sogar Hardrock im Ramsch-Sound, um dann filigran wie eh und je zu werden und schließlich mitten in einem Refrain abrupt zu enden.

Daneben steht prototypischer Fitzsimmons. „I returned simply to the things which have always brought me some measure of understanding, peace, and movement. I began to write and play music without ‘motive’ or ‘goal’ or end result in mind”, betont der 35-Jährige seinen explizit unverkopften Ansatz. Das traumhafte Hold On macht das deutlich, auch Sister ist romantisch wie nur was, der Schlusspunkt Speak bleibt eine Klavierskizze. In Blood/Chest darf das Tremolo in seiner Stimme glänzen, mit Cello und ein bisschen Klavier, so zart und perfekt wie das einst Nick Drake hinbekommen hat (dessen Pink Moon ist übrigens das Lieblingsalbum von William Fitzsimmons).

Zu den Höhepunkten gehört auch Took: Eine gedämpfte E-Gitarre, eine vibrierende Spannung und der zwischendurch in tiefer Tonlage bloß gesprochene Text sorgen für ein bisschen U2-Atmosphäre. Aber William Fitzsimmons ist schlau genug, daraus keine große, pathetische Geste zu machen, wenn er „But you turn your back on me“ singt. Stattdessen wird der in dieser Zeile besungene Abschied beinahe hingenommen – vielleicht auch, weil Fitzsimmons um die eigene Fehlbarkeit weiß und ahnt, dass es nichts weniger als selbstgerecht wäre, gegen so eine Entscheidung anzukämpfen. Schließlich arbeitete dieser Mann jahrelang als Psychotherapeut, bevor er sich endgültig der Musik widmete.

Auf das besondere Gehör legt William Fitzsimmons schließlich noch in einer dritten Hinsicht Wert. Er will nicht, dass sein neues Album zu sehr analysiert und seziert wird, sondern einfach gehört. “Lions is something I’m terribly proud of and utterly connected to”, sagt er. “It’s a very personal piece to me (aren’t they all) and something that I want you to connect with deeply. And I think you will. I honestly don’t want to say too much about the music, because the truth is if music is of any worth, it should be able to speak for itself.“

Auch Badespaß klingt im Hause Fitzsimmons ein bisschen betrüblich, zeigt das Video zu Fortune.

httpv://www.youtube.com/watch?v=M1L8dNVaanQ

William Fitzsimmons gibt es derzeit live zu sehen:

14.02.2014 – Zoom (Frankfurt)

15.02.2014 – Zakk (Düsseldorf)

16.02.2014 – Kampnagel (Hamburg)

18.02.2014 – E-Werk (Erlangen)

19.02.2014 – Jazzhaus (Freiburg)

20.02.2014 – Gloria (Köln)

21.02.2014 – Forum (Bielefeld)

23.02.2014 – Colos Saal (Aschaffenburg)

24.02.2014 – Postbahnhof (Berlin)

25.02.2014 – Beatpol (Dresden)

26.02.2014 – Feierwerk (München)

27.02.2014 – KJH Hallschlag (Stuttgart)

01.03.2014 – Faust (Hannover)

03.03.2014 – Pumpe (Kiel)

10.03.2014 – Skaters Palace (Münster)

Homepage vom William Fitzsimmons.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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