| Künstler*in | Shitney Beers | |
| Album | Amity Island | |
| Label | Grand Hotel van Cleef | |
| Erscheinungsjahr | 2024 | |
| Bewertung | ![]() |
Foto oben: Fleet Union / Aylin Sengül |
Kürzlich hat mir jemand folgendes Bonmot verraten: Wenn man Der weiße Hai rückwärts schaut, dann spuckt ein Hai so lange Menschen aus, bis sie ein Strandcafé auf einer Insel eröffnen.
Aus zwei Gründen muss ich beim dritten Album von Shitney Beers daran denken. Erstens ist die Platte nach der Ferieninsel benannt, auf der sich die Handlung des Steven-Spielberg-Klassikers abspielt: Amity Island. Zweitens ist das Ausspucken von Menschen eine Aktion, die wunderbar zu den Inhalten dieser Songs passt. Es geht immer wieder um hartnäckige Verletzungen, plötzliche Abschiede, schmerzhafte Trennungen – und Frontfrau Maxi Haug scheint dabei niemals der Hai zu sein, sondern immer die Person, die ausgespuckt wird.
Sie hat Shitney Beers ursprünglich als Soloprojekt gestartet, mittlerweile ist daraus eine fünfköpfige Band geworden. Wie sehr insbesondere ihr Gesang weiterhin den Sound prägt, zeigt ein Lied wie Lisa, das zwar Vorwärtsdrang hat, aber ganz sanft bleibt. Auch in S/T Is For Septic Tank ragt die Stimme heraus, und auch hier gibt es einen Widerspruch, um den alles kreist: Die Atmosphäre ist heiter, etwa durch den unsteten Bass und den Babababa-Chor, doch der Text erzählt von Unglück, Selbstanklage und hoffnungsloser Suche nach Hilfe: „Now I’n knee-deep in shit and you’re nowhere to be found.“
Die Texte sind auch sonst erneut herausragend und von großer Sensibilität getragen. Schon das Intro erweist sich rund um die Selbstbeschwörung „I won’t fuck this up“ als ein Statement totaler Unsicherheit und Erschöpfung. In Lachrymal Glands thematisiert Maxi Haug Selbstzweifel und Angst („All I do is defecate and lie to myself“), immerhin aber auch die Erkenntnis, wie gut sie all diese Muster erkannt und wie gemütlich sie sich in ihnen eingerichtet hat. Aus diesen Mustern auszubrechen, bleibt natürlich dennoch schwer: „I’m so angry I wanna make a change / but I’m scared of so many little things.“ Done (mit Lina Brockhoff als Gast) erweist sich als tolle Ballade und ergreifendes Liebeslied, natürlich ebenfalls von Unsicherheit geprägt: „I feel like a tool / I don’t know how to use.“ Ducks In Morocco ist zunächst getragen und beinahe träge, auch wenn in diesem „It’s about fucking time“ nicht nur viel Ungeduld steckt, sondern auch viel Schmerz.
Dennoch klingt diese Musik niemals deprimierend. Songs wie Dawn Girl zeigen, wie viel Energie sich bei Shitney Bears entladen kann, der Track ist straight und druckvoll, etwa in der Nähe von Sleater-Kinney. Auch Simp macht großen Spaß (nicht nur wegen der Kuhglocke) und klingt wie die akustische Entsprechung von Abenteuer, Jugend und Ungehorsam. Das ebenso schwungvolle Lucky Get Laid lässt sogar Humor, Lust auf Ausgelassenheit und Provokation erkennen und vereint viele der Dinge, die an Amity Island wundervoll sind. Dazu gehören viele Referenzen zu Nineties-Indierock (hier etwa die Lemonheads, in anderen Fällen klingen Pavement oder Elliot Smith durch), dazu gehört auch der klare Wille, dabei eingängig zu bleiben (This Is Pop heißt schließlich das 2022 veröffentlichte Vorgängeralbum).
Selbst, wenn es um Erfahrungen mit Mensplaining geht wie in N4N, klingt das Ergebnis zwar bittend und flehend, aber nicht aus einer Position der Defensive heraus, sondern vor lauter Ermüdung angesichts der Notwendigkeit, etwas so Selbstverständliches wie das Pochen auf Geschlechtergerechtigkeit immer wieder erklären zu müssen. „If I had a dick / would you tell ‚em how to use it / or would you just assume I knew?“ Nicht nur ein bisschen Augenzwinkern gibt es auch in Maya Hawke, dem Hit und Highlight von Amity Island. Nach 10 Sekunden hat man in diesem „love song to my favourite actress“, wie es im Text heißt, schon mindestens drei Sachen entdeckt, die man mega finden muss, danach wird es noch besser.
We’re Gonna Need A Bigger Boat schließt die Platte ab und stellt dann auch den expliziten Bezug zum Albumtitel her. „So I’m stuck on amity island with you“, lautet die Situationsbeschreibung. Diese Insel klingt nach einem sehr kuscheligen Ort, auch wenn aus diesem Kuscheln wohl niemals Knutschen, Petting oder Sex werden wird. Aber immerhin gibt es dort, anders als bei Spielberg, auch kein Blutvergießen.


