Künstler*in | Sleater-Kinney | |
Album | Little Rope | |
Label | Loma Vista | |
Erscheinungsjahr | 2024 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Beats International / Chris Hornbecker |
„Hell needs no invitation“, lautet eine der ersten Zeilen auf dieser Platte, und darin steckt die vielleicht wichtigste Erfahrung, die Little Rope geprägt hat: Das Unheil kündigt sich nicht an, schon gar nicht fragt es um Erlaubnis, bevor es in dein Leben kracht. Es schlägt einfach zu, und dann bist du in der Hölle, von einem Tag auf den anderen.
Für Carrie Brownstein, eine Hälfte von Sleater-Kinney, kam dieser Moment im Herbst 2022. Sie erhielt einen Anruf von ihrer Duo-Partnerin Corin Tucker, und die teilt ihr mit, was sie selbst gerade von den Behörden in Italien (wo sie seit Jahren als Notfallkontakt ihrer Bandkollegin hinterlegt war) erfahren hatte: Brownsteins Mutter und Stiefvater waren während ihres Urlaubs bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Hell ist nun das Lied, das diesen Schockoment verarbeitet. Es hat einen sehr reduzierten Beginn, nur mit Gesang und ein paar einzelnen Gitarrentönen, nach einer knappen Minute wird daraus zum Refrain aber nicht nur eine Steigerung, sondern eine Eruption. Auch danach finden sich innerhalb der zehn Lieder auf Little Rope immer wieder Spuren dieser Verlusterfahrung. „But for now, I won’t go out / got this ache, got my dark clouds“, heißt es in Don’t Feel Right, das enorm viel Punch und Ungeduld ausstrahlt. „Give me a reason, give me a remedy / give me a new word for the old pain inside of me“, hört man in Dress Yourself, das vom Arrangement her fast Pop ist (man könnte sagen: eher Garbage als Garage), auch wenn da ganz viel Dunkles im Hintergrund arbeitet.
Say It Like You Mean It ist klanglich ähnlich, vielleicht würden Blondie so klingen, wenn sie wirklich wieder edgy sein wöllten. Auch hier gibt es mit „Too many losses / have left me down“ so eine Zeile, die angesichts der Begleitumstände für einen Kloß im Hals sorgen kann. Hunt You Down hat seinen Songtitel aus einem Satz, der Brownstein aus einem Gespräch mit einem Bestattungsunternehmer in Erinnerung geblieben ist. Dieser wiederum hatte ihn von einem Vater gehört, der gerade sein eigenes Kind zu Grabe tragen musste: „Das, was du am meisten fürchtest, wird dich irgendwann zur Strecke bringen.“ Unter anderem der gebremste Discobeat im Refrain und viel Hall sorgen im entsprechenden Song für eine aufregende Atmosphäre.
Angie Boylan hat diesmal den Platz am Schlagzeug eingenommen, für den Sound mit erstaunlich vielen Keyboard- und Elektronik-Elementen ist wohl in erster Linie Produzent John Congleton verantwortlich. „Wir wollten eigentlich schon lange mit John zusammenarbeiten, aber erst bei dieser Platte standen die Sterne günstig, um es zu verwirklichen“, sagt Tucker. Man kann festhalten: Es ist das vierte Album seit ihrer Reunion 2014, jedes Mal gab es eine andere Besetzung für die Produktion (St. Vincent, ihr langjähriger Mitstreiter John Goodmanson, zuletzt hatten Sleater-Kinney selbst produziert) – und noch nie war der Einfluss auf den Sound so groß. Im Kern ist das natürlich noch immer sehr direkte Rockmusik, aber Congleton schafft es, vielen Tracks nicht nur Frische einzuhauchen, sondern auch zusätzliche Dimensionen.
Needlessly Wild lässt in seiner fast unmittelbaren Bedrohlichkeit an die Blood Red Shoes denken, auch das in manchen Passagen sehr urtümliche, in anderen hoch moderne Crusader, dessen klare Ansage an geistige Brandstifter und Populisten man wohl gerne auch politisch verstehen darf, klingt in keinem Moment wie von einer Band, die seit fast 30 Jahren besteht. Small Finds verkörpert unter anderem durch ein paar atonale Elemente viel Abenteuerlust, in Six Mistakes erweisen sich das dunkle Piano und die Schmerzensschreie der Gitarre als tolle Features. Der Album-Schlusspunkt Untidy Creature („But there’s too much here that’s unspoken / and there’s no tomorrow in sight“, lauten hier die entscheidenden Zeilen) lebt vor allem vom tollen Gesang, der subtil sein kann und kraftvoll, voller Leidenschaft und jederzeit auch mit doppeltem Boden.
„Ich glaube, ich habe seit meinen Teenagerjahren und frühen Zwanzigern nicht so viel Gitarre gespielt“, sagt Brownstein über ihre Methode, die Nachricht vom Tod der Eltern zu verarbeiten. „Ich habe meine Finger stundenlang über das Griffbrett gleiten lassen, einfach um mich selbst daran zu erinnern, dass ich immer noch zu grundlegenden motorischen Fertigkeiten fähig war, zu Bewegung und zur Existenz.“ Daraus ist mit Little Ropes ein sehr eindrucksvolles, bewegendes und stolzes Statement geworden.