Villagers – „The Art Of Pretending To Swim“

Künstler Villagers

Villagers The Art Of Pretending To Swim Review Kritik
Spiritualität ist ein wichtiges Motiv auf „The Art Of Pretending To Swim“.
Album The Art Of Pretending To Swim
Label Domino
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Die Lieder haben so etwas wie eine Affäre mit dem kreativen Geist“, sagt Conor O’Brien über die neun Stücke auf The Art Of Pretending To Swim. Der Mann, der hinter Villagers steckt und die Platte in seiner Wohnung in Dublin aufgenommen hat, liefert gerne noch mehr Kontext für sein viertes Album: „Es gibt auch verbindende Themen wie die Tatsache, dass unser Alltag von der Technologie gekapert wurde, dieses Gefühl, dass wir etwas Unbekanntem entgegentaumeln in einer dystopischen Welt. Es gibt auch Hinweise, wie man mit den Liedern in Verbindung treten kann, eher Stimmungsverstärker als ein wirkliches Narrativ. Jedes Lied schlägt seinen eigenen Pfad ein, auch das Album insgesamt schlägt seinen eigenen Pfad ein. Aber ich kann das nicht wirklich erklären. Deshalb singe und komponiere ich ja – mein Kopf wäre ein einziges Chaos, wenn ich das nicht täte. Diese Lieder sind kleine Teile des Weinens, oder Lachens oder Träumens. Es geht nicht darum, dass sie etwas beschreiben oder eine Aussage haben.“

Diese etwas nebulösen Zitate zeigen: Mit seiner Musik als Villagers kann er die Turbulenzen in seinem Hirn und Herz viel besser zum Ausdruck bringen als mit seinen Worten als Conor O’Brien. Die Lieder auf The Art Of Pretending To Swim beweisen das ebenfalls.

Again eröffnet die Platte mit den Zeilen „I’ve found again / a place in my heart again / for God again / in the form of art again.” Auch darin findet sich der Gedanke, die Kunst sei der wahre Schlüssel zum Weltverständnis, zugleich zeigen sich hier – untermalt von sanftem Gitarrenpicking, sanftem Schlagzeug und sanftem Klavier, später von einem Synthesizer und dem Schreien von Möwen – mit Religion und Spiritualität schon wichtige Leitmotive. Als Kind war Conor O’Brien besessen von Gott, voller Angst, der Allmächtige könne seinen Liebsten seine Gunst entziehen. Später war er Atheist und Agnostiker, neuerdings spürt er wieder einen Drang, zu glauben. „Nenne es Liebe, Zusammenhalt, Gott, irgendwas. Über Glaube kann man einfach nicht diskutieren, was auf einer Seite eine schreckliche Aussicht ist, worin auf der anderen Seite aber auch eine Menge Schönheit steckt.“

Das Thema findet sich auch im folgenden A Trick Of The Light, das dezent funky wird. Angesichts all dessen, was er nicht erklären oder gar selbst steuern kann, kommt er wieder zum Gedanken  „I’m a man of the faith“, der sich hier wie eine sehr befreiende, entspannende Erkenntnis anfühlt. In Sweet Saviour steckt der Bezug zum selben Thema schon im Songtitel, auch hier gibt es einen verspielten Rhythmus, in dem ordentlich Energie steckt.

„Mit Darling Arithmetic [dem 2015 veröffentlichten Vorgänger] wollte ich eine sehr raumgreifende Atmosphäre, in der alles entschleunigt wird. Das hat auch gut funktioniert. Aber ich glaube, noch weiter hätte ich diesen ernsten Ansatz von ‚Ich flüstere meine Musik direkt in dein Ohr‘ nicht mehr entwickeln können. Ich wollte wieder experimentieren, etwas dazulernen, etwas mit mehr Groove und Wärme machen, etwas, wozu man auch tanzen kann“, erklärt der Künstler diesen neuen Schwung bei Villagers.

Es gibt noch mehr Neuerungen, etwa einen stärkeren Einsatz der Möglichkeiten von Aufnahmetechnik. Long Time Waiting ist ein treffendes Beispiel: Das Klavier ist fast hypnotisch, das Schlagzeug umtänzelt es, dann scheinen die Bläser das Stück kurz in Richtung Karneval in Rio entführen zu wollen. „Es ist das erste Album, bei dem ich mich wirklich intensiv mit der Produktion und dem Mix beschäftigt habe. Der Sound und die einzelnen Klänge sind mir heute viel wichtiger als früher“, sagt O’Brien.

Love Came With All That It Brings scheint Jazz mit einem Beinahe-HipHop-Beat vermählen zu wollen, das Ergebnis könnte man sich von DJ Shadow vorstellen. Diese Assoziation ist auch deshalb wohl nicht gänzlich falsch, weil dies das erste Villagers-Album ist, auf dem mit Samples (aus What Then von den Dixie Hummingbirds und Sugar Lee von Donnie Hathaway) gearbeitet wird. Alice Coltrane, Nina Simone und Pharaoh Sanders nennt O’Brien zudem als wichtige Einflüsse für The Art Of Pretending To Swim. „Ich bin ein zurückgezogener Mensch, der sich zu viele Gedanken macht. Deshalb ist diese Art von Musik wirklich gut für mich. Sie ist eine sehr ursprüngliche Form, sich auszudrücken, wie ein Gegenpol zu meinem grüblerischen Charakter.“ Als Mitstreiter hat er Maaike Van Der Linde, Cormac Curran, Siobhan Kane, die Bläser von The Greenhorns und Cormac ÓhAodáin angeheuert. Letzterer spielt das French Horn in Ada, dem Abschluss der Platte. Das Lied ist der Mathematikerin Ada Lovelace gewidmet, die im 19. Jahrhundert die ersten Algorithmen entwickelt und Programme für Rechenmaschinen geschrieben hat. Der Song spürt hier zu einem analog-futuristischen und etwas spinnerten Sound, wie er gut zu Air passen würde, dem Gedanken nach, dass die Dame vieles von dem, was daraus folgen sollte, vielleicht bereits geahnt hat – einschließlich der destruktiven Effekte, die wir heute erleben.

Fool nennt O‘Brien „einen romantischen Kampfschrei aus dem Zentrum einer technologische Dystopie“, es erweist sich als moderner, ergreifender Folk, wie man ihn auch von Badly Drawn Boy oder I Am Kloot kennt. In Real Go-Getter will das Schlagzeug antreiben, der Rest will schweben, letztlich gelingt beides und wahrscheinlich finden sich diese beiden Linien im Awayland, wie das 2013er Album von Villagers hieß. Hold Me Down ist in der ersten Hälfte sehr zerbrechlich, die zweite Hälfte wird veredelt von ungewöhnlichen und wundervollen Streichern.

Den Titelsong sucht man übrigens vergebens. O‘Brien hat zwar ein Lied aufgenommen, das This Is The Art of Pretending To Swim heißt, aber „das war ein bisschen zu durchgeknallt, um es auf das Album zu nehmen”, sagt er. Der Track soll nun auf einer EP das Licht der Welt erblicken, auf der auch eine längere Version von Ada enthalten sein soll. Den Titel hat O’Brien dennoch unbedingt beibehalten wollen, denn er sieht auch darin eine gute Zusammenfassung des Villagers-Prinzips: „Es geht um Überleben und Gazie. Es ist eine Anordnung von Wörtern, durch die ich das gesamte Album filtern kann. Ich weiß, was ich damit meine, und ich würde gerne wissen, was es für den Hörer bedeutet. Es ist mein Blick aufs Leben: Man ertrinkt nicht, aber man schwimmt auch nicht wirklich. Irgendwie improvisiert man die Dinge, mit blinder Zuversicht.“

Einen spannenden Spaziergang zeigt das Video zu A Trick Of The Light.

Website von Villagers.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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