Madsen Ein bisschen Lärm

Weihnachtsfutter für die Ohren mit Madsen, Joy Denalane, Eels, IUMA, Villagers, Lisa Hannigan und Volkan Baydar

Madsen brachte man bisher ja eher (so auch in diesem Sommer) mit der Festival-Saison in Verbindung als mit der festive season. Mit Es geht wieder los (***1/2) hat die Band aus dem Wendland aber erstmals eine Weihnachtssingle veröffentlicht. „Mit Es geht wieder los wollen wir unseren Fans spontan eine Freude machen. Es ist das erste Madsen-Weihnachtslied und wir haben es erst vor ein paar Wochen geschrieben und aufgenommen. Pünktlich zum Tourstart und zum ersten Türchen im Adventskalender wünschen wir den Menschen damit eine friedliche (Vor-)Weihnachtszeit – mit Humor und Madsen-Sound!“, sagte Frontmann Sebastian Madsen bei der Veröffentlichung Anfang Dezember. Was damit gemeint ist, wird schnell klar: Es gibt Glöckchen und Schmackes, Frohsinn und ein Gitarrensolo, es gibt Glühwein, Lichterketten und Schnee im Text, außerdem ein paar Popkultur-Anspielungen auf Last Christmas, Kevin allein zu Haus und Frank Sinatra – und natürlich einen Appell zu Liebe, Frieden, Hoffnung und Freundschaft, wie er nicht nur zu Weihnachten bestens passt, sondern eben auch zu dieser Band. „An alle, die mich hören: bitte seid lieb! / und wenn es geht, dann sogar / das ganze Jahr“, heißt das dann, und von wenigen Stimmen in Deutschland würde man sich so viel naive Klarheit so gerne gefallen lassen wie von Sebastian Madsen. Bei ihm und seiner Band dürte die Bescherung sehr nett werden, hat das Jahr 2023 neben vielen umjubelten Konzerten doch noch weitere Highlights in der fast 20-jährigen Madsen-Geschichte gebracht. So haben sie ihr eigenes Label „Goodbye Logik Records“ gegründet und mit dem im August veröffentlichten Hollywood erstmals die Spitze der deutschen Albumcharts erreicht.

IUMA Schau zu wie es brennt
IUMA könnte ein Grinch sein, glaubt sie. Foto: Fleet Union / Thomas Schober

Dass Weihnachten auch stressig sein kann, deuten Madsen in ihrem Song ebenfalls an, IUMA stellt diese Erfahrung aber ganz und gar ins Zentrum ihrer Single Schau zu wie es brennt (***1/2). Die aus Karlsruhe stammende und jetzt in Berlin lebende Musikerin, die Anfang des Jahres ihre Debüt-EP Genug vorgelegt hatte und danach beispielsweise im Vorprogramm von LEA, Wilhelmine und Lina Maly zu sehen war, weiß darum, wie schnell Streit, Eskalation und Frust drohen, wenn alle wild entschlossen versuchen, besinnlich zu sein und all die Konflikte bloß nicht anzusprechen, die man ein ganzes Jahr lang ignoriert und geleugnet hat. „Wir werden älter / aber das macht es nicht besser“, heißt es in ihrem von Kindheitsvideos unterlegten Weihnachtslied, begleitet von dem Verdacht: „Vielleicht bin ich der Familien-Grinch.“ Denn IUMA hat ganz offensichtlich keine Lust (mehr), sich für eine geschauspielerte Harmonie zu verstecken und ihren Widerspruch herunterzuschlucken, wenn er doch angebracht ist. Der Song, zugleich der Titeltrack ihrer zweiten EP, die am 8. März 2024 erscheinen wird, ist deshalb genau so, wie es ihre Erinnerungen an das Fest der Liebe offensichtlich sind: an der Oberfläche besinnlich und ruhig, aber darunter mit dem Wunsch nach Brandstiftung und Konfrontation.

Volkan Baydar hat noch ganz andere Probleme rund um den Heiligabend: Sein Clip zur neuen Single Weihnachtszeit (**) gleicht einem Slapstick-Film rund um all die Missgeschicke, die bei Geschenke-Transport, Festmahl-Zubereitung und Familien-Besuch passieren können. Dass dieses Chaos autobiographisch geprägt ist, darf bezweifelt werden, aber einen hohen Stellenwert hat das Fest bei Baydar, der 1971 als Kind türkischer Einwanderer geboren und dann als Sänger von Orange Blue (She’s Got That Light) bekannt wurde, in jedem Fall. „Viele gehen ja davon aus, ich sei Muslim. Aber Ich bin nicht religiös, eher spirituell“, sagt er. Zuhause in Hamburg wurde bei den Baydars durchaus Weihnachten gefeiert – mit Baklava statt Baumkuchen, wie er erzählt. Im Text kommen jetzt jedenfalls Josef und Maria ebenso wie das Erlassen der Sünden vor (das meines Wissens eher ein Thema für Ostern ist), zentral für die zweite deutschsprachige Solo-Single des Sängers ist aber die Zeile: „Süßer Kitsch, ich bin für dich bereit.“ Denn so liebevoll und leidenschaftlich hier Manches umgesetzt ist, so sehr wirkt es oft auch kalkuliert und irgendwie hingebogen.

Eine ganz eigene Weihnachtstradition hat Joy Denalane zuletzt geprägt: Ähnlich wie es Phoebe Bridgers bis vor Kurzem getan hat, veröffentlicht sie jedes Jahr pünktlich zum Fest der Liebe eine besondere Coverversion. Diesmal ist es The Christmas Song (***1/2), geschrieben von Robert Wells und Mel Tormé und 1946 erstmals aufgenommen von Nat King Cole, dessen spätere Fassung aus dem Jahr 1961 dann ein Hit wurde. Auch Bing Crosby und Perry Como haben das Lied aufgenommen, in jüngerer Vergangenheit gehörten beispielsweise Christina Aguilera und Ariana Grande zu den Interpretinnen. Die „Queen Of German Soul“ (Berliner Zeitung), die im Oktober ihr sechstes Album Willpower veröffentlicht hat, fügt eine wunderbare Fassung hinzu: Ihr The Christmas Song ist so lässig, entspannt und wohlig, dass man tatsächlich gar nicht anders kann als sich auf die Feiertage zu freuen.

Noch ein bisschen mehr nach Klassiker klingt die Vorlage, die sich Villagers und Lisa Hannigan für ihren gemeinsamen Festtags-Gruß ausgesucht haben: The Little Drummer Boy ist während des Zweiten Weltkriegs geschrieben und später von Musikgrößen wie Johnny Cash, Ringo Starr und David Bowie aufgenommen worden. Villagers-Sänger Conor O’Brien hat nach eigenen Angaben eine sehr besondere Beziehung zu diesem Stück: „Seit ich ein kleiner Junge war, hat dieses Lied von Katherine Kennicott Davis meine Fantasie mehr angeregt als jedes andere Weihnachtslied. Es ist ein Traum, es zusammen mit der unvergleichlichen Stimme von Lisa Hannigan aufzuführen“, sagt er. Ihre gemeinsame Version (****) reichert das zauberhafte Zusammenspiel der beiden Stimmen mit einem überaus geschmackvollen Arrangement an und wird innig, zerbrechlich und am Ende tatsächlich erhebend.

Auch im Weihnachtslied der Eels gibt es Glöckchen, eine zum Kuscheln einladende Kälte und einen Mistelzweig. „Jeder sollte mindestens drei Weihnachtssongs in seinem Katalog haben. Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe“, sagt Mastermind Mark Oliver Everett zu dieser Premiere. Wer ihn kennt, ahnt aber sicher schon, dass hier kein „Joy To The World“ und „Heidschi Bumbeidschi“ ausgebrochen ist. Stattdessen bleibt er auch im Advent der Miesepeter, den wir so lieben. „Christmas“, heißt das erste Wort in seinem Text, und er singt es wie einen Vorwurf, nach dem die Wörter „you stupid piece of shit“ als Fortsetzung gut vorstellbar wären. Stattdessen folgt dann, immerhin, die Frage „Why you gotta do me like this?“ Denn unser Erzähler ist verliebt, diese Liebe wird nicht erwidert und das tut rund um Weihnachten natürlich besonders weh. Christmas, Why You Gotta Do Me Like This (****) ist auf dem gerade erschienenen Best-Of-Album EELS So Good: Essential EELS Vol. 2 (2007-2020) zu finden.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.