Wenige Acts haben es geschafft, mit einem so schmalen Oeuvre (bisher drei Alben) einen so einmaligen und unverkennbaren Sound zu erschaffen wie Justice. Mehr noch: Gaspard Augé und Xavier de Rosnay bieten nicht nur Wiedererkennungswert und Innovation, sondern eine bisher praktisch makellose Gesamt-Ästhetik. Dass die beiden Franzosen nicht vorhaben, daran etwas zu ändern, zeigt One Night/All Night (****1/2) als Vorbote auf das neue Album Hyperdrama, das am 26. April erscheinen wird. Der Song mit Kevin Parker von Tame Impala als Gast platzt beinahe vor Ideen, schlägt immer neue Volten und wird von einem klasse Bass zusammengehalten. „Wir wollten, dass dieser Track so klingt, als hätte eine Dark-/Techno-Version von Justice ein Sample einer Disco-Version von Kevin Parker gefunden“, sagt das Duo dazu. „Kevin hat ein faszinierendes Gespür für Melodien, da er es schafft, Melodien zu schreiben, die sich sowohl einfach und natürlich als auch gleichzeitig sehr eigenartig anhören. Dieser Song oszilliert zwischen reiner elektronischer Musik und reinem Disco, aber man bekommt nie wirklich beides gleichzeitig zu hören. Diese Idee, innerhalb eines Songs sofort von einem Genre zum anderen zu wechseln, zieht sich durch das gesamte Album.“ Das wunderbare Video ist unter der Regie von Anton Tammi entstanden und greift das Artwork für Hyperdrama auf. „Ich habe ihnen vorgeschlagen, dass wir eine Reise ins Innere des Kreuzes wagen sollten“, erzählt er über seine Idee für den Umgang mit dem Justice-Markenzeichen. „Ich habe immer davon geträumt, so ein seltsames, experimentelles Objekt zu erschaffen, das aussieht, als hätte man eine menschliche Lunge mit Rave-Beleuchtung ausgestattet und würde lauter Stroboksop-Lichter um das menschliche Herz herum zünden.“ Parallel veröffentlichen Justice sogar Generator als zweite neue Single. Für den Sommer sind Festival-Auftritte geplant, jedoch bisher nicht in Deutschland
“I’m still standing up and there’s nothing you can do!“, singt Frank Turner in seiner neuen Single, und besser kann man den notorischen Drang zu Aufruhr, Kritik und Widerstand wohl kaum mit der völligen Verweigerung, sich in dieser Attitüde selbst zu überhöhen, zusammenbringen. Die Single Do One (****1/2) ist die erste Kostprobe vom zehnten Album des Engländers, Undefeated wird am 3. Mai erscheinen. Nachdem er zuletzt mit FTHC (2022) sogar die Spitze der UK-Charts erreicht hatte, geht er diesmal in Business-Hinsicht mehrere Schritte zurück zu den Wurzeln und setzt auf möglichst große Unabhängigkeit: Undefeated erscheint nicht mehr auf einem Major-Label, alles wurde im Heimstudio aufgenommen und erstmals hat Frank Turner auch selbst produziert. Das Ergebnis ist im Falle von Do One mitreißend, catchy und anstachelnd, es klingt nach Festival, nach Miteinander, nach jugendlicher Feier des Zusammenhalts, der sich kaum so gut zelebrieren lässt wie mit gemeinsam geliebter Rockmusik. Zugleich wird klar, dass hier jemand im Alter von Ü40 singt, aber weder müde noch verbittert sein möchte. „Do One ist das letzte Lied, das ich für das neue Album geschrieben habe, und (…) eine Zusammenfassung dessen, was ich mit diesem Album sagen möchte – ein Album über Überleben und Widerstand, aber auch eines mit Spaß und Selbstironie“, sagt Frank Turner. Mit dem eigenen Longplayer-Jubiläum geht er übrigens ebenso cool um. „Es gibt keine Klischees über das schwierige zehnte Album. (…) Aber gleichzeitig habe ich die Pflicht, das Schreiben und Veröffentlichen eines zehnten Albums zu rechtfertigen. Das sind viele Platten für alle Betroffenen. Außerdem bin ich 42. Das ist kein sexy, Rock’n’Roll-Alter. Aber während meiner gesamten Karriere habe ich mich für Songwriter wie Loudon Wainwright III oder The Hold Steady interessiert. Und das sind Leute, die im Grunde über das Erwachsenwerden schreiben.”
Das passt: Mit einer Coverversion (ja, das Lied von Nena) hat einst die Solokarriere von Jan Delay begonnen. Wenn er nun mit Forever Jan (25 Jahre Jan Delay), das am 3. Mai erscheint, in Form einer Best-Of-Sammlung auf sein Werk zurückblicken wird, soll wieder eine Coverversion als neuer Song dabei sein. Die Wahl fiel dabei auf Siehst Du Das Genau So?, im Original von den Sportfreunden Stiller. „Als der Song vor circa 20 Jahren rauskam, hat mich der Refrain total geflashed. Sowohl vom Text, als auch von der Melodie“, berichtet Jan Delay. „Als klar war, dass ich ein Best Of mache, hab ich nach möglichen Cover-Songs geguckt. Ich wollte unbedingt noch einen Song covern und in anderem Licht erscheinen lassen, weil das für mich auch viel mit Jan Delay zu tun hat. Während ich mich so durch meine Favoriten von Udo, Rio und Toco skippte, fiel mir auf einmal dieser Song wieder ein. Sofort als ich den Refrain hörte, durchfuhr es mich wie ein Schlag und es war klar: Auf jeden Fall diesen hier!! Nur in happy und zum Feiern!!“ So klingt seine Fassung (***) dann auch tatsächlich, mit viel Reggae und sommerlichen Vibes, die im Video noch besser rüberkommen. Durch den Text und die Melodieführung der Vorlage ist da noch ein bisschen Schlager-Feeling, aber das Lied wird in den Händen von Jan Delay natürlich tausendmal cooler als das Original. Das Best Of wird noch einen weiteren neuen Song enthalten, für den Sommer steht dann eine große Jubiläumstour an.
Zehn Jahre hat sich Beth Gibbons für die Arbeit an ihrem ersten Soloalbum gegönnt, am 17. Mai wird Lives Outgrown nun in den Läden stehen. Die zehn Songs hat die Portishead-Sängerin gemeinsam mit James Ford und Lee Harris (Talk Talk) produziert, als wichtige Inspiration gibt sie „viele Abschiede“ an. Die 49-Jährige besingt unter anderem Mutterschaft und Wechseljahre, die sie in einem ihrer seltenen Interviews kürzlich als „krasse Prüfung“ und als „massiven Einschnitt“ beschreibt, der „dich in die Knie zwingt“. Die erste Single Floating On A Moment (****) setzt vor allem auf einen kreativen Bass als Anker inmitten eines sehr ungewöhnlichen Arrangements. Ein typisches Element ist der Chor: Er klingt zu Beginn unheilvoll, am Ende verwandelt er sich in einen heiteren Kinderchor, auch jenseits davon ändert sich die Stimmung mehrfach und unmerklich. Das Video hat der Multimedia-Künstler und Regisseur Tony Oursler beigesteuert. Er sagt dazu: „Als ich Floating On A Moment zum ersten Mal hörte, hat es mich buchstäblich von Ort zu Ort transportiert und mich mit einer Fülle kaleidoskopischer Gefühle und Bilder überschwemmt. Ich wollte, wenn möglich, diese mentale Flüssigkeit in diesem Video einfangen. Beths Arbeit ist so kraftvoll, dass sie uns durch die Höhen und Tiefen des Lebens führen kann und uns Einblicke in mögliche Zukünfte gewährt. Bei einer solchen Stimme und Musik wusste ich, dass wir Bilder machen mussten, die offen sind, irgendwie spekulativ. “ Die Künstlerin selbst betrachtet ihrer erste Soloplatte offensichtlich sowohl als Resultat einer Katharsis als auch als den Beginn eines neuen Kapitels in ihrem musikalischen Schaffen. „Jetzt, wo ich am anderen Ende angekommen bin, denke ich einfach, dass man mutig sein muss“, hat Beth Gibbons erkannt.
Darf man das noch „Comeback“ nennen? Oder ist es eher schon ein Wunder? Im Jahr 1981 hatten Bärchen und die Milchbubis ihr Debütalbum Dann macht es Bumm veröffentlicht und damals mit einer Mischung aus Radikalität und Charme die deutsche Musiklandschaft aufgemischt, die sich gerade von Punk in Richtung NDW entwickelte. Dass danach nur noch eine EP (1983) und schließlich die Auflösung der Band aus Hannover folgten, war ebenso schade wie konsequent, schließlich hatten sie mit Textzeilen wie „Ich will nicht älter werden“ und vor allem mit dem Hit Jung kaputt spart Altersheime deutlich gemacht, dass sie nichts von Siechtum und Ausdauer halten. Jetzt ist Annette „Bärchen“ Simons mit ihren Mitstreitern (die natürlich längst keine Milchbubis mehr sind) zurück. Die Arbeit an der Werkschau Endlich komplett betrunken (2021) und einige darauf folgende Live-Auftritte haben offensichtlich Lust auf neue Songs gemacht. Das zweite Album von Bärchen und die Milchbubis wird Die Rückkehr des Bumm! heißen und am 19. April erscheinen. Nicht nur der Albumtitel klingt, als sei seit dem Debüt letztlich gar nichts passiert: Die Single Alles falsch (****) vereint Wut und Humor, ist schmissig, überraschend (Surf-Elemente!) und so sympathisch, wie Punk eigentlich gar nicht sein dürfte. Wie gut das beispielsweise zu Nachfahren wie Fritzi Ernst oder Sorry 3000 passen würde, ist höchst erstaunlich. Auf dem Album sind übrigens unter anderem Annette Benjamin (Hans-A-Plast) und Doktor Renz (Fettes Brot) als Gäste dabei. Am 29. April spielen Bärchen und die Milchbubis in Leipzig in der MB.
