So etwas wie eine Schreibblockade kann man sich bei einer Künstlerin wie PJ Harvey eigentlich gar nicht vorstellen. Schließlich war jedes ihrer bisher neun Alben enorm stark und erfolgreich, so wurde zuletzt 2016 The Hope Six Demolition Project für einen Grammy nominiert und erreichte Platz 1 in den UK-Charts, dazu kommen der Mercury Music Prize 2001 für Stories From The City, Stories From The Sea und 2011 für Let England Shake (sie ist damit die bisher einzige Künstlerin, die diese Ehrung mehrfach erhalten hat). Darüberhinaus ist sie auch als Dichterin, bildende Künstlerin und Komponistin für Bühne und Film aktiv. Vor sechs Jahren war es dann aber doch so weit: Die Tour zu Hope Six war abgeschlossen – und PJ Harvey fiel in ein kreatives Loch. Sie hatte keine Lust auf noch ein weiteres Album, dem sich dann noch eine weitere Konzertreise anschließen würde, schlimmer noch: Sie hatte fast gar kein Interesse mehr am Erschaffen neuer Musik. Stattdessen arbeitete sie lieber an ihrem zweiten Gedichtband und an den Neuauflagen der Vorgängeralben. Nun kündigt sie mit I Inside The Old Year Dying doch eine neue Platte an, sie wird am 7. Juli erscheinen und wurde erneut mit ihren langjährigen Mitstreitern Flood und John Parish in den Battery Studios im Nordwesten Londons aufgenommen. Zwei Dinge brachten sie nach der Schaffenskrise zum Umdenken beziehungsweise wieder auf den Geschmack. Erstens die Erinnerung an eine Weisheit, die ihr der Künstler und Filmemacher Steve McQueen einmal mit auf den Weg gegeben hatte: nicht im Format “Album” zu denken, sondern einfach ihrer Leidenschaft für ihre Kunst freien Lauf zu lassen. Zweitens das eigene Wiederentdecken dieser Leidenschaft, als sie am Klavier oder mit der Gitarre die Lieder anderer Künstler*innen gespielt und dabei gemerkt hat, wie viel Freude sie dabei empfindet. Als dieser Durchbruch geschafft war, entstand sehr schnell sehr viel neues Material, die Songs für I Inside The Old Year Dying “sind in etwa drei Wochen aus mir herausgekommen”, sagt Harvey. Der erste Ausblick ist A Child’s Question, August (***1/2). Der Rhythmus wirkt stoisch und zugleich unstet, der sphärische Gesang schwankt zwischen Warnung und Besänftigung, der Text malt unheilvolle Bilder und scheint irgendwo doch auch eine geheimnisvolle Hoffnung zu bieten. Kraft und Magie gewinnt das Lied nicht nur durch diese Rezeptur, sondern auch durch die Tatsache, dass es von PJ Harvey kommt, dass man sich fast darauf verlassen kann, dass sie die richtigen Worte und Klänge finden und immer stolz und klug sein wird, egal wie viel sie durchgemacht hat. Die Künstlerin sieht in den neuen Songs “einen Ruhepol, einen Trost, ein Balsam – was sich für die Zeiten, in denen wir leben, genau richtig anfühlt”.
Texas gehen mit der am 16. Juni erscheinenden Werkschau The Very Best Of 1989 – 2023 ins fünfte Jahrzehnt ihrer Karriere und blicken auf 40 Millionen verkaufte Exemplare ihrer bisher zehn Studioalben zurück. “Nicht übel für eine Friseuse aus Glasgow”, lautet angesichts dieser Bilanz das stolze Fazit von Frontfrau Sharleen Spiteri. “Ich habe immer noch das Gefühl, dass viele Dinge wie ganz am Anfang sind. Und die Energie und der Vibe zwischen uns allen – ich glaube nicht, dass wir als Band jemals glücklicher waren, und ich glaube nicht, dass wir jemals enger zusammen waren. Und ich glaube auch nicht, dass wir uns jemals klarer darüber waren, wer wir sind”, sagt sie. Beleg dafür soll After All (***) sein, einer von zwei neuen Songs auf der insgesamt 24 Stücke umfassenden Greatest-Hits-Platte. Die Sängerin ist im Clip auch an den Drums zu sehen, ansonsten gibt es das, was man von ihr, John McElhone (Bass), Alistar “Ally” McErlaine (Gitarre), Tony McGovern (Gitarre), Eddie Campbell (Keyboard), Neil Payne (Schlagzeug) und Michael Bannister (Keyboard) kennt: Midetempo, etwas Jangle, eine schöne Melodie und einen Hauch von Wehmut, der wohl immer in dieser Stimme liegen wird. Der zweite neue Song, den es auf dem Best-Of-Album geben wird, heißt Keep On Talking, und das scheint für Texas ein weiter wünscheswertes Motto zu sein.
Ursprünglich war dieser Begriff gar nicht so bedrohlich. Wörtlich übersetzt bedeutet “Apokalypse” so viel wie “Enthüllung”. Erst als ein gewisser Johannes daraus eine “Offenbarung” gemacht hat und das auch noch in der Bibel aufgeschrieben wurde, verbinden wir damit den Weltuntergang. Dessen akustische Entsprechung haben Pissed Jeans mit ihrer neuen Single gefunden. Schon nach zehn Sekunden von No Convenient Apocalypse (***1/2) wundert man sich, wie man das noch drei weitere Minuten lang durchhalten soll, aber es gibt eben “No easy way out”, wie es im Text heißt. Die Band aus Pennsylvania hat das Stück ursprünglich für den Soundtrack des Videospiels „Cyberpunk 2077″ aufgenommen und packt so viel Heavyness und Ekel vor der Welt hinein, dass es tatsächlich nach dem Ende aller Zeiten klingt. Ob das als Ausblick auf ein neues Album zu verstehen ist (der letzte Longplayer Why Love Now ist schon sechs Jahre her), verraten Pissed Jeans leider nicht.
Noel Gallagher ist nicht unbedingt für die autobiografische Tiefe seiner Texte bekannt, für das anstehende Album seiner High Flying Birds hat er aber tatsächlich etliche Bezüge zu seiner Lebensgeschichte sehr prominent herausgestellt. Wenn Council Skies am 2. Juni erscheint, wird das Plattencover die Instrumente seiner Band zeigen, die an dem Ort platziert sind, an dem einst der Anstoßpunkt des Stadions von Manchester City an der Maine Road war, bekanntlich der Lieblingsverein von Noel (und Liam). Das Foto hat Kevin Cummins gemacht, der ebenfalls aus Manchester kommt. “Es geht zurück zu meinen Anfängen”, sagt Noel Gallagher über das neue Album. “Tagträumen, in den Himmel schauen und sich fragen, wie das Leben sein könnte … das ist für mich heute noch genauso wahr wie in den frühen 1990ern. Als ich in Armut und Arbeitslosigkeit aufwuchs, holte mich die Musik aus dieser Situation heraus. Top Of The Pops im Fernsehen verwandelte den Donnerstagabend in eine Fantasiewelt, und genau das sollte Musik meiner Meinung nach auch sein. Ich möchte, dass meine Musik in gewisser Weise erhebend und transformierend wirkt.” Das klappt vorzüglich im Titelsong (****), den es jetzt als vierten Vorab-Track des Albums gibt. “All the dreams I had as a youth were underneath council skies”, singt er darin, es geht um die Wirkung, die große Ambitionen auch dann haben können, wenn sie sich nie erfüllen – weil sie die Fantasie anregen und den Ansporn geben, Dinge in die Hand zu nehmen. Umgesetzt wird das mit großer Lässigkeit, erstaunlich prominenten Percussions und himmlischen Streichern. Das Video wurde natürlich in Manchester gedreht, Noel Gallagher’s High Flying Birds performen den Song nämlich in der historischen New Century Hall.
Zum Schluss wieder mal ein Blick in die Region: Das zweite Album von I Want Poetry aus Dresden kommt erst in einem Monat heraus, hat dem 2018 gegründeten Duo aber schon etliche Lorbeeren eingebracht. Solace + Light wurde unter anderem beim Wettbewerb “Popmusik Sachsen” ausgezeichnet und für die “European Songwriting Awards” nominiert. Wer sich vor dem Release am 26. Mai ein eigenes Urteil bilden will, kann das gut mit der bereits verfügbaren Single Ocean (***1/2) tun. Es geht um Vertrauen, Beistand, Loyalität und die Bereitschaft, auch harte Zeiten durchzustehen, weil das gemeinsam eben besser funktioniert. “I’ll be your ocean”, lautet das zentrale Versprechen, passend dazu hat Regisseurin Kristin Herziger das Video zum Song auf den Kanarischen Inseln gedreht. Neben der klaren, wohligen Stimme, die an Heather Nova denken lässt, filigranen Arrangements, die zu Austra passen würden, und einer elektronisch erzeugten Unruhe im Stile von Ätna bieten Tine von Bergen und Till Moritz Moll in Ocean auch etwas, was schon ihrem Debütalbum den Titel gab: einen Human Touch.