Nick Cave Wild God Single

Futter für die Ohren mit Nick Cave & The Bad Seeds, Kapa Tult, Hot Water Music, Owen und Metz

Man ist im Musikgeschäft ja spektakuläre Promo-Maßnahmen gewöhnt. Manchmal veröffentlichen Megastars wie Beyoncé eine neue Platte ganz ohne Ankündigung, manchmal laden sie ihre Fans in Stadien ein, um dort zum ersten Mal das neue Material zu hören (Kanye West), oder sie lassen ihr Album von Apple automatisch in alle iTunes-Accounts einspielen, so wie es einst U2 gemacht hatten – freilich, ohne die Nutzer der Accounts vorab zu fragen, ob sie überhaupt neue Musik von U2 haben wollen. Nick Cave wählt ebenfalls einen ziemlich ungewöhnlichen Weg: In gewisser Weise begann die Kampagne für sein neues Album Wild God (Veröffentlichungstermin: 30. August) nämlich schon vor anderthalb Jahren mit Erscheinen seines Buchs Glaube, Hoffnung und Gemetzel. Jedenfalls taucht die Idee des ungezähmten, unberechenbaren und manchmal auch unbarmherzigen Gottes darin in sehr prominenter Form auf. Nun gibt es erstmals Musik vom 18. Album zu hören, das Nick Cave & The Bad Seeds in ihrer mehr als 40-jährigen Karriere gemacht haben. Der Titelsong (****) zeigt den Künstler im Storyteller-Modus, am Anfang wirkt Wild God so gelassen, dass man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, irgendetwas an diesem Track könne noch aufregend werden. Doch natürlich passiert das dann, wie so oft, wenn Cave, Warren Ellis (Violine, Bouzouki, Mandoline), Thomas Wydler (Schlagzeug), Martyn Casey (Bass), Jim Sclavunos (Schlagzeug, Perkussion, Gesang, Orgel) und George Vjestica (Gitarre) gemeinsam musizieren: Klavier, Chor, Orchester und wieder einmal vor allem diese Stimme sorgen dafür, dass es packend und erschütternd wird. „Ich hoffe, dass das Album auf die Hörer dieselbe Wirkung hat wie auf mich: Es bricht aus den Lautsprechern hervor und reißt mich mit“, sagt Nick Cave über das Werk, das er gemeinsam mit Warren Ellis produziert hat. „Es ist ein komplexes Album, aber auch zutiefst mitreißend und voller Freude. Wenn wir eine Platte aufnehmen, gibt es nie einen Masterplan. Die Platten spiegeln vielmehr den emotionalen Zustand der Songwriter und Musiker wider, die sie gespielt haben. Wenn ich mir das anhöre, bin ich letztlich nicht ganz sicher, aber es scheint, als wären wir glücklich.“ Aufgenommen wurden die zehn Songs im Miraval in der französischen Provence und in London, als Gäste sind Colin Greenwood von Radiohead (Bass) und Luis Almau (Akustikgitarre) dabei. Die Arbeit begann Anfang 2023, also fast direkt nach dem Erscheinen des eingangs erwähnten Buches. Nick Cave ist natürlich angetan vom Ergebnis: „Mit dieser Platte ist nicht zu spaßen. Wenn sie dich trifft, dann trifft sie dich richtig. Sie erhebt dich. Sie bewegt dich. Das ist es, was ich an ihr liebe.“

Die Bedeutung von gelungener Promotion kennen auch Kapa Tult aus Leipzig, in ihrem neuen Song 1/2 Cappuccino (*****) singen sie sogar darüber. Vor allem aber singen sie darüber, passend zum heutigen Veröffentlichungsdatum am Equal Pay Day, wie schwierig es ist, als junge Band mit der eigenen Musik etwas Geld zu verdienen. „Ich habe jetzt ein Label, aber das heißt nichts“, lautet eine der Zeilen, auch mickrige Gagen und lächerliche Beteiligungen an Streaming-Abrufen werden thematisiert. „Genau genommen sind das null Komma null zwei Gramm Kaffeepulver pro Stream“, lautet eine der Umrechnungsformeln von künstlerischem Potenzial zu barer Münze, mit der sich so etwas wie ein Lebensunterhalt bestreiten ließe. Natürlich artikuliert das Quartett diese Hinweise so schlau, kritisch und eingängig, wie man es von dieser Band kennt – vor allem aber mit dem festen Willen, sich von solchen Widrigkeiten nicht unterkriegen zu lassen. Das Lied klingt erstens nach unfassbar viel Spaß und zweitens nach so viel Talent, dass man fast flehen möchte: Bitte macht weiter! Es ist genau das Richtige für euch! Und vielleicht vielleicht vielleicht wird es sich irgendwann auch auszahlen. Am 11. April spielen Kapa Tult im Elipamanoke.

Der nicht ganz so komplexe Marketing-Ansatz von Metz für das neue Album Up On Gravity Hill (kommt am 12. April heraus) lautet: Wir veröffentlichen zwei Songs auf einmal als Kostproben. Einer davon ist die Single 99 (***1/2), in der das kanadische Trio wie eine extrem bedrohliche Variante des Black Rebel Motorcycle Club klingt, die zunächst mit viel Mühe ihre Wut unterdrückt, bevor sich dann nach dem ersten Refrain doch ihre maximale Wucht entlädt. So bewusst plakativ der Refrain ist, so vielschichtig ist der Rest des Lieds, das wie der Rest der Platte von Seth Manchester produziert wurde. Der zweite Vorab-Track heißt Entwined (Street Light Buzz). Frontmann Alex Edkins sagt: „Diese beiden Songs könnten stilistisch und thematisch nicht unterschiedlicher sein. Entwined (Street Light Buzz) ist ein Song über die tiefe Verbundenheit der Menschen untereinander und darüber, wie wir Menschen für immer mit uns tragen, selbst nach dem Tod. 99 handelt von der Geißel der Unternehmensgier und des Gewinndenkens, das in der modernen Gesellschaft um sich greift. ‚Alles für Geld‘ ist die Botschaft, die an die jüngeren Generationen gesendet wird.“ Das Album wird Gastauftritte von Amber Webber (Black Mountain) und Owen Pallett bieten, im November gibt es Konzerte von Metz in Deutschland.

Denselben Ansatz wählen auch Hot Water Music, die in diesem Jahr ein doppeltes Jubiläum feiern: Die Band aus Gainesville besteht seit 30 Jahren, das für 10. Mai angekündigte Vows wird ihr zehntes Studioalbum sein. Erneut haben Chuck Ragan (Gesang/Gitarre), Chris Wollard (Gesang/Gitarre), Chris Cresswell (Gesang/Gitarre), Jason Black (Bass) und George Rebelo (Schlagzeug) für die zwölf Songs mit Produzent Brian McTernan zusammengearbeitet. Den Auftakt der Platte wird Menace (****) machen, das es jetzt bereits gibt und sich irgendwo zwischen den Foo Fighters und Dropkick Murphys einordnen ließe. Das Stück klingt genau so, wie man sich einen Opener wünscht: straight, vertraut, voller Tatendrang, und mit einem Refrain, bei dem man denkt: „Wow, so überzeugend habe ich das lange nicht mehr gehört, nicht von dieser Band, und nicht von irgendwem sonst.“ Sänger Chuck Ragan sagt dazu: „Heutzutage ist es leicht, sich in seinen alltäglichen Frustrationen zu verlieren. Es ist nicht immer einfach, unseren eigenen mentalen Zustand zu verstehen. Aber wir haben die Kraft in uns, innezuhalten, in unserer Wut präsent zu sein, und so einen Weg zu finden, der uns weg vom Hass führt. So können wir lernen, beim nächsten Mal besser mit einer Bedrohung umzugehen, die uns im Weg steht.“ Gleichzeitig mit Menace erscheint die Single Burn Forever, zudem kündigen Hot Water Music für die neue Platte auch Gastauftritte von Thrice, Dallas Green (City And Colour / Alexisonfire), The Interrupters, Daniel Fang und Brendan Yates (beide von Turnstile) und Popeye Vogelsang (Calling Hours / ehemals Farside) an.

Wenn Mike Kinsella (in seiner Haupttätigkeit bei American Football im Einsatz) mit seinem Soloprojekt Owen unterwegs ist, war das ursprünglich mal eine streng akustische Angelegenheit. Spätestens mit The Avalanche (2020) wurde sein Schaffen aber auch unter diesem Moniker immer komplexer. Dieser Trend scheint sich mit dem neuen Album The Falls Of Sioux (erscheint am 26. April) fortzusetzen. Die Single Beaucoup (***) beginnt zwar auch soft und verträumt, und man könnte meinen, hier wandle ein weiterer sensibler Singer-Songwriter voller Selbstanklage auf den Spuren von Morrissey. Nach und nach wird der Song aber immer hypnotischer, nach knapp drei Minuten verschiebt er sich dann noch mehr in Richtung Elektronik und Abstraktion. Hier hat offensichtlich die Zusammenarbeit mit seinem Cousin Nate im Nebenprojekt Lies ein paar deutliche Spuren bei Mike Kinsella hinterlassen. „Ich bin mir nicht sicher, ob Beaucoup ein lustvoller Lovesong oder ein liebevoller Lust-Song ist“, sagt der Künstler über die erste Kostprobe aus The Falls Of Sioux, das neun Songs enthalten wird und mit Sean Carey (Bon Iver) und Zach Hanson (Bon Iver, Low, Waxahatchee) produziert wurde.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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