The Hives, Haus Auensee, Leipzig

Fast 48000 Menschen passen in Leipzig in die Red Bull Arena. Sie ist an diesem Samstag verfügbar, weil „die besten Fußballer der schönsten Stadt der Welt“ (wie sie der Stadionsprecher stets ankündigt) auswärts spielen. Es dürfte ausnahmsweise auch kein Verkehrschaos drohen, weil in der benachbarten Halle ebenfalls kein Event stattfindet. Aber das Stadion steht trotzdem leer im sächsischen Nieselregen.

Was das alles mit den Hives zu tun hat? Sie spielen parallel im Haus Auensee, dessen Kapazität ungefähr ein Sechzehntel der vorhandenen Plätze im Stadion beträgt. Und man kann sich mit jeder Sekunde, die dieses Konzert währt, ein bisschen mehr darüber wundern, dass Howlin’ Pelle Almqvist (Gesang), Nicholaus Arson (Gitarre), Vigilante Carlström (Gitarre), The Johan and Only (Bass) und Chris Dangerous (Schlagzeug) nicht ein viel größeres Publikum anziehen. Vom Auftakt mit Enough Is Enough bis zum Ende des regulären Sets mit Tick Tick Boom wird deutlich, dass die Schweden weiterhin eine der besten Livebands der Welt sind.

Der Abend hat einen hohen Entertainment-Faktor, mit beleuchteten Bühnenoutfits, gleich drei Bass Drums mit den Buchstaben T H E und übergroßen Ballons mit dem Bandnamen, dem legendären Hives-Freeze und mehreren Abstechern von Howlin’ Pelle Almqvist direkt in die Menge hinein. Freilich leidet das Live-Erlebnis ein bisschen darunter, dass seine Ansagen nicht gut zu verstehen sind und somit der bei dieser Band so wichtige Mix aus genialer Selbstüberhöhung und Dada-Bullshit nicht vollständig zur Geltung kommt. Die Fans verstehen zwar, wann die „Ladies“ zum Lärm machen aufgefordert sind, und wann die „Gentlemen“. Auch ein gelegentliches „now scream“ oder „Do you love The Hives?“ lässt sich ausmachen. Der Rest kommt leider nicht klar genug aus den Boxen.

Schon Snõõper hatten als erste von zwei Vorbands mit diesem Problem zu kämpfen. Das Quintett aus Nashville genoss es sichtlich, vor einem stattlichen Publikum zu spielen (sie legten sogar fünf Minuten vor dem angekündigten Beginn der Show schon los), aber in welcher Sprache die hyperaktive Frontfrau Blair Tramel da sang, ließ sich kaum erkennen. Yard Act aus Leeds fügten dieser Energie-Überdosis dann noch eine gute Dosis Eleganz und Edge hinzu. So sehr das auch die Vorfreude steigerte: Beide Bands würden wohl freiwillig einräumen, dass ihr Set nicht ausschließlich aus Bangern besteht. Bei den Hives war das anders, auch diesmal wieder.

Bei Main Offender gibt es den ersten Crowdsurfer, vor Hate To Say I Told You So erinnert Howlin’ Pelle Almqvist die Fans noch einmal daran, dass man Sicherheistgurte und Schutzhelme brauchen könnte. Mit Here We Go Again erklingt sogar ein Song vom 1997er Debütalbum Barely Legal. Dass sich die Setlist ansonsten eher auf neueres Material konzentriert, ist eine Wohltat (erst recht für alle Fans, die The Hives in den vergangenen Jahren regelmäßig live gesehen haben und dabei nicht umhin kommen konnten, eine gewisse Routine zu beobachten). Ein Drittel der Lieder an diesem Abend in Leipzig stammt vom neuen Album The Hives Forever Forever The Hives, vier weitere vom 2023er The Death of Randy Fitzsimmons. So können es sich die fünf Männer auf der Bühne sogar leisten, auf Klassiker wie Die Allright zu verzichten, ohne dass der Auftritt auch nur ein bisschen an Spannung und Spektakel verlieren würde.

Natürlich sind The Hives nicht mehr die ungestümen Jungspunde der Anfangsjahre. Alle gehen in schockierend großen Schritten auf die 50 zu, und das merkt man auch. Problemlos schafft es die Band aber, das Versprechen weiterhin zu erneuern und einzulösen, das sie vor einem Vierteljahrhundert gegeben hatte. Damals, als Rap bereits das große Ding in der Jugendkultur war, als Techno immer mehr im Mainstream ankam und Gitarrenbands in den Nachwehen der Grunge-Ära vieles sein durften, nur nicht selbstbewusst und kurzweilig, waren sie ein Erweckungserlebnis. Heute sind sie weiterhin eine Naturgewalt – und so ziemlich das beste, was man mit einem Samstagabend in Leipzig anstellen kann.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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