Seit fast zwanzig Jahren machen Pissed Jeans gemeinsam Musik. Einige aus dem Quartett aus Pennsylvania haben unlängst geheiratet und sind Väter geworden. Für ihr letztes Album Why Love Now (2017) haben sie viel Lob bekommen und gar Platz 24 in den US-Heatseeker-Albumcharts ergattert. Man könnte meinen, Matt Korvette (Gesang), Bradley Fry (Gitarre), Randy Huth (Bass) und Sean McGuinness (Schlagzeug) könnten zufrieden sein mit ihrem Leben und der Welt. Aber natürlich ist dem nicht so. Am 1. März wird ihr sechstes Album erscheinen, und Frotmann Matt Korvette sagt über Half Divorced, es habe „eine Aggression in sich, die besagt, dass ich diese Realität nicht haben will. Es liegt eine Kraft darin, sagen zu können: Mir ist klar, dass du willst, dass ich diesen Dingen Aufmerksamkeit schenke, aber ich sage dir, dass sie nicht wichtig sind. Ich schaue bereits woanders hin.“ Wie energisch und wütend diese Verweigerungshaltung klingen kann, zeigt die Leadsingle Moving On (****). Der Song ist sofort packend, unerbittlich, schnell, heavy und dabei unverkennbar ernst. Trotzdem macht es riesigen Spaß, da zuzuhören, und es weckt die unbändige Lust, gemeinsam mit dieser Band etwas anzustellen. Dazu passt die Ankündigung, die Chelsea Hodson im Pressetext zum Album für die zwölf gemeinsam mit Don Godwin produzierten Stücke macht: „Die Songs spießen die Spannung zwischen jugendlichem Optimismus und der ernüchternden Realität des Erwachsenseins auf.“
Auch Kettcar hatten sich zuletzt vor sieben Jahren mit Ich vs. Wir auf Albumlänge präsentiert, nun steht der Nachfolger in den Startlöchern: Ihr sechstes Studioalbum Gute Laune ungerecht verteilt, produziert von Simon Frontzek, Rudi Maier, Philipp Schwär und Philipp Steinke, wird am 5. April erscheinen und zwölf Songs enthalten. Wer bei dieser Nachricht vielleicht den Gedanken „Okay, noch eine weitere Platte auf dem Weg zum Altherren-Rock“ hat, dürfte angesichts der ersten Single München (****) aufhorchen: Es geht auf Basis einer kleinen Geschichte gemeinsamen Aufwachsens unter unterschiedlichen Voraussetzungen um Alltagsrassismus, um die fortgesetzten Demütigungen und eingeforderten Rechtfertigungen, die damit einher gehen. Solche Perspektiven mitten aus dem Leben und auch solche Themen, die nicht zuletzt die eigene Rechtschaffenheit herausstellen, kennt man von Kettcar. Umgesetzt wird das hier aber mit vielen Überraschungen, zu denen Sprechgesang gehört, ein Gastauftritt von Chris Hell (FJØRT) – und auch der unbedingte und ungebrochene Glaube, tatsächlich etwas mit dieser Musik verändern zu können.
Klaus Johann Grobe sind eine weitere Band, die sich tatsächlich sieben Jahre Zeit gelassen hat für das neuste Album. Im Fall des Duos aus der Schweiz lag das aber nicht an einem langsamen Arbeitsprozess oder jahrelangen Tourneen nach dem Vorgänger Du Bist So Symmetrisch. Vielmehr hatten Sevi Landolt (Keyboard, Bass, Gesang) und Daniel Bachmann (Schlagzeug, Gesang) nach drei gemeinsamen Platten den Eindruck, dass eine Pause gesund wäre. Gemeinsam musiziert haben sie dann erst wieder, als sie tatsächlich beide Lust darauf hatten – und dann ging es ziemlich schnell. Die Lieder des neuen Albums Io Tu Il Loro haben sie innerhalb von zwei Wochen in einer Hütte am Ende eines abgelegenen Schweizer Tals geschrieben (ganz in der Nähe war auch das Material für ihr 2014er Debüt Im Sinne der Zeit entstanden) und dann Ende 2022 in Winterthur aufgenommen. Der Vorab-Song Highway High (***1/2) ist ungewöhnlich im Vergleich zum bisherigen Werk, weil er viel auf Synthesizer setzt und komplett auf E-Gitarren verzichtet, eher verspielt und soft daherkommt als Garagen- oder Kraut-rockig. Eine entscheidende Qualität zeigen Klaus Johann Grobe aber auch hier, und sie ist vielleicht sogar der langen Auszeit zu verdanken: Der Sound ist von Anfang an ganz bei sich. Diese beiden machen Musik nicht, um jemandem etwas zu beweisen, sondern weil sie es genießen. Miteinander.
Noch ein bisschen länger ist es her, seit König Boris sich erstmals auf Solopfade begab. Unter dem Namen Der König tanzt hatte er 2012 ein spannendes Debüt vorgelegt. Jetzt hat er für 26. April die Platte Disneyland After Dark angekündigt. Die Sache mit dem Tanzen steckt zwar nicht mehr im Künstlernamen, ist aber offensichtlich immer noch eine sehr wichtige Zutat, legt man die erste Single Zuhause angekommen (***1/2) zugrunde, die erstaunlich melancholisch und erstaunlich elektronisch daherkommt und sich irgendwo zwischen Massive Attack, Faithless und The Streets einordnen lässt. Ein feiner Texter ist König Boris natürlich obendrein weiterhin, wie solche Verse beweisen: „Der leuchtende Stern über mir ist ein Satellit / das Licht am Horizont ein Containerschiff unten am Hafen / der Hoffnungsschimmer ein helles Fenster im Wohngebiet / bitte lass das Licht an, ich kann im Dunkeln nicht schlafen.“ Das Ende von Fettes Brot, die sich zum September 2023 aufgelöst haben, war übrigens nicht der Auslöser für ein weiteres Solowerk: Gemeinsam mit Arne Diedrichson hatte König Boris schon lange vorher an diesem Material gebastelt.
Sehr viel hat Conor O’Brien, der Mann hinter Villagers aus Dublin, auf seiner neuen Platte alleine eingespielt. Das lag aber nicht an Kontaktbeschränkungen oder Lockdown-Limits, sondern war eine bewusste Entscheidung des Singer-Songwriters. Die neuen Lieder haben für ihn „eine derart intime Stimmung, dass ich es fast unmöglich fand, jemand anderen hineinzulassen“, sagt er. „Es ist wahrscheinlich das verletzlichste Album, das ich je gemacht habe. Ich habe alles in meiner Wohnung eingespielt und aufgenommen und schließlich, gegen Ende, die Leute hereingebeten.“ Die Platte wird That Golden Time heißen und kommt am 10. Mai heraus. Den Titeltrack (***) gibt es bereits vorab, er klingt entspannt und sanft, dabei aber auch komplex und geheimnisvoll und äußerst einnehmend für ein Stück, das letztlich vielleicht bloß so etwas wie ein Gedankenstrom ist. „Der Song berührt ein Thema, das immer wieder auftaucht: Romantik versus Realismus. Wie kann man ehrgeizige Vorstellungen von sich selbst und der Welt um sich herum haben, während man gleichzeitig mit der harten, kalten Realität konfrontiert wird?“, erklärt O’Brien die tatsächlichen Inhalte. „Genau diese Reibung hat mich interessiert.“
