Das vor fünf Jahren veröffentlichte Aviary war das sechste Album von Julia Holter. Wenn man ihre sehr frühen und im Eigenvertrieb herausgebrachten Werke mitzählt, sogar schon Longplayer #9. Das ist dann häufig die Phase einer Karriere, in der einem das eigene Schaffen und insbesondere der Kreislauf aus Studioarbeit => Albumveröffentlichung => Promotion-Terminen => Tournee => zurück auf Start irgendwann ermüdend erscheinen kann. Bei der Künstlerin aus Los Angeles mehrten sich zuletzt die Zeichen, dass sie diesen Punkt erreicht hat. Statt an neuem Material für ein reguläres eigenes Album hat sie unter anderem lieber an Filmmusiken und Remixes gearbeitet. Nun gibt es mit der Single Sun Girl (****) aber doch wieder ein Lebenszeichen, das vielleicht als Vorbote einer neuen Platten gewertet werden kann. Im Text geht es – bezeichnenderweise – auch darum, „aus meiner Komfortzone herausgeholt zu werden – ins Unbekannte, ins Spielerische und ins Chaos“, sagt Julia Holter zu dem Song. Der Bass ist darin erstens besonders prominent und zweitens auch ein wenig der Kitt zwischen all diesen ungewöhnlichen Elementen (dazu gehören beispielsweise Flöte, Dudelsack und Mellotron) und unberechenbaren Wendungen. Das klingt tatsächlich kein bisschen nach Standard und, passend zum hübschen Animationsvideo von Tammy Nguyễn, wie Musik aus einer anderen Welt.
Dieses Jahr hat bisher unter anderem Tribute-Alben für The Grateful Dead (Stuff Your Fridge), Rammstein (A Tribute To Rammstein) und The Cure (Just Like Heaven) hervorgebracht. So prominent wie das gerade erschienene Moping In Style: A Tribute To Adam Green dürfte aber kaum eines davon besetzt gewesen sein. Auf der Platte sind unter anderem Regina Spektor, Father John Misty, Frankie Cosmos, Devendra Banhart, The Lemonheads, The Libertines, Lou Barlow und Sean Lennon zu hören, um dem New Yorker Unikum zu huldigen, das sowohl mit den Moldy Peaches als auch solo unvergleichliche Indie-Perlen hervorgebracht hat. Auch Ben Kweller ist vertreten, bei ihm kommt zu einem großen Namen (immerhin hat er bisher vier seiner Alben in den US-Charts platzieren können) noch hinzu, dass er seit mehr als 20 Jahren mit Adam Green befreundet ist. Seine Version von Her Father And Her (****) ist viel weniger reduziert als das 2002 veröffentlichte Original und auch etwas weniger schräg, dafür aber sehr dynamisch mit einem großen Sound, der den Text erstaunlicherweise noch mehr strahlen lässt. Wer übrigens glaubt, man müsse sich um Adam Green selbst Sorgen machen, wenn er jetzt schon mit einem Tribute geehrt wird (was sonst eher Songwritern passiert, die tot sind oder ihre Karriere längst beendet haben), kann beruhigt sein: Der 42-Jährige war selbst an der Compilation beteiligt und fragte etliche der beteiligten Acts an. Zudem wird er 30. März 2024 im Columbia Theater in Berlin auf der Bühne stehen.
Wenn es im Musikgeschäft darum ginge, für Leidenschaft, Herzblut, Überzeugung, Können und Witz belohnt zu werden, würde Grillmaster Flash längst die deutschen Charts dominieren. Das beweist auch die neue Single des Manns aus Bremen-Nord wieder (ebenso wie das wundervolle Video): Der letzte Metalhead (***1/2) erzählt von der Liebe zu einem Genre, das nie cool, aber immerhin schon einmal lebendiger war als derzeit. Tatsächlich zeigt das Stück, in dem Rodrigo González (Die Ärzte) die Leadgitarre spielt, wie facettenreich Metal sein kann, wie viele Klischees es aber auch hervorgebracht hat. Der Track ist der erste Vorgeschmack auf das Album FLÆSH MËTAL, dessen neun Songs am 1. März ebenfalls als Hommage an Acts wie Black Sabbath, Judas Priest oder Metallica über uns kommen werden. So viel Begeisterung für die eigene Lieblingsmusik und so viel Freude dabei, aus der Fan- in die Autorenrolle zu schlüpfen, darf man durchaus mit Jack Black und seinen Tenacious D vergleichen.
Es muss nicht immer ausgefeilt sein. Das haben Sorry 3000 aus Halle bereits mit dem Titel ihres Debütalbums Warum Overthinking dich zerstört (2020) herausgestellt. Auch jetzt lebt ihr „befindlichkeitsbasierter Kartoffelpop“ (Presse-Info) davon, wie genau sie um den Wert von Wiederholungen, plakativen Bruchstücken und unverstelltem Gefühl wissen. Die neue Single Entschuldigung (****) bringt Dada mit einem Gefühl von Fragilität zusammen, das vielleicht für die Erfahrung steht, es ohnehin niemandem recht machen zu können. Ganz nebenbei wird damit nicht nur der Hinweis gegeben, dass man durchaus selbst sensibel sein und von anderen trotzdem als Trampeltier wahrgenommen werden kann. Wer will, kann dabei auch problemlos Gesellschaftskritik erkennen, so simpel der Text vermeintlich auch daherkommt. Die 39-malige Wiederholung des Songtitels verweist nämlich auf den kaputten Reflex, den Wert von Dingen nur in Quantitäten zu bemessen: Ab dem wievielten Mal hat man oft genug um Verzeihung gebeten? Und steigt der Wert einer Entschuldigung dann linear weiter, wenn man sich nach diesem Break-even immer noch weiter entschuldigt? Hört man den verzweifelten Schrei, den Sängerin Stefanie Heartmann hier an einer Stelle von sich gibt, ist die Antwort von Sorry 3000 ziemlich klar.
Auch Giant Rooks gehören, zählt man das Jahr des ersten Albums, zur Class Of 2020. Allerdings spielte Rookery in einer ganz anderen Liga als das Sorry-3000-Debüt. Die Band aus Hamm erreichte damit beispielsweise Platz 3 in den deutschen Charts und ging auf eine eigene US-Tour. Dass dieser Erfolg dem Quintett auch einiges abverlangt hat, zeigt die neue Single Fight Club (***). „I’ve been taught to swallow my pain / instead of talking I’ve poisoned my brain“, singt Fred Rabe über seine Erfahrungen, die sich allerdings offensichtlich klar auf ein überwundenes Gefühl aus der Vergangenheit beziehen. „Ich selbst lerne immer besser, entspannter zu werden, das ist eine schöne Erfahrung“, sagt er. Der Sound ist wieder groß, international, tanzbar und kurzweilig, insbesondere die cleveren Spielereien mit dem Rhythmus sind ein großer Pluspunkt von Fight Club. Der Text indes findet sich wieder ein bisschen tiefgründiger als es wirklich ist. Am 2. Februar erscheint dann das neue Album der Giant Rooks, das How Have You Been? heißen und 14 Songs enthalten wird.
