Futter für die Ohren mit IDER, Dakota, Nina Nesbitt und Fjarill

IDER Brown Sugar Review Kritik
Klingen wie ein Wesen: IDER aus London. Foto: verstaerker.com/Rory James

Bei knapp 2000 Euro lag die durchschnittliche Monatsmiete im Jahr 2015 in London. Im Jahr darauf ermittelte eine Studie, dass die Einwohner der englischen Hauptstadt 62 Prozent ihres Bruttoeinkommens fürs Wohnen ausgeben. Das ist natürlich schockierend, hat aber auch ein paar positive Effekte. Wohngemeinschaften, beispielsweise. IDER sind so eine – demnächst können Lily Somerville und Meg Markwick aber Zwischenmieter suchen, denn sie starten in diesen Tagen ihre Tournee. Dass man sich die Konzerte des Duos nicht entgehen lassen sollte, zeigt die neue Single Brown Sugar (****), produziert von Rodaidh McDonald (The XX, King Krule), der auch für das anstehende Debütalbum verantwortlich zeichnen wird. „Wir haben mal gehört, dass ein großartiger Song so sein soll, dass du dazu entweder tanzen, weinen oder Sex haben willst. Dieser ist für Letzteres“, sagen sie. In der Tat wird das Ergebnis aufwühlend, intim und verführerisch. Sie schaffen es, die elektronischen Instrumente nicht digital und ihren zweistimmigen Gesang wie den Ausdruck einer einzigen Person klingen zu lassen. Das Video dazu haben IDER live in den YouTube Space in London aufgenommen.

The Sun Will Come Up, The Seasons Will Change heißt das neue Album von Nina Nesbitt, das heute erscheint. Für die nächsten gut 7 Milliarden Jahre (danach irgendwann wird die Erde von der Sonne verschlungen) hat sie damit wohl Recht. Vielleicht ist es dieser extrem lange Zeitraum, der ihr die Ruhe gegeben hat, sich für den Nachfolger des 2014 erschienenen Debüts Peroxide reichlich Zeit zu lassen. Aus ihrer Sicht hat sich die Arbeit, unter anderem mit den Produzenten Fraser T Smith (Adele, Drake, Gorillaz, Florence & The Machine) und Jordan Riley (Macklemore, Zara Larsson), in jedem Fall gelohnt. „Ich bin so stolz auf dieses Album”, sagt sie. „Dies ist das Album, das ich immer machen wollte, zu meinen eigenen Bedingungen. Es ist ein ehrliches Abbild von jemandem in seinen frühen Zwanzigern, und gewährt einen Einblick in das sich ständig ändernde Leben.” Die aktuelle Single Is It Really Me You’re Missing (***) sollte ursprünglich ein Song für Rihanna werden, was man sich gut vorstellen kann, passt aber auch zu der 24-jährigen Schottin sehr schön. Die sehr einfühlsame und erstaunlich reduzierte Ballade stellt das Gefühl in den Mittelpunkt, jemanden unfassbar sehr zu vermissen, das noch schmerzhafter wird beim Gedanken, dass man selbst dieser Person womöglich gar nicht wichtig ist – und findet trotz einiger Klischees ein paar gelungene Zwischentöne für diese Situation.

Ebenfalls auf die Jahreszeiten blicken Fjarill mit ihrer neuen Platte. Midsommar wird zwar normalerweise am 20. Juni gefeiert, das gleichnamige Album bringt das schwedisch-südafrikanische Duo aber schon am 3. Mai heraus, die dazugehörige Tournee wird sogar schon im April beginnen. „För minnet är en gåva jag lever utav / när jag sjunger i hemlighet“, heißt eine Zeile im Titelsong Fjarills Midsommar (***), übersetzt: „Denn die Erinnerungen sind ein Geschenk, von dem ich lebe, wenn ich heimlich singe.“ Dieses Schwelgen in der Vergangenheit (auch in ihren Sounds), die Freude am Singen und die Fähigkeit, ein Geheimnis in ihre Lieder zu packen, kann man als größte Stärke der schwedischen Pianistin und Sängerin Aino Löwenmark und der südafrikanische Violinistin Hanmari Spiegel begreifen, die seit 2004 zusammen musizieren und in dieser Zeit schon sieben Alben veröffentlicht haben. Klingt immer noch ziemlich einzigartig.

Ein Glücksbringer kann ja nie schaden. Man darf allerdings davon ausgehen, dass Dakota den Erfolg ihres in einer Woche erscheinenden Debütalbums Here’s The 101 On How To Disappear nicht dem Schicksal überlassen wollen. Sie haben mit Auftritten beim Great Escape, dem Reeperbahn-Festival oder Eurosonic für sich geworben, auch die Unterstützung von BBC Radio 1 oder The Line Of Best Fit ist dem Quartett aus Amsterdam bereits sicher. Nimmt man die gerade erschienene Single Four Leaf Clover (***1/2) als Maßstab, stehen die Chancen auf weitere positive Reaktionen ausnehmend gut. Der Song hat eine spannende Atmosphäre, originelle Rhythmik und nicht zuletzt ein universelles Thema: „Die Chance, eine glückliche Beziehung zu führen, ist genauso groß wie die, ein vierblättriges Kleeblatt zu finden“, haben Lisa Brammer, Lana Kooper, Jasmine van der Waals und Annemarie van den Born erkannt. „Wir alle suchen nach dem perfekten Etwas; diesem Funken, diesem Hoch, und am Anfang können wir nicht glauben, dass wir es endlich gefunden haben. Aber dann kommt das normale Leben und es scheint, als ob das, was wir dachten zu haben, etwas ganz anderes war. Es war nicht mal in der Nähe einer perfekten Beziehung und es war nicht der vierblättrige Klee; es war nur Unkraut. Und Unkraut vergeht nicht.”

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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