Gisbert zu Knyphausen – “Gisbert zu Knyphausen”

Künstler Gisbert zu Knyphausen

Gisbert zu Knyphausen: Schon auf dem Debüt schlicht perfekt.
Album Gisbert zu Knyphausen
Label Omaha
Erscheinungsjahr 2008
Bewertung

So etwas nennt man wohl eine Entdeckung. Diese Stimme, diese Zeilen, diese Lieder. Man möchte allen davon erzählen, wie großartig sie sind. Man möchte den Künstler treffen, um Rat fragen, ihm noch ein Bier aufdrängen, wenn es längst schon zu spät ist. Denn Gisbert zu Knyphausen ist ein Mann, der das Leben kennt und das Leiden – und der doch Hoffnungen weckt.

Die Hoffnung, dass aller Schmerz letztlich vielleicht doch zu etwas gut ist, dass er die Leidenschaft nährt, mit der sich das Leben leben und lieben lässt. Vielleicht sogar die Hoffnung, dass das altbackene Wort „Liedermacher“ bald wieder sexy klingt.

Einen besseren Begriff gibt es nicht für das, was Gisbert zu Knyphausen macht. Er singt gegen vieles an, doch er wird niemals resigniert. Und zerstören will er nur, um etwas Besseres aufbauen zu können. „Ich gebe zu: Ich bin ziemlich kriegsgeil / Ich will dabei sein, wenn das alles explodiert / und dann tot sein oder aufstehen aus Asche und Trümmern / und zusehen, dass der Laden wieder funktioniert“, heißt es im programmatischen Der Blick in Deinen Augen. Knyphausen singt diese Zeilen nicht, er speit sie heraus – ganz wie Conor Oberst, den er neben Bob Dylan und Element Of Crime zu seinen Einflüssen zählt.

Wegen seiner rauen Stimme, der wilden Romantik und der aufrichtigen, lebensweisen und humorvollen Poesie seiner Texte („anstatt Haare wachsen mir wundervolle Flausen aus dem Kopf“, ist nur eine der grandiosen Zeilen im spannenden Flugangst) muss diese Reihe unbedingt um den Namen Rio Reiser ergänzt werden.

Und natürlich zählt auch die aktuelle deutsche Songwriter-Riege wie Peter Licht oder Niels Frevert zu den Menschen, die sich bei MySpace zu den Freunden des 28-Jährigen zählt. Dort begann die Karriere des Mannes, der stets erschöpft und übernächtigt aussieht, den man aber mit etwas Schminke leicht zum charaktervollen Beau à la Ethan Hawke machen könnte. Seine Internet-Seite hat mittlerweile fast so viele Besucher wie seine Heimatstadt Wiesbaden Einwohner zählt. Spiegel Online entdeckte in ihm den „interessantesten ungesignten Songwriter der Nation“, und nun dürfte die Aufmerksamkeit noch größer werden, denn das selbstbetitelte Debütalbum liegt vor – und es ist ein Triumph.

Neues Jahr erzählt zum Auftakt die Geschichte einer Silvesternacht in Berlin, wohin es Gisbert zu Knyphausen nach seiner Kindheit im Rheingau verschlagen hatte (und von wo er inzwischen über Holland nach Hamburg geflohen ist). Irgendwo zwischen Liebe und Abenteuer steht diese brüchige Begegnung. Das Jahr, die Zeit und die beiden alten Damen, die in der U-Bahn blöd glotzen, spielen keine Rolle. Es zählen nur der Moment und das Gegenüber.

Diese bedingungslose Hingabe zieht sich durch alle Lieder und paart sich mit der bestechenden Eleganz des abgebrochenen Musikwissenschaftlers. Wenn er mit seiner Band laut rockend loslegt wie in Erwischt, das in jeder gerechten Welt ein Hit werden müsste, oder im sogar noch besseren Sommertag.

Und fast noch mehr, wenn er leise sinniert, etwa über die Cowboy-Pose des Single-Daseins im unfassbar tollen Wer kann sich schon entscheiden? Oder über sich selbst als ewig Pubertierendem in Spieglein, Spieglein. Oder wenn er in So seltsam durch die Nacht den Famous Blue Raincoat von Leonard Cohen noch einmal neu aufträgt.

Der Abschluss ist ein Manifest. „Das Leben ist ein Kopfschmerz / und es wird Zeit, dass Du ihn spürst / keine Angst, er ist sehr schnell wieder vorbei“, heißt die Erkenntnis in Verschwende Deine Zeit, und die letzte Strophe wird zum Credo: „Ich singe meine Lieder / wohin es führt, wir werden sehen / es ist meine Art, sich vor dem Leben zu verneigen / ich verrenk mir mein Gehirn, um das zu sagen, was ich will / es ist nicht viel, aber auf jeden Fall besser als Schweigen“.

Keine Frage: Gisbert zu Knyphausen (der wirklich so heißt und dessen Familienstammbaum sich bis ins Jahr 1350 zurückverfolgen lässt) ist ein Kämpfer. Einer, der sich als erster aus dem Schützengraben wagt, der sich mit den großen Jungs anlegt, der nicht die kleinste Ungerechtigkeit ertragen kann. Wie hat schon Shakespeare gesagt: „Der echte Adel weiß von keiner Furcht.“

Gisbert zu Knyphausen spielt Sommertag live bei MTV Home:

httpv://www.youtube.com/watch?v=gP09JwGjEn8

Gisbert zu Knyphausen bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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