Noiseaux – “Spectrum”

Künstler Noiseaux

Noiseaux Spectrum Review Kritik
Der Teilchenbeschleuniger passt bestens als Symbol für “Spectrum”.
Album Spectrum
Label Jeanne Dark Records
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Ein Teilchenbeschleuniger ist auf dem von Diana Hartmann gestalteten Cover dieses Albums zu sehen. Das passt wunderbar zur Musik, die man auf Spectrum finden kann: Hier treffen Elemente mit viel Energie aufeinander, und es entstehen dabei Effekte, die man teilweise nie zuvor beobachtet hat.

Hinter Noiseaux steckt die deutsch-französische Künstlerin Noah Sow. In ihrem Werdegang finden sich unter anderem Stationen als Radiomoderatorin und Jurymitglied einer Castingshow, die sie allerdings wegen des empörenden Umgangs mit den Kandidaten bereits nach wenigen Folgen verließ. Sie hat in den USA mit Anarchists Of Colour musiziert und für Such A Surge gesungen, zudem hat sie das Buch Deutschland Schwarz Weiss: Der alltägliche Rassismus geschrieben und ist auch jenseits ihrer Tätigkeit als Autorin vielfach gegen Rassismus engagiert. Dieser Werdegang zeigt schon: Bequemlichkeit darf man hier nicht erwarten, und das trifft dann auch auf das zweite Album von Noiseaux nach dem Debüt Out Now (2009) zu.

Der Pressetext zu Spectrum kündigt die Platte als “Elektro-Loop-Afro-Chanson-Punk” an, und tatsächlich bieten die elf Tracks einen sehr bunten Genre-Mix. Die in Berlin und Hamburg aufgenommenen Songs sind freigeistig wie Punk, integrieren viele Elemente aus der Club-Musik und haben zweifellos auch eine Nähe zu Soul und Funk. Wer Bezugspunkte für eine schnelle Orientierung sucht, wird vielleicht bei THEESatisfaction, Neneh Cherry oder Santigold fündig.

Bavaropeulhfrancohanseate eröffnet das Album lautmalerisch und acappella, der Titel ist wahrscheinlich auf die verschiedenen Etappen auf dem Lebensweg von Noah Sow bezogen. Der nächste Song ist bereits der beste der Platte: Nur mit Gesang und ein paar Percussions entwirft sie in I Have A Loaded Voice eine spannende Dramaturgie mit absoluter Überzeugung und viel Raum für die Stimme, die alleine in diesem Track schon so viele Facetten zeigt, dass der Albumtitel gerechtfertigt wird.

Als das direkt folgende Resonate My Dance mit elektronischen Sounds beginnt, ist das ein ziemlicher Schock. Nicht nur, weil auf dem ersten Album von Noiseaux noch die Gitarren dominiert hatten, sondern auch, weil das vergleichweise aggressive Klanggewand ihr nicht so gut steht. Der Versuch, aus der Alternative-Band ein stärker digital geprägtes Projekt zu machen, das live von einer entsprechenden Performance unterstützt wird, ist auf Spectrum sehr deutlich, aber nicht überzeugend umgesetzt: Die Club-Lady nimmt man ihr in What I Want nicht ab, weil die Musik viel zu heavy für ihre Stimme wird, Nodemocracy zeigt dasselbe Problem: Die Strophe funktioniert noch ganz gut, der Refrain ist dann wieder auf Punch aus und scheitert dabei.

Dabei gibt es durchaus Passagen, in denen der Fokus auf (analoge) Beats einleuchtet: Insert Insult Here (Privilege Constipation) wird von einem schlichten, aber wirkungsvollen und kurzweiligen Rhythmus getragen, das Ergebnis ist experimentell, aber nicht selbstverliebt (wenn auch mit mehr als 5 Minuten deutlich zu lang). Pink Gurl (El Capo Remix) reichert westafrikanische Beats mit einem verspielten und abenteuerlustigen Gesang an, was wunderbar zusammenpasst.

Noch etwas stärker sind die eher zurückgenommenen Stücke wie Day & Night, das von Atmosphäre und Intensität ebenso lebt wie vom gelegentlichen Abweichen vom gewohnten Balladen-Format, sodass man sich das Resultat von Annie Lennox vorstellen könnte. There Can Be Home beendet das Album ganz ohne Beat, das Lied scheint frei rund um eine Gitarre und ein Akkordeon zu schweben, was einen sehr stimmungsvollen Schlusspunkt ergibt. Bei I Am So Reaching Out Right Now (High Functioning Lovesong) kann man sich an Marie Fredriksson erinnert fühlen oder an eine Szene denken, in der Gwen Stefani ein bisschen im Probraum ihrer Band mit einer E-Gitarre und einem Laptop herumspielt. Chaos 2012 ist nicht nur im Titel programmatisch, sondern zeigt in Musik und Text tatsächlich am deutlichsten, worin der Reiz der Musik von Noiseaux besteht. Das Arrangement nimmt sich im besten Sinne unerhörte Freiheiten, und der Text erläutert, warum das so sein muss: Das Durcheinander gilt hier nicht als bedrohlich, sondern als befreiend.

Im Video zu Nodemocracy ist der Aktivismus ebenfalls unverkennbar.

Website von Noah Sow.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.