Clemens Meyer, HTWK, Leipzig

Abgründe im Klassenraum: Clemens Meyer liest an der HTWK.
Abgründe im Klassenraum: Clemens Meyer liest an der HTWK.

Es gibt sicher Einiges, was Clemens Meyer sehr ernst nimmt in seinem Leben. Literatur? Ganz bestimmt. Guten Whiskey? Mit einiger Wahrscheinlichkeit. Sein Image? Kaum zu leugnen. Da ist aber noch etwas, was darüber rangiert in der Ernsthaftigkeitshitparade des „Zauberers von Leipzig Ost“ (FAZ): Clemens Meyer selbst.

Wie ernst er sich nimmt, daran bleibt an diesem Abend in der HTWK kein Zweifel. Gleich zu Beginn der Lesung zeigt er sich dankbar, dass die Einführung durch die Gastgeber erfreulich kurz und vor allem hinsichtlich seiner biografischen Daten fehlerfrei bleibt. „Schlimm“ sei es, was er sonst oft zu hören bekommt, „wenn die Leute bloß irgendwas aus dem Internet zusammengeklaubt haben und man denkt: Das nimmt kein Ende.“

Später erzählt Meyer die Anekdote, wie Von Hunden und Pferden den Deutschen Kurzfilmpreis erhielt – skandalöserweise ohne einen Hinweis darauf, dass das Werk auf einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer basiert. Und als sei das noch nicht genug, outet er sich dann auch noch als Leserbriefschreiber. In einem Beitrag über eben jenen Kurzfilm in der Leipziger Volkszeitung verdoppelte die Redakteurin mal eben den Geldbetrag, den die Hauptfigur aufbringen muss, um ihren Hund verarzten lassen zu können. In solchen Fällen folgt eine böse Mail aus dem Hause Meyer, gibt der Autor zu.

Man kann also beinahe darauf wetten, dass Clemens Meyer einer ist, der sich in regelmäßigen Abständen selbst googlet (was nicht ganz einfach sein dürfte bei diesem Namen). Vielleicht auch jemand, der seine Wikipedia-Seite selbst pflegt. Womöglich gar ein Autor, der sich die Namen von allzu kritischen Rezensenten merkt, auf einer imaginären Todesliste.

Man kann das gerne Eitelkeit nennen – zumal, wenn man Meyers frühere Auftritte im Ledermantel und mit spektakulär inszeniertem Einmarsch kennt. Doch es steckt mehr dahinter. Zum einen: Ehrgeiz. Das ist eine bei jungen deutschen Autoren durchaus seltene (oder zumindest selten offen ausgelebte) Eigenschaft. Meyer will vielleicht nicht den Erfolg, aber er hat nichts gegen ein bisschen Ruhm, und vor allem will er Anerkennung, Geltung. Zum anderen: Unsicherheit. Wer so penibel darauf achtet, wie er wahrgenommen wird, der muss getrieben sein von der Sorge, falsch verstanden, falsch dar- (oder eben bloß: vor-)gestellt oder womöglich gar vergessen zu werden.

Das sind durchaus erfreuliche Charakterzüge. Denn sie werden bei Clemens Meyer nicht nur aufgewogen durch Witz, Geist und Authentizität. Sondern sie haben vielleicht sogar dazu geführt, dass dieser Abend überhaupt zustande kommt. Die Lesung in seiner Heimatstadt Leipzig haben Studenten der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur organisiert, als Teil einer Projektarbeit und zum Abschluss eines Seminars, das sich mit deutscher Gegenwartsliteratur beschäftigt hat. Als vielfach ausgezeichneter Autor ist Meyer längst über den Status hinaus, in dem er sich für derlei hergeben müsste. Doch dass sich da jemand intensiv mit seinem Werk beschäftigt hat (am Ende bekommt der Schriftsteller eine Mappe mit den Ansichten der Studenten zu seinem Werk überreicht, und man muss fast befürchten, dass er die Interpretationen und Analysen tatsächlich verschlingen wird), das schmeichelt ihm offenbar genug, um zwischen Terminen in Split und Belgrad in einem schmucklosen Seminarraum zu referieren.

Die Atmosphäre ist durch und durch Klassenzimmer: weiße Wände, enge Sitzreihen, hinter Meyer eine nach unten geschobene Tafel, die auf Höhe seiner Ohren endet, und Gekicher allerorten, als das Wort „wichsen“ fällt. Auch die Begrüßung ordnet sich irgendwo zwischen Proseminarsreferat und Fahnenappell ein, bis Meyer mit seinem Meckern über das Mikrofon und dem Bekenntnis, wetterfühlig zu sein, für die nötige Lockerheit in der HTWK sorgt. Er liest das Kapitel Palasttheater aus seinem Debüt Als wir träumten, es folgt ein Auszug aus dem bereits erwähnten Von Hunden und Pferden aus dem Kurzgeschichtenband Die Nacht, die Lichter.

Wenn er liest, ist sie wieder da, diese Ernsthaftigkeit. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, als Clemens Meyer, im Anzug, aber mit Hemd aus der Hose, sich nach einer Stunde den Fragen der Studenten in der HTWK stellt. Er verrät, dass eine Verfilmung von Als wir träumten nach wie vor nicht vom Tisch ist und der Stoff gerade bei Andreas Dresen liegt. Er verspricht, irgendwann ein Theaterstück schreiben zu wollen, und verrät ein bisschen etwas über den Roman, an dem er gerade sitzt (Thema: ein Wirtschaftszweig, viele Seiten, viele Figuren, viele Jahre, erscheint frühestens im September 2013).

Er hat nichts gegen einen Witz, er lacht auch über sich selbst. Mitunter wirkt er auch sechs Jahre nach dem gefeierten Debüt noch etwas fahrig, unbeholfen, sogar unfreiwillig komisch. Aber auf sein Werk lässt er nichts kommen. Wer ihn bloß als „hochbegabten Chronist des Elends“ sieht, wie die Welt das einst getan hat, der liegt gänzlich falsch. „Die Sachen, die literarische Kraft haben, behandeln meistens das Scheitern, die Abgründe“, erklärt er diese Schlagseite, neben der es freilich noch viel mehr gibt, und stellt zudem klar: „Die Figuren in den Geschichten empfinden sich selbst nicht als Randfiguren.“

Meyer wehrt sich auch gegen eine Übersteigerung des Autobiografischen in seiner Rezeption, die auch nach dem jüngsten Werk Gewalten wieder um sich griff. „Es reicht nicht, Anteil genommen zu haben. Da ist ganz viel Erfindung und Konstruktion dabei“, betont er, um später zu ergänzen: „Man findet keine Geschichten einfach so. Die müssen gebaut werden.“ Er spricht mit so viel Würde, Sympathie und Reflexion über seine Werke und Figuren, dass man ihm tatsächlich abkauft, er habe unlängst drei Monate in New York verbracht und dort die meiste Zeit bloß isoliert in seinem Zimmer gesessen, um am neuen Roman zu arbeiten. Man kann das Grimm nennen. Oder Gravitas.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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9 Gedanken zu “Clemens Meyer, HTWK, Leipzig

  1. lodenmantel? habe ich nie gehabt. würde ich nie tragen, was für ein quatsch. bitte nicht diesem mist aufsitzen! was für ein dummes geschwätz von leuten, die mich 0 prozent kennen!

  2. Kommentar Nummer 1 ist inszeniert, oder? Falls nicht: Epic, as they call it on the Internets! Clemens Meyer schreibt Leserbrief unter Artikel über Clemens Meyers Leserbriefe.

  3. Und der Autor behielt recht. Clemens Meyer googelt seinen Namen offenbar tatsächlich nach Auftritten …

  4. und auch kein anzug, sondrn jeans!
    aber was hat das noch für einen sinn.
    beoabachten will eben gelernt sein

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