Gogol Bordello hatten nur noch eine Tänzerin dabei. Trotzdem war es sehr voll auf der Bühne.

Gogel Bordello – “Super Taranta”

Künstler*in Gogol Bordello

Gogol Bordello Super Taranta Review Kritik
Gogol Bordello halten Anarchie und Eskalation hoch.
Album Super Taranta
Label Side One Dummy
Erscheinungsjahr 2007
Bewertung

Man könnte meinen, bei ihrem vierten Album hätten Gogol Bordello langsam genug davon, immer als diese spinnerte Kapelle aus Osteuropa betrachtet zu werden, die sich am liebsten per Polka fortbewegt und ausschließlich von selbstgebranntem Fusel ernährt. Super Taranta zeigt allerdings, dass die 1999 in New York gegründete Band keinerlei Problem mit all diesen Klischees hat. Im Gegenteil: Frontmann Eugene Hütz, der einst aus der Ukraine ausgewandert war, und seine Mitstreiter*innen zelebrieren hier selbst all die offensichtlichen Assoziationen, die ihre Musik mit sich bringt.

Zum Auftakt der Platte klingt Hütz in Ultimate schon ohne Musik wie ein übermutiger Harlekin, der es kaum erwarten kann, wieder seine Scherze zu treiben und seine Mannen ins Feld zu führen, die er als “nothing but a bunch of zeros” charakterisiert. Das Lied wird zwischendurch nicht nur halsbrecherisch schnell, sondern ganz kurz sogar Metal. Harem In Tuscany (Taranta) klingt, als hätten die Söldnertruppen der Medici schon Pogo getanzt. Alcohol zeigt nicht nur mit der Zeile “Thank you one more time for everything you’ve done”, dass Wodka und Sliwowicz offensichtlich wirklich ein wichtiger Treibstoff für Gogol Bordello sind, die hier wie schwer verkaterte Tito & Tarantula wirken.

Your Country erweist sich als ein kaputter, ja geradezu zynischer Blues mit einem wilden Schrei wie von Indianern auf dem Kriegspfad und der Botschaft, dass Nationalstolz lächerlich ist: “Your country raised you / your country fed you / and just like any other country / it will rape you.” American Wedding wird besonders eingängig und hinterfotzig, wie ein Mix aus den Beastie Boys, Madness und Weird Al Yankovic. Auch Supertheory Of Supereverything wird den Moralhütern in der amerikanischen Wahlheimat nicht gefallen: Darin zeigt Hütz, dass er nicht sehr bibelfest ist, dafür aber ein feines Gespür für Schweinepriester und einen scharfen Blick für falsche Apostel hat.

Dub The Frequencies Of Love könnte man sich als eine besonders cineastische Variante von The Clash vorstellen. Der Bass in My Strange Uncles From Abroad macht gleich weiter mit Dub, das Ergebnis wirkt wie eine besonders ausgelassene und feuchtfröhliche Familienfeier, die immer wieder neuen Schwung bekommt, als man gerade geglaubt hat, die Party sei nun wirklich zu Ende.

Forces Of Victory ist im Kern harter Rock und wäre mit gar nicht so stark verändertem Arrangement von Manowar oder den Dropkick Murphys vorstellbar, was die erstaunliche Bandbreite von Super Taranta unterstreicht. Das abschließende und instrumentale Titelstück kann man als so etwas wie das Opus Magnum dieser Band betrachten. Das Lied zeigt innerhalb von fast sieben Minuten bei all der offenkundigen Freude an Anarchie und Eskalation nämlich auch die große Musikalität, die in dieser Truppe steckt. Suddenly… (I Miss Carpaty) beschwört dann – wieder so ein Spiel mit Klischees – noch einmal die slawischen Wurzeln herauf und wirkt in seiner überschwänglichen Komplexität fast chaotisch. Das Lied zeigt, was Gogol Bordello letztlich im Kern machen: Musik von Freigeistern für Freigeister.

Gogol Bordello spielen Alcohol live in Wien.

Website von Gogol Bordello.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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