Peter Licht – “Beton und Ibuprofen”

Künstler Peter Licht

Peter Licht Beton und Ibuprofen Review Kritik
Depression ist ein wichtiges Thema auf “Beton und Ibuprofen”.
Album Beton und Ibuprofen
Label Tapete
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Man muss nicht allzu viel im privaten Lebenslauf von Peter Licht stöbern, um zu erkennen: Die Zeiten vom Sonnendeck sind lange vorbei. Der Hit, der ihn bekannt machte, ist nicht nur kalendarisch 20 Jahre her, auch die Stimung hat sich deutlich gedreht. „Je mehr ich darüber nachdenke, merke ich: Ich habe eine schlechte Zeit und ich habe den Eindruck, dass auch die Gesellschaft eine schlechte Zeit hat. Oder die Welt“, sagt der Künstler. „Sie ist erkrankt an einer Krankheit mit dem Namen Krankheit. Und es ist einerlei, ob diese Krankheit ‚Depression‘ heißt oder ‚Leistungsgesellschaft‘ oder ‚Erschöpfung‘ oder ‚Klima‘ oder ‚Rassismus‘ oder ‚Nationalismus‘ oder ‚Mauer‘“, geht sein Statement zum heute erscheinenden neunten Album Beton und Ibuprofen weiter.

Dass der Arbeitstitel für die Platte Society Of Depression gewesen sein soll, glaubt man gerne. Im Booklet gibt es so etwas wie einen Prolog, dort ist von „unruhigen Zeiten“ und „ins Ungewisse kippen“ die Rede. In den Texten des Musikers, der auch Bücher, Filme und Theaterstücke macht, stößt man immer wieder auf Wolken, Nacht, Augen und Angst. Wenn du traurig bist heißt das erste Lied, es klingt vorsichtig, anheimelnd und sensibel, wie es zu Blumfeld oder Enno Bunger passen würde, auch durch seine sehr organische, warme Instrumentierung. Zeilen wie „Wenn du kein Zuhause hast, fahre besser nicht hin“ sind ein Beispiel für Lyrik, die zugleich frei assoziiert und tiefgründig wirkt, wie man sie auf Beton und Ibuprofen immer wieder finden kann.

Musikalisch ist die mit Boris Rogowski und Benedikt Filleböck in Köln aufgenommene Platte so vielseitig, wie es vielleicht einfach sein muss bei Peter Licht. Die Technik wird uns retten („… und die Liebe auch“, heißt glücklicherweise die nächste Zeile) hat eine The-Cure-Gitarre als zentrales Element, begleitet von ein bisschen Elektronik. Beton ist schweres Thema entpuppt sich als Garagenrock, wie er von Odd Couple oder Die Nerven stammen könnte. Die Sprache der Augen ist verspielt und gewitzt im Text, aber durchaus angriffslustig im Sound (derselbe Text wird im letzten Song als Die Sprache der Enden noch einmal zu einem hübschem Gitarrenpicking vorgetragen, was sich eher wie ein Bonustrack anfühlt als wie ein richtiger Rausschmeißer). Ibuprofen arbeitet mit Samples, Dub-Elementen und einer fast unbeteiligten Stimme, was in Kombination ein wenig an Beck erinnert. Die Zeile „Wenn du was hast, musst du was nehmen“ umreißt den thematischen Rahmen rund um zwanghafte Selbstoptimierung und die Unfähigkeit, abzuwarten, etwas zu erdulden, eine Einschränkung oder ein Defizit einfach zu akzeptieren. Ein Honky-Tonk-Klavier und der Bass sorgen in Freunde für etwas Groove, die Botschaft scheint zu lauten: Selbst Trauer, Trübsal und Fatalismus können ein bisschen Spaß machen, wenn man sie wenigstens gemeinsam erlebt.

Immer wieder überrascht Beton und Ibuprofen mit der Fähigkeit, seine trüben Inhalte in schillernde Klänge zu hüllen und auch die Elemente im Dunkeln zu sehen, die tröstlich sein können, Hoffnung machen, nicht zuletzt die eigene Persönlichkeit prägen. Die Zeile „Freunde, kommt alle, und bringt eure grauen Wolken mit!“ kann als Motto dafür gelten. Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man hinter diesem Ansatz die Erfahrung von Peter Licht vermutet, dass seine Musik für ihn selbst eine kathartische Wirkung hat. „Wenn du davon singst, entsteht ein Flug, es wird leicht. Ein Transportmittel geht auf die Reise“, sagt er über die oft bedrückenden Themen der Platte. „Wenn du die Dinge benennst, sind sie da. Und du wirst klar. Und musst dich nicht wegmachen. Mit irgendwas. Du weißt, wo du bist. Du kannst diesen Zustand teilen. Es gibt noch andere, die mit dir unterwegs sind. Du besingst deinen Abgrund und du besingst den Abgrund der anderen. Du weißt gar nicht mehr, wo da jetzt genau die Trennlinie ist. Ich singe von mir und von euch. Freunde kommt alle und bringt eure grauen Wolken mit!“

So klingt Dämonen denn auch eher nach Märchen als wie eine Horrorvision, passend zur Zeile „Wenn die Dämonen kommen, ist jeder, der ein Mensch ist, ein Freund.“ In …e-scooter deine Liebe lautet der Ratschlag: “Sei immer einen Schritt schneller als die Depression“, die hier auch mit lustigen Klangeffekten in die Flucht geschlagen wird. Lost Lost Lost World erweist sich als ein fast achtminütiger, gesprochener Rückblick zu einem esoterischen Sound rund um die schockierende Erfahrung: Dort, wo einmal Leben war, ist plötzlich nur noch Angst. Bei Verloren kommt Charles als Unterstützung dazu, deren Stimme im Refrain extrem hoch ist und auch in der Strophe im Hintergrund bleibt, wenn auch ein paar Oktaven tiefer. Hier lautet der Tenor hingegen: Sich selbst verlieren, kann sich manchmal auch gut anfühlen.

Im Video zu Dämonen ist Peter Licht nicht ganz so wahnsinnig wie der Goldene Reiter.

Website von Peter Licht.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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