Europa zum Anfassen

Herbeigesehnt hatte ihn wohl niemand. Auch wenn vor fünf Jahren manch einer voller Stolz und Neugier sein Starterkit öffnete: Den allermeisten Deutschen wäre es lieber gewesen, die D-Mark zu behalten. Sie schien nicht nur ein vertrauter Garant für wirtschaftliche Stärke zu sein, sondern war nach der Wiedervereinigung auch zu einem Symbol der nationalen Identität geworden.

Im Gegensatz dazu war die neue Währung ein typisches Beispiel dafür, wie Europa leider meist noch funktioniert: Der Euro wurde den Deutschen von oben verordnet. In zig Verträgen und unzähligen Verhandlungsrunden verliehen Politiker und Wirtschaftsexperten ihm Schritt für Schritt seine Gestalt, bis er schließlich – ganz zuletzt – mit Gewalt ins Leben der Menschen einbrach. Dass der Euro deshalb kein gutes Image hatte, und dass – wie unlängst eine Umfrage gezeigt hat – noch heute mehr als die Hälfte der Deutschen der D-Mark nachtrauert, verwundert deshalb nicht.

Trotzdem ist der Euro ein Segen. Wie sehr man sich schon an die Annehmlichkeiten der europäischen Einheitswährung gewöhnt hat, wird manch einem erst klar, wenn er auf Reisen geht und plötzlich Geld umtauschen und Preise umrechnen muss. Auch für die Wirtschaft brachte die Vereinheitlichung große Erleichterungen. Wechselkursrisiken sind innerhalb Europas passé, Preise und Wettbewerb werden somit transparenter.

Nicht zuletzt war auch die Sorge um die Stabilität der neuen Währung unbegründet: Langsam, aber sicher macht der Euro tatsächlich dem Dollar als beliebteste Devisenreserve Konkurrenz. Und die Prinzipien der Maastricht-Kriterien dienen mittlerweile sogar als Vorbild, wenn man in Deutschland versucht, die chronisch defizitären Haushalte der Bundesländer und die Finanzströme zwischen ihnen in den Griff zu kriegen.

Vor allem aber ist der Euro auf dem besten Weg, das zu werden, was die D-Mark einst war: ein Symbol für die neue Gemeinschaft. Nirgendwo sonst ist Europa für seine Bürger so greifbar wie im Geldbeutel. Die Vision von der Einheit in der Vielfalt spiegelt sich nirgends so wider wie auf den Münzen, deren Vorderseite einheitlich gestaltet ist und deren Rückseite jedem Land seinen individuellen Spielraum gibt.

Dass ausgerechnet der schnöde Mammon die Europäer einen soll, mag manchen Kritikern nicht passen, für die Europa ein hehres Ideal darstellt. Doch sie können beruhigt sein: Was der Euro in fünf Jahren für den europäischen Gemeinschaftssinn geleistet hat, ist mit Geld nicht zu bezahlen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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