Kosmonaut-Festival, Chemnitz, Tag 2

Kosmonaut Chemnitz Stausee
Mehr Heimspiel geht nicht: Kraftklub sind das Highlight am Kosmonaut-Samstag.

Reden wir nicht drumherum: Insgesamt 20 weitere Acts spielen heute beim Kosmonaut-Festival, zählt man alleine die Hauptbühne, die Atomino-Bühne und das Programm “Beim Siggi” zusammen. Aber der Samstag in Chemnitz ist Kraftklub-Tag. Schon gestern hatten sich die Jungs kurz blicken lassen, als sie den (besser: die, wie sich dann herausstellte) geheimen Headliner anmoderierten. Heute treten sie zum dritten Mal (wenn man Spontan-Shows wie letztes Jahr auf dem Zeltplatz nicht mitzählt) beim selbst gegründeten Festival auf. Es ist das ultimative Heimspiel, und wie sehr die Kosmonauten am Stausee Rabenstein dieser Show entgegen fiebern, merkt man unter anderem an der spürbar größeren Besucherzahl im Vergleich zum Vortag. Sogar die Wiese auf dem gegenüber liegenden Ufer des Sees füllt sich gegen Abend mit Zaungästen.

Kosmonaut-Festival 2018 FINN
FINN spielten fast den gesamten Samstag über ein Überraschungskonzert.

Zumindest ein paar Sätze seien zum “Was vorher geschah” trotzdem gestattet. Denn schon der Nachmittag unterstreicht, wie anders dieses Festival ist. Bierhelme, kostümierte Fans, Fußballtrikots, Menschen mit pseudo-lustigen Pappschildern, Besucher in Funktionskleidung – all das sieht man auf dem Kosmonaut viel weniger als bei handelsüblichen Festivals. Was es hingegen viel häufiger zu sehen gibt: Lächeln, Kinder und Menschen, die für ihr Leben gerne Rotkäppchen-Piccolo trinken (davon gehen jedenfalls sehr viele an der Bar im Backstage-Bereich über den Tresen). So eine Atmosphäre mögen natürlich auch die Künstler: Olli Schulz wird gefeiert und wirkt selbst mit dem herrlich altmodischen Als Musik noch richtig groß war, das sein Set beschließt, kein bisschen aus der Zeit gefallen inmitten so vieler Autotune-Rapper. Sofi Tukker holt bei Awoo aus dem Publikum zwei Fans auf die Bühne (Christina und Michael, fact fans), die sich als exzellente Tänzer erweisen. Und Juse Ju schafft es, selbst bei einem Starttermin um 14.15 Uhr schon beim zweiten Lied seiner Show ein Moshpit zu initiieren. “Heute ging es mega krass durch die Decke”, schwärmt er später im Interview.

Kosmonaut Festival Chemnitz
Zwei Gaststars aus dem Publikum gab es bei Sofi Tukker.

Auch Milky Chance genießen ihren Slot als Vize-Headliner sichtlich. Auch wenn sie auf Platte mittlerweile zur Langeweile tendieren und auch in Chemnitz gelegentlich einen Hang zum Muckertum durchscheinen lassen, sind es ganz offensichtlich Tage wie diese, denen sie einen großen Teil ihrer Fans zu verdanken haben. Die tiefenentspannte Stimme von Clemens Rehbein, die nicht sonderlich schnellen, aber stets energischen Beats und nicht zuletzt das Element von Lagerfeuer-Gemeinschaft, das ihrem Folktronica-Sound innewohnt, sind nun einmal perfekt geeignet für einen Sonnenuntergang, der von Seifenblasen begleitet wird und einen leicht angeheiterten Tag am See zu Ende gehen lässt.

Dann ist es soweit. Kurz nach halb elf beginnt die Zeit mit K. Kraftklub beginnen gleich mit Karl-Marx-Stadt inklusive Pyro-Fackel. Die bisher eindrucksvollste Performance dieses Lieds hatte ich beim Berlin-Festival 2012 gesehen, wo es einfach höchst skurril war, sehr viele Nicht-Chemnitzer die Zeilen “Ich komm’ aus Karl-Marx-Stadt / bin ein Verlierer, Baby / original Ostler” singen zu hören. Was heute beim Kosmonaut passiert, übertrifft diese Erfahrung bei weitem. Hier ist eine fünfstellige Anzahl von Menschen, die größtenteils wirklich aus Chemintz oder Umgebung kommen. Die, wie Kraftklub, erlebt haben (oder es zumindest aus den Erzählungen von Freunden oder Eltern kennen), wie in der Zeit, als aus Karl-Marx-Stadt wieder Chemnitz wurde, ein Viertel der Einwohner und fast alle Altersgenossen die Stadt verlassen haben. Die noch heute jeden Tag mit den Folgen dieses Umbruchs leben müssen, von einer Arbeitslosenquote, die weiterhin 2 Prozentpunkte über dem bundesdeutschen Schnitt liegt, bis zu einem Viertel der Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD machen.

Kosmonaut Samstag Kritik
Golf mit K: Noch so eine Besonderheit beim Kosmonaut-Festival.

Es aus dieser Ausgangssituation heraus auf drei Nummer-1-Alben gebracht und ein Festival auf die Beine gestellt zu haben, das nun zum sechsten Mal stattfindet und zum fünften Mal in Folge eine fünfstellige Besucherzahl anlockt, ist kein geringes Verdienst. Man kann beim Kosmonaut-Festival beobachten, wie überrascht und dankbar nicht nur Kraftklub über diese Geschichte sind, sondern wie viel Stolz auch ihre Fans daraus ziehen. Das sind unsere Jungs dort oben – das ist hier die Perspektive. Kraftklub tun nicht nur in den Ansagen einiges, um dieses Gefühl zu bestätigen, sondern zeigen natürlich auch in ihren Texten, wie sehr sie tatsächlich noch immer von dieser sehr besonderen Biographie geprägt sind.

Die Show wird ein Triumph. Sänger Felix Brummer bekommt vor Eure Mädchen eine Geburtstagstorte, er zieht Gitarrist Steffen Israel damit auf, dass der am Vorabend zu hart gefeiert hat, er bricht vorbildlich einen Song ab, als es vor der Bühne zu wild zugeht und ein paar Fans zu Fall gekommen sind. Nach drei Liedern kommt die Gang aus Tänzerinnen hinzu, die auch hier für ein spektakuläres Bühnenbild sorgen. Ein Highlight wird bezeichnenderweise 500k, das nichts anderes feiert als die Überraschung über den eigenen Erfolg und die Loyalität und anhaltende Euphorie der Fans. Als Songs für Liam als vierte Zugabe das Set mit dem schon bekannten Hey Jude-Chor abschließt, ist klar: Einen besseren Abschluss für dieses wundervolle Festival hätte man sich nicht träumen lassen können.

Die komplette Setlist von Kraftklub beim Kosmonaut 2018:

1 Karl-Marx-Stadt
2 Unsere Fans
3 Fenster
4 Eure Mädchen
5 Denk an dich
6 Liebe zu dritt
7 500k
8 Schüsse in die Luft
9 Randale
10 Chemie Chemie Ya

Zugabe
11 Alles wegen dir
12 Ich will nicht nach Berlin
13 Wie ich
14 Songs für Liam

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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