Placebo – “MTV Unplugged”

Künstler Placebo

Cover des Albums MTV Unplugged von Placebo Kritik Rezension
Ihr 20. Jubiläum feiern Placebo mit einer Unplugged-Show.
Album MTV Unplugged
Label Universal
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Placebo und MTV Unplugged – das scheint auf den ersten Blick gut zu passen. Nach sieben Studioalben und mehr als 12 Millionen verkauften Tonträgern haben Frontmann Brian Molko und Bassist Stefan Olsdal den nötigen Status für diese ehrwürdige Reihe erreicht. Zudem feiern sie gerade ihr 20. Bandjubiläum. Nicht zuletzt waren Placebo immer eine Band, die sich sehr ernst genommen hat – auch das passt zum Ambiente von Intimität, Reflexion und Bedeutsamkeit, das sich im Unplugged-Kontext normalerweise einstellt.

Entsprechend motiviert ist das Duo, ergänzt um den neuen Schlagzeuger Matt Lunn, das Projekt angegangen. “Als klar war, dass wir dieses Konzert spielen würden, haben wir uns quasi auf eine Mission begeben, diesen Beitrag zur Geschichte von MTV Unplugged für uns genauso interessant zu gestalten wie für die Zuschauer”, sagt Brian Molko. “Wir wollten etwas Einzigartiges auf die Beine stellen, das eine Herausforderung für uns darstellt.”

Angesichts dieses Anspruchs ist MTV Unplugged noch enttäuschender geworden als es ohnehin schon wäre. Bis auf die üblichen Ideen (Streicher, Bläser, weniger Tempo) und eine bessondere Optik für die Show in den London Studios (dem Ort, an dem Placebo einst auch ihr allererstes Konzert gespielt hatten) fällt der Band leider wenig an. Mehr noch: Das Album zeigt, wie sehr Placebo stets auch von Kostüm, Effekt und Spektakel leben – und wie viel ihre Songs verlieren, wenn man all dies weglässt. “Without them, tonight we were nothing”, sagt Brian Molko, als er nach einer runden Stunde am Ende von Without You I’m Nothing um Applaus für die Streicher und Holzbläser bittet. Und dieser Dank ist in der Tat bitter nötig – denn ohne die gelungenen Arrangements von Fiona Brice wäre hier wirklich oft nicht viel geboten.

Das erste Drittel von MTV Unplugged ist dabei noch durchaus verheißungsvoll. Nach einem Cover von Sinead O’Connors Jackie gibt es gleich das beste Lied der Platte: For What It’s Worth ist spannend, hat ordentlich Druck und ein filigranes und überraschendes Streicher-Solo. Wenn Brian Molko dann 36 Degrees mit dem Versprechen “It stood the test of time” ankündigt, kann man ihm ebenfalls zustimmen. Because I Want You bekommt einen interessanten Beat und eine sehr gelungene Neubearbeitung verpasst.

Danach geht es allerdings fast kontinuierlich bergab. Every You Every Me wird zum Duett mit Majke Voss Romme aka Broken Twin, dadurch ist aber komplett die Luft raus aus diesem Lied. Der zweite Gastauftritt wird noch schlimmer, auch wenn Joan As Police Woman in Protect Me From What I Want gar nicht viel dafür kann; viel eher nervt die sehr schiefe Mundharmonika, die Molko hier spielt. Die weiteren Versuche, für Spannung zu sorgen, etwa mit einem Pixies-Cover (Where Is My Mind? ist eine viel zu offensichtliche Wahl und wird auch noch weitgehend originalgetreu gespielt) oder Bosco, das Placebo noch nie zuvor live gespiel hatten, zünden ebenfalls nicht.

Es gibt wenige Lieder, die wirklich ein neues Gesicht bekommen und sehr viele, denen das Unplugged-Gewand nicht steht. Das liegt auch an der Stimme von Brian Molko, die schon immer gewöhnungsbedürftig war und hier so sehr in den Fokus rückt, dass sie selbst für Fans manchmal schwer zu ertragen sein dürfte. In der Tat merkt man spätestens nach einer halben Stunde von MTV Unplugged, das sich die Passagen, in denen er nicht singt, als geradezu wohltuend entpuppen.

Auch die Texte rücken in den reduzierten Versionen natürlich stärker in den Mittelpunkt, was ebenfalls nicht hilfreich ist. Denn ohne den Kontext einer Rock-Show, die normalerweise auch bei Placebo viel Wucht und Nebel und reichlich Lautstärke beinhaltet, wird so erst recht sichtbar: Hier tragen zwei Über-40-Jährige insgesamt 17 Lieder mit einer unverkennbar pubertären Grundhaltung vor. Das stützt den Effekt, den MTV Unplugged in erster Linie hat: Die Platte ist insgesamt fragwürdig, manchmal peinlich und stets enorm anstrengend.

Placebo spielen 36 Degrees unplugged in London:

https://www.youtube.com/watch?list=PLSfNJgI6UBeD_-ixCxfQkhLDktFAyDWBP&v=2jRXyYKLLVs

Homepage von Placebo.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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