Draufgeschaut: Dem Himmel so fern

Film Dem Himmel so fern

Cathy (Julianne Moore) sucht Trost bei ihrem Gärtner (Dennis Haysbert).
Cathy (Julianne Moore) sucht Trost bei ihrem Gärtner (Dennis Haysbert).
Produktionsland Frankreich/USA
Jahr 2002
Spielzeit 107 Minuten
Regie Todd Haynes
Hauptdarsteller Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert, Patricia Clarkson, Viola Davis
Bewertung

Worum geht’s?

Als Mr. und Mrs. Magnatech sind Frank und Cathy Whitaker in Hartford bekannt. Denn Frank ist nicht nur Verkaufsleiter bei der gleichnamigen Firma. Das Ehepaar entspricht auch so sehr der amerikanischen Bilderbuchfamilie, dass sie zugleich die Gesichter für die Werbekampagne von Magnatech sind. Sie werden bewundert und geachtet, engagieren sich in der Gemeinde und versuchen, auch für ihre beiden Kinder ein Vorbild zu sein. Doch dann zerbricht das Idyll: Cathy erwischt Frank in flagranti in seinem Büro – beim Knutschen mit einem anderen Mann. Und auch ihr Verlangen, Trost bei ihrem schwarzen Gärtner Raymond zu suchen, hat das Zeug zu einem Skandal.

Das sagt shitesite:

Regisseur und Drehbuchautor Todd Haynes kritisiert in Dem Himmel so fern die Spießigkeit der 1950er Jahre in den USA, und zwar mit den spießigen Mitteln der 1950er Jahre aus den USA. Zur Retro-Ästhetik des Films gehören der Weichzeichner ebenso wie die Kameraführung und die Ausstattung. Und diese Methode ist die perfekte ästhetische Entsprechung für das Thema des Films.

Denn Frank und Cathy scheitern in Dem Himmel so fern an einer Gesellschaft, deren Werte sie selbst hochhalten; mehr noch: als deren Aushängeschilder sie gelten. Man tut so, als hätte man keine Vorurteile, weil man sie nicht artikuliert. Man klammert sich an ein Weltbild, weil es als einzig gängiger Lebensentwurf gilt. Man gibt sich großherzig und jovial, weicht aber in keinem Moment von der Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit (gegenüber Nachbarn, Kollegen und erst recht gegenüber Minderheiten) ab. Man hält jede Form von Abweichung für suspekt, erst recht in sexueller Hinsicht.

Ihr Umgang ist nicht nur förmlich, sondern steif. Die Kinder sagen „Mutter“ statt „Mama“, Cathy nennt ihren Ehemann gegenüber Dritten immer „Mr. Whittaker“. Es ist schwierig, inmitten all dieser Konventionen in jedem Moment die Form zu wahren, noch schwieriger ist es, zu irgendjemandem wirklich Vertrauen fassen zu können. Die Welt, die Cathy und Frank als Ideal verkaufen, bietet für ihre eigenen Sehnsüchte keinen Platz.

Wenn Frank sich betrinkt oder später aus dem Büro nach Hause kommt, sieht es zunächst aus, als wolle er nur seinen Verpflichtungen ein Stück entfliehen. Erst dann wird klar, in welcher Verzweiflung er steckt: Das, was ihn bedrückt, ist nicht die Arbeit, sondern seine eigene Lust und die Unmöglichkeit, zu ihr stehen zu können. Größer als der gesellschaftliche Druck ist nur seine Scham. Verstärkt wird dieser Effekt durch einen besonders klugen Schachzug von Dem Himmel so fern: Cathy, unfassbar eindrucksvoll gespielt von Julianne Moore, lebt die Disziplin und Selbstverleugnung vor (so wie viele Frauen ihrer Generation), die von ihm verlangt wäre. Und genau das macht ihm sein vermeintliches Versagen umso deutlicher.

Bestes Zitat:

„Glauben Sie, dazu sind wir jemals fähig? Weiterzugehen als nur bis zur Oberfläche?“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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