Hingehört: The Go! Team – “The Scene Between”

Künstler The Go! Team

Viele Gast-Sängerinnen prägen das Go! Team auf "The Scene Between".
Viele Gast-Sängerinnen prägen das Go! Team auf “The Scene Between”.
Album The Scene Between
Label Memphis Industries
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Das hat man dann davon. Nach ihrem dritten Album Rolling Blackouts (2011) gönnten sich die Mitglieder von The Go! Team einige Nebenprojekte. Sängerin Ninja legte ein Soloalbum vor. Sam Dook vertiefte seine Kenntnisse zu selbstgebauten Gitarren und spielte unter anderem mit Mike Watt von den Minutemen zusammen. Weitere Abschweifungen des Sextetts aus Brighton fasst das Presse-Info zur neuen Platte mit der hübschen Aufzählung “get married, teach, experience real life” zusammen.

Und Ian Parton, der Kopf der Band? Der gönnte sich ebenfalls ein paar musikalische Seitensprünge (zum Beispiel mit Whyte Horses) – und stand danach als einziges verbliebenes Vollzeit-Mitglied des Go! Team da. Er hat es allerdings auf höchst eindrucksvolle Weise geschafft, aus dieser Not eine Tugend zu machen. Mehr noch: Selten klang eine Tugend so kurzweilig wie The Scene Between, das gerade erschienene vierte Album des Go! Team.

“I wanted to make an album driven by melody and song writing because catchiness is the hardest thing you can do. Brill Building hooks but permeated with a kind of wobbly VHS feel”, umschreibt Parton seinen Ansatz. Lieder wie dem instrumentalen Rolodex The Seasons mit seinem hübschen Sixties-Feeling oder Did You Know?, das sich bestens neben dem hoch romantischen Indiepop von Belle And Sebastian oder Saint Etienne einsortieren ließe, hört man das besonders an. Auch Her Last Wave, konzipiert als Abschiedsworte einer ertrinkenden Surferin, ist typisch für The Scene Between: Die Musik ein großes Jubilieren, der Gesang wie geträumt.

Apropos Gesang: Die Stimmen auf diesem Album sind ein fast genauso wichtiger Pluspunkt wie die Melodien. Parton hat, als ihm seine Mitstreiter abhanden gekommen waren, diesmal wieder viel auf eigene Faust herumexperimentiert, so wie in der Anfangsphase der Band, und dann die passenden Stimmen gesucht. Und zwar an so abgelegenen Orten (okay: auf Internet-Seiten wie Bandcamp, auf denen sich hoffnungsvolle Hobbysänger präsentieren), dass man die meisten davon noch nie gehört hat.

Die Amerikanerin Doreen Kirchner klingt auf Blowtorch ein wenig wie eine Avril Lavigne mit intakter Unschuld und viel mehr Horizont. Dank der Französin Annabelle Cazes alias Glockabelle bekommt das himmelsstürmende Catch Me On The Rebound deutliche Nähe zu Girlgroup-Klassikern. In The Art Of Getting By (Song For Heaven’s Gate) ist dann sogar der London African Gospel Choir zu hören. Die Musik ist entsprechend opulent, das Thema passt auch: Parton hat sich hier zusammenfantasiert, wie wohl eine Nationalhymne der Ufo-Sekte Heaven’s Gate klingen würde.

Auch das sehr gut gelaunte Waking The Jetstream (mit Casey Sowa) zeigt, was die Stärken von The Scene Between sind: Das Lied ist sehr Go!, zugleich aber auch sehr Team! Es klingt eingängig und organisch. Diese Musik ist schön, manchmal auch niedlich, trotzdem bleiben ihr stets der nötige Druck und auch eine Spur von Aggressivität erhalten. Dazu tragen auch die instrumentalen Stücke bei, in denen Parton besonders freigeistig mit Samples spielt, die auch an etlichen anderen Stellen zum Einsatz kommen. Gaffa Tape Bikini ist elektronisch und experimentell, The Floating Felt Tip würde man in einem anderen Kontext wohl „Industrial“ nennen.

Dieses Prinzip verdeutlicht auch der Titelsong. Mit seiner famosen Melodie, die von einem Cemballo zu stammen scheint, und dem vielstimmigen Gesang des London African Gospel Choir lässt das zwangsläufig an ausgelassene Mädchen-Ferien-Abenteuer denken, zugleich ist da aber auch etwas Ungewöhnliches, sogar Dissonantes. Auch der Opener What D’You Say? (gesungen von der Brasilianerin Samira Winter) ist sonnig und optimistisch, aber auch äußerst kraftvoll – wie Hole ohne Neurosen. Die Kombination aus Betörendem und Verstörendem bietet auch der Album-Schlusspunkt Reason Left To Destroy. Die beiden Sängerinnen Doreen Kirchner und Emily Reo changieren spektakulär zwischen bratzig und elegant, und der Song bekommt tatsächlich einen beides vereinenden Sound hin.

Die Frage muss deshalb offen bleiben, was sich wohl hinter den ersten Sekunden dieses Albums verbirgt. Da hört man, wie eine Dose geöffnet und dann ein sprudelndes Getränk in ein Glas geschenkt wird. Hört man die Musik auf The Scene Between, könnte es ein belebender Energy Drink sein, ein gesundes Mineralwasser, ein kühles Bier mit Freunden – oder auch edler Champagner.

Großen Hobbymusik-Charme verströmt das Video zu Did You Know.

Homepage von The Go! Team.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.