Island – “Yesterday Park”

Künstler Island

Island Yesterday Park Review Kritik
Viel Selbstvertrauen demonstrieren Island auf “Yesterday Park”.
Album Yesterday Park
Label Frenchkiss Records
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

„Wie verwahrt sich aber der Künstler vor den Verderbnissen seiner Zeit, die ihn von allen Seiten umfangen?”, fragt Friedrich Schiller in seinem neunten Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Seine Antwort lautet: “Wenn er ihr Urteil verachtet. Er blicke aufwärts nach seiner Würde und dem Gesetz, nicht niederwärts nach dem Glück und nach dem Bedürfnis. Gleich frei von der eitlen Geschäftigkeit, die in den flüchtigen Augenblick gern ihre Spur drücken möchte, und von dem ungeduldigen Schwärmergeist, der auf die dürftige Geburt der Zeit den Maßstab des Unbedingten anwendet, überlasse er dem Verstande, der hier einheimisch ist, die Sphäre des Wirklichen; er aber strebe, aus dem Bunde des Möglichen mit dem Notwendigen das Ideal zu erzeugen. Dies präge er aus in Täuschung und Wahrheit, präge es in die Spiele seiner Einbildungskraft und in den Ernst seiner Taten, präge es aus in allen sinnlichen und geistigen Formen und werfe es schweigend in die unendliche Zeit.“

Man kann aus diesem Satz so etwas wie ein frühes Manifest gegen den Mainstream (und meinetwegen auch für Indie) herauslesen: Der Zeitgeist ist im Zweifel der Feind, das Streben nach seiner Gunst und dem damit verbundenen Erfolg ist verderblich. Es zählt einzig die Kunst, ihre Qualität und Authentizität, die sich auch durch ihre Verweigerung und Skepsis gegenüber vermeintlichen Standards und unvermeidbarer Erwartungshaltung zeigt. Das Zitat zeigt aber auch, wie unwichtig Aktualität (“die dürftige Geburt der Zeit”) im künstlerischen Schaffen ist und wie unbegrenzt die Möglichkeiten sind, die durch “die Spiele der Einbildungskraft” entstehen.

Island haben die Bedeutung dieser Aussage bestens verstanden. Ästhetik und Ethos von Frontmann Rollo Doherty, Gitarrist Jack Raeder, Bassist James Wolfe und Schlagzeuger Toby Richards sind maximal Indie, zugleich hat die in Oxford gegründete Band, die jetzt in London ansässig ist, auf ihrem zweiten Album nach dem Debüt Feels Like Air (2018) keinerlei Bedürfnis, über Covid, Klimakrise oder Brexit zu singen. Wenn es auf Yesterday Park so etwas wie ein Leitmotiv gibt, dann ist es vielmehr der Rückblick auf Kindheit und Heranwachsen. “Die Erinnerungen an die totale Harmonie, an die Jugend und sorglose Zeiten verändern sich mit der Zeit. Einerseits fühlen sie sich immer weiter weg an und verblassen, andererseits romantisiert man sie immer mehr, wodurch sie irgendwie zu neuen Erinnerungen werden. Das Ergründen dieser Gefühle ist das zentrale Thema des Albums”, sagen Island.

Mit mindestens zwei Beispielen demonstriert das Quartett auf Yesterday Park die Schiller’sche Autonomie und Überzeugung. Das erste ist der Auftakt dieser von Mikko Gordon (Thom Yorke, Gaz Coombes, Pete Townshend) produzierten Platte. Octopus zeigt mit Zeilen wie “When I was younger / there was nothing in my way” bereits den inhaltlichen Schwerpunkt, überrascht aber vor allem mit einer interessanten, reduzierten Gitarrenfigur und einer entspannten Atmosphäre, die ziemlich ungewöhnlich für einen Opener ist, wo Bands ja sonst gerne auf Frontalangriff setzen. Das zweite Beispiel ist der Titelsong, der sich als nur 104 Sekunden lange Skizze erweist. Nach so einem vergleichsweise unscheinbaren Moment sein zweites Album zu benennen, ist ebenfalls ein Zeichen von Selbstvertrauen und Eigenständigkeit.

Immer wieder warten Island auf dieser Platte mit einer erstaunlichen Souveränität auf. This Part Of Town beispielsweise zeigt eine große Gelassenheit, die aus Erfahrung gespeist ist, aber auch aus der Hoffnung und dem Glauben, dass man gemeinsam Tiefs durchstehen und dass danach alles besser werden kann. Eine ganz ähnliche Botschaft hat My Brother, das Rollo Doherty geschrieben hat für “jemanden, der Hilfe braucht um die Welt mal zu sehen, wie sie wirklich ist. Manchmal brauchen wir jemanden, der uns dabei hilft, nicht immer die gleichen Fehler zu machen. Es ist ein Appel an diesen Freund, die Veränderung zu wagen und das Neue zuzulassen.” Der Song wird entsprechend engagiert, mitfühlend und aufgewühlt – viel schöner können Bromance und das große Versprechen von Loyalität nicht klingen.

Auch By Your Side kann man in dieser Reihe nennen, es hätte mit dieser Leidenschaft und dem Angebot von ewigem Beistand gut zu Glasvegas gepasst. Do You Remember The Times erzählt aus Jugendtagen, die sich anfühlten, als gehörte ihnen die ganze Stadt, und wirkt wie eine entspannte Variante von The Vaccines. Bei Young Days klingen in der Stimme und der Stimmung sehr deutlich The Verve durch, hier wird das dominierende Thema rund um die Zeile “This world is for the kids now” artikuliert. The Way We Love schließt Yesterday Park ab und lässt an einen besonders romantischen Moment der Arctic Monkeys denken.

Den besten Song des Albums liefern Island mit The Lines We Follow ab, das kompakt, eingängig und auf den Punkt ist. We Used To Talk ist ein gutes Beispiel für Ihre Vorliebe für prominente Gitarreneffekte und dezenten Groove, die sich hier immer wieder beobachten lässt. Ein Highlight ist auch Everyone’s The Same. “Ich war wirklich frustriert von der Vorstellung, dass wir als Individuen mit unseren Handlungen nichts an den kollektiven Auswirkungen auf die Welt ändern können. Ich glaube nicht, dass wir als Individuen nur negativen Einfluss auf die Welt haben können”, sagt Doherty über diesen Song, dem man die Wut über diese vermeintliche Ohnmacht anhört. Das Stück ist besonders kraftvoll und am Ende fast ein Tumult. Im Vergleich zu Octopus wäre es der offensichtlichere Opener gewesen. Aber solche Gewöhnlichkeiten haben Island auf Yesterday Park gar nicht nötig.

Im Clip zu Young Days sieht die Jugend von heute nicht sonderlich glücklich aus.

Island bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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