Melt-Festival, Ferropolis, Gräfenhainichen, Tag 3

Egoistisch, oberflächlich, nachlässig gekleidet. Ich sag's doch. Foto: Melt-Festival/Stephan Flad
Egoistisch, oberflächlich, nachlässig gekleidet. Ich sag’s doch. Foto: Melt-Festival/Stephan Flad

Liebes Melt,

du glaubst gar nicht, wie schwer mir diese Zeilen fallen. Aber es ist an der Zeit. Es muss gesagt werden: Ich mache Schluss. Das war’s mit uns.
Du hast recht: Wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Es war manchmal ein bisschen chaotisch (Bonaparte 2010), es flogen gelegentlich mal die Fetzen (Justice 2012). Aber es war auch sexy (Shout Out Louds 2011), romantisch (Boy 2012),  feuchtfröhlich (Oasis 2009) ein Riesenspaß (Robyn 2011). Wir haben eine Menge durchgemacht, so etwas wirft man nicht einfach so weg, das stimmt wohl. Aber weißt du: Man entwickelt sich weiter, du entwickelst dich, ich entwickle mich – und wir passen einfach nicht mehr zusammen.
Ich will gar nicht zu sehr auf Oberflächlichkeiten eingehen. Aber dieses Jahr hast du dir nicht mal mehr die Mühe gemacht, ein Motto zu entwickeln für uns. Deine Outfits waren auch schon mal origineller. Und dass du immer wieder, immer wieder, immer wieder bloß diesen Salamilappen von Pizza Mario auftischst – besonders hilfreich ist das auch nicht. Und hast du eigentlich mal geschaut, wie das Klo schon wieder aussieht?
Das sind allerdings Kleinigkeiten, über die man hinwegsehen könnte. Das echte Problem ist ein grundsätzliches. Ich glaube, wir wollen nicht mehr dasselbe. Du willst Leichtigkeit und Abwechslung, immer das Neuste und Coolste. Kaum entdeckst du irgendeinen angeblichen Trend in einem dieser unerträglichen Blogs, schon bist du Feuer und Flamme. Und nebenher willst du auch noch klettern, basteln, baden und die Welt retten. Und ich will etwas, das besonders ist. Etwas, das bleibt, das auch in drei Jahren noch Bestand haben wird. Etwas Solides. Immer mehr, immer schneller, immer neuer: Merkst du nicht, dass du dich dabei auszehrst, dass du bald nur noch nach Luft schnappen kannst und nichts mehr bleiben wird als eine gähnende Leere? Ich weiß doch, wie cool du bist, wie einmalig. Ich weiß, dass es diese Momente gibt, in denen du atemberaubend schön sein kannst. Musst du das immer so raushängen lassen?
Deine ganzen komischen Freunde, die vor lauter Recherche für das passende Outfit nicht mehr dazu kommen, wenigstens mal ein Debütalbum zu vollenden. Diese ganzen Schluffis mit ihren Notebooks, die ein paar Knöpfchen drehen und dazu vollkommen übermotiviert mit dem Kopf nicken. Diese Pseudo-Schönheiten, die sich diese Nerds dann an Bord holen, weil sie selbst genauso schlecht singen, aber die noch schlimmeren Frisuren haben. Diese penetranten DJs, die ernsthaft meinen, irgendjemand schere sich einen Dreck um die Übergänge zwischen zwei Tracks. Ich habe einfach keine Lust mehr darauf. Das ist hohl, das ist anstrengend. Das ist vor allem viel zu substanzlos, um in drei, vier Jahren noch irgendeine Relevanz zu haben.
Glaub mir, wenn ich so ehrlich bin, dann nur, um dir zu helfen – und nicht, um dich zu verletzen. Aber du hast dich da völlig hineingesteigert in einen Hipness-Wahn, und du hast dabei vergessen, wer du eigentlich bist und was dich ursprünglich einmal so liebenswert gemacht hat. Was wir früher erlebt haben, das sollte nie das Coolste sein, sondern das Beste. Es sollte mutig sein, oder einfach bloß charmant oder nett. Was ist davon geblieben? Heute schweifst ständig ab, bevor überhaupt ein magischer Moment entstehen kann, guckst du schon wieder auf deine bekackte App, ob du nicht vielleicht gerade irgendwo anders etwas noch viel Besseres verpasst.
Das ist einfach nicht die Art von Beziehung, die ich führen möchte. Das ist egoistisch, oberflächlich, wertlos. Und auf meine Wünsche gehst du schon lange nicht mehr ein. Wäre es nicht ein Leichtes gewesen, diesmal für unser gemeinsames Wochenende etwas auf die Beine zu stellen, was wirklich toll zu uns gepasst hätte? Daft Punk? Franz Ferdinand? Arctic Monkeys? The Killers? The Prodigy? Pet Shop Boys? Ich glaube, wenn dir ein bisschen mehr an uns liegen würde, dann hättest du das ermöglichen können, und vielleicht wäre es legendär geworden. Vielleicht hätten wir danach noch einmal eine Chance gehabt.
Aber so macht das keinen Sinn mehr. Ich denke bestimmt mal ab und zu an dich, aber es ist Aus. Mach’s gut.
Update 11.31 Uhr: Atoms For Peace: erstaunlich gut. Mark Ronson: der Oberhammer. James Murphy: genial. Owen Pallett: fantastisch. Young Rebel Set: ein famoses Finale für ein wieder einmal sehr schönes Wochenende. Bis zum nächsten Jahr!

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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