Thees Uhlmann – “Junkies und Scientologen”

Künstler Thees Uhlmann

Junkies und Scientologen Thees Uhlmann Review Kritik
Thees Uhlmann mag die Unscheinbaren – und die Außenseiter noch viel mehr.
Album Junkies und Scientologen
Label Grand Hotel van Cleef
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

„Nicht knutschen!“ Das waren die (bisher) einzigen Worte, die Thees Uhlmann an mich gerichtet hat. Persönlich, im echten Leben. Er hat damals in der Hansen Band gespielt und diese kurze Aufforderung auf dem Weg zur Bühne an mich gerichtet. Im Rückblick war es natürlich eine zutreffende Warnung: Die Frau, mit der ich damals gerade knutschte, als er an uns vorüberging, war selbstverständlich umwerfend, aber vergeben. Trotzdem war sie rund 555 Kilometer angereist, um mit mir knutschen zu können (und auch, okay, um Thees und seine Mitstreiter live zu erleben). Das alles endete nach dem sehr schönen Konzertabend in einem schmerzhaft langen Hin- und Hergerissensein und letztlich betrüblich für alle Beteiligten. Thees hatte es wohl geahnt.

Das Schöne an seiner Musik ist: Jedes Lied von ihm klingt wie diese Anekdote. Jedes klingt, als komme es nicht von einem fiktiven Künstler und werde von einem Tonträger über Kabel und Lautsprecher ins eigene Ohr transportiert. Sondern als richte er sich ganz individuell und direkt an uns. Persönlich, im echten Leben. Das gilt auch auf Junkies und Scientologen, seinem dritten Solo-Album. Es gilt auf dem heute erscheinenden Werk vielleicht sogar noch etwas mehr, weil man sich über diese Platte besonders freuen kann. Gerade die Tatsache, dass er Fünf Jahre nicht gesungen hat, wie der Auftaktsong noch einmal in Erinnerung bringt, macht deutlich, wie sehr er gefehlt hat, wie schnell er so etwas wie ein unsichtbarer Wegbegleiter und weiser Ratgeber im eigenen Leben geworden ist.

Das ist keine schlechte Leistung nach nur zwei Soloplatten, aber natürlich hat dazu auch beigetragen, dass Thees Uhlmann auch jenseits davon sehr präsent war. Er hat seinen Debütroman Sophia, der Tod und ich veröffentlicht, er hat die Biographie von Bruce Springsteen für ein Hörbuch eingesprochen, nicht zuletzt haben unzählige großartige Tweets dafür gesorgt, dass er auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts immer wieder beweisen konnte, wie skurril, treffsicher und humorvoll er sein kann.

Dabei wäre seine Rückkehr als Musiker um ein Haar schon deutlich eher erfolgt. Seine dritte Platte hatte er eigentlich 2016 schon fast fertig, warf die bis dahin entstandenen Ergebnisse dann aber über den Haufen. Anlass dafür war die Ahnung, nicht das richtige auszudrücken, keine passende Entsprechung gefunden zu haben für das, was ihn gerade umtreibt. Junkies und Scientologen, das von Simon Frontzek und Rudi Maier produziert wurde, hat diesen Makel nicht mehr, nicht nur aus Sicht des Künstlers, sondern unverkennbar auch für den Hörer.

Der Opener Fünf Jahre nicht gesungen setzt auf erstaunliche Theatralik im Riff, das nicht ganz unzutreffend ein paar Mal mit Foreigners Cold As Ice verglichen wurde, aber auch von Abba stammen könnte. Die wirklich wichtigen Zutaten sind hier aber jene, die stets prägend bei Thees Uhlmann waren: Kraft, Tiefe, Witz und eine manchmal schmerzhafte Ehrlichkeit, nicht nur in der Zeile: “Menschen wie ich / bleiben lieber allein.”

In Danke für die Angst zeigt er, wie sehr ihn Stephen King während des Heranwachsens geprägt hat, er zeigt auch: Schauder und Gänsehaut können angenehme Gefühle sein. Irrational ist nicht nur diese Angst, die von Fiktion ausgelöst wird, sondern auch die Bereitwilligkeit, sich als Fan (eines Autors, oder einer Band) diesem Irrationalen so sehr auszuliefern. Dieses Grundprinzip für echte Pop-Afficionados zeigt sich auch darin, dass hier zweimal andere Musiker in Songtiteln auftauchen: Avicii wird eine rasante Fahrt zwischen Betroffenheit und Klamauk, kulminierend in der Zeile “Elektronische Musik kann man sich so selten schön trinken.” Katy Grayson Perry erinnert daran, dass auch Menschen, von denen man es gar nicht ahnt, natürlich Kummer kennen. Katy Perry ist so eine, und ihr wird hier ein Ausweg angeboten, wahrscheinlich auch eine Liebeserklärung gemacht: “Egal wie klein wir morgen sind / heute Abend sind wir Giganten.”

Die Brücke zwischen der Glamourwelt, mit einer erträumten Nähe zu Bestseller-Autoren, Star-DJs und Popdiven, und dem echten Leben, das so gerne als das eigentliche Metier von Thees Uhlmann betrachtet wird, schlägt Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hip Hop Videodrehs nach Hause fährt. Das Besondere in der im Songtitel zusammengefassten Situation zu erkennen, ist die Leistung dieses Lieds: Auf der einen Seite stehen Klischees, Inszenierung und Machismo, auf der anderen Seite Pragmatismus und unspektakuläre Authentizität. Natürlich ist klar, was von beiden mehr (Anziehungs-)Kraft hat.

Das Zwischenmenschliche so sehr zu seiner Stärke zu machen, ohne dabei ein einziges klassisches Liebeslied zu singen – das muss Thees Uhlmann erst einmal jemand nachmachen. Ein Satellit sendet leise ist ein gutes Beispiel dafür, als Hymne an die Freundschaft, insbesondere die Ausprägung davon, die auch unbeschadet ein paar längere Pausen verträgt oder heftige Konflikte überstehen musste. Der Sound dazu ist unprätentiös, wie gute Freundschaften nun einmal sind. Die Aufzählung im Titelstück Junkies und Scientologen zeigt: Dieser Künstler achtet die Unscheinbaren und die Normalen, aber die Außenseiter mag er noch ein bisschen mehr. “Was ist, wenn wir wie Hannover sind?”, fragt er in Was wird aus Hannover, getragen von einer Melancholie, die mit erstaunlicher Gelassenheit hingenommen wird, und einem Gitarrensound, der eine Gemütlichkeit à la Chris Rea vorgaukelt. Doch unter dieser Oberfläche könnte das nichts weniger sein als ein verspäteter Nachruf auf die alte Bundesrepublik.

In Die Welt ist unser Feld gibt sich der 45-Jährige als Globetrotter und preist die Abenteuerlust, das würde (ebenso wie die Musik) perfekt zu Madsen passen. Menschen ohne Angst, wissen nicht wie man singt erinnert an Enno Bunger und entpuppt sich als eine Beichte, auch wenn der Sänger nichts zu gestehen hat als seine eigene Unsicherheit und den Wunsch nach Beistand und Harmonie. 100.000 Songs wird ein Lied über die Liebe zur Musik, zur Gemeinschaft, zu Idealen – da kann man gerne an Bosse denken. Auch diese vergleichweise massenkompatiblen Referenzen zeigen: Man kann leicht einverstanden mit diesen Beobachtungen, diesen Schlussfolgerungen und diesem Künstler sein, aber er legt es nicht darauf an, mehr noch: Er würde auch das Gegenteil ertragen. Das ist ja schon was in diesen Tagen.

Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir schließt Junkies und Scientologen ab, und es klingt, ich schwöre es, ziemlich genau wie die Erinnerung an die Geschichte mit dem Knutschen beim Hansen-Band-Konzert. Da ist wieder das Gefühl einer persönlichen Beziehung zu dieser Musik, das vor allem auch von der Tatsache lebt, dass sich Thees Uhlmann niemals als überlegen positioniert. Er ist kein unfehlbarer Weltweiser, sondern ein Mensch, der viel erlebt und viel nachgedacht hat, und der sich dabei vor allem auch der eigenen Unzulänglichkeiten bewusst geworden ist. Er ist ein kleiner Junge, ein Schwärmer. Er ist ein Trottel wie wir.

Das Video zu Fünf Jahre nicht gesungen lässt erahnen, dass Thees Uhlmann mächtig Lust auf Konzerte hat.

Mit Junkies und Scientologen (vermutlich) geht Thees Uhlmann demnächst auf große Tour.

04.12. Dresden, Alter Schlachthof
05.12. Leipzig, Werk 2
06.12. A-Wien, Gasometer
07.12. München, Tonhalle
08.12. Saarbrücken, Garage
10.12. Erlangen, Heinrich Lades Halle
11.12. Dortmund, FZW
12.12. Wiesbaden, Schlachthof
13.12. Stuttgart, LKA Longhorn
14.12. Berlin, Columbiahalle
16.12. Hannover, Capitol
17.12. Hamburg, Große Freiheit 36
18.12. Hamburg, Große Freiheit 36 (AUSVERKAUFT)
19.12. Bielefeld, Lokschuppen
20.12. Bremen, Pier 2
21.12. Köln, Palladium

Thees Uhlmann bei Twitter.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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