Futter für die Ohren mit Diet Cig, Stephan Malkmus, Ezra Furman, AB Syndrom und Mia

Diet Cig Night Terror
Bei Diet Cig kann sogar “Night Terror” spaßig werden. Foto: Fleet Union/Emily Dubin

Swear I’m Good At This hieß 2017 das Debütalbum von Diet Cig aus New York, und das war keineswegs zu viel versprochen. Die neue Single Night Terrors (****) darf man möglicherweise als ersten Vorboten auf einen Nachfolger interpretieren, denn auch eine Tour ist bereits angekündigt. „Dieser Song handelt ganz wortwörtlich von den Schrecken und anderen bizarren Vorkommnissen in der Nacht, mit denen ich oft und schon lange zu kämpfen habe”, sagt Sängerin und Gitarristin Alex Luciano, die gemeinsam mit Schlagzeuger Noah Bowman dieses Duo bildet. Der Sound vereint wie schon auf der ersten Platte putzig und dreckig, das Tempo ist schleppend, die Wirkung trotzdem mitreißend, die Sehnsucht nach Beistand wird durch die Zeile „I promise not to kill you in my sleep“ unterwandert. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass wir im Traum oder im Halbschlaf vielleicht Teile unseres Selbst erkennen, die wir gerne verbergen würden. „Egal wie sehr ich versuche, die perfekte Version von mir zu sein, mir passieren andauernd peinliche, komische Dinge, die nicht liebenswürdig sind“, sagt Alex Luciano. „Aber diese Teile gehören auch zu mir, und ich halte mich an die Leute, die mich auch mit diesen Fehlern akzeptieren.”

Nicht spekulieren muss man über ein neues Album von Stephen Malkmus. Es wird Traditional Techniques heißen und am 6. März erscheinen. Mit dem Lyric-Video zu Xian Man (***) gibt der ehemalige Pavement-Mann einen ersten Einblick. Das Lied unterstreicht, dass der Albumtitel keineswegs metaphorisch gemeint ist: Folk steht im Zentrum, trotz der gelegentlich recht rabiaten E-Gitarre. In Summe entwickelt das eine fast meditative Wirkung, die man etwa in der Nähe von Neil Young ansiedeln könnte. Es wimmelt hier und in den insgesamt zehn Liedern des Albums von sehr traditionellen Instrumenten wie Pedal Steel-Steel-Gitarre, Autoharp und Dobro. Dafür hat Stephen Malkmus unter anderem mit Chris Funk (The Decemberists) und Matt Sweeney (Will Oldham) zusammengearbeitet, weitere Gäste wie Qais Essar und Eric Zang haben noch exotischere Zutaten (Kaval, Udu, Daf, Rabab) beigetragen.

40 Millionen Zuschauer hat die erste Staffel der Serie Sex Education bei Netflix mittlerweile gefunden. Natürlich dürften die meisten davon eingeschaltet haben, weil das Thema spannend ist, der Plot originell und die Besetzung klasse. Auch die Musik von Ezra Furman dürfte allerdings einen nicht geringen Anteil daran haben – umgekehrt dürfte der Künstler aus Chicago selbst wohl beträchtlich von der Popularität der Serie profitieren. Für Sex Education hat er einige seiner bestehenden Songs beigesteuert, aber auch neue Lieder geschrieben wie Every Feeling (***1/2). Sein Sound passt natürlich wunderbar zum Thema, denn als trans-/bisexueller Musiker weiß er bestens um die Schwierigkeiten, die eigene Sexualität finden und mit ihr von anderen akzeptiert zu werden („I wanna feel every feeling in the book tonight“, heißt die entsprechende Zeile im Song). Dazu vermag er es wunderbar, Unschuld und Ungestüm der Adoleszenz in seine Musik zu packen, auch wenn er mittlerweile 33 ist. „Musik für eine Fernsehserie zu machen, war für mich eine neue Erfahrung. Ich bin ein Fan von vielen High-School-Komödien wie The Breakfast Club oder 10 Dinge, die ich an Dir hasse. Ich wusste, wie unterhaltsam die Musik darin sein kann, aber auch wie emotional. Diesem Anspruch wollte ich gerecht werden.“ Der offizielle Soundtrack der ersten beiden Staffeln ist jetzt digital erschienen, ab 10. April wird es ihn auch als physischen Tonträger geben.

Einen Frontalcrash kündigen AB Syndrom für ihr neues Album an, zunächst erfolgt der in der aktuellen Single Spiegelverkehrt (***1/2) mit Mine. Natürlich spielt das auf Spiegelbild an, das 2018 als erste Zusammenarbeit des Berliner Duos mit der Dame aus Schwaben entstanden ist. Danach waren AB Syndrom und Mine durchweg eng verbandelt, auf Tour, bei gemeinsamen TV-Auftritten oder Festivals. Die Verbindung ist gesanglich spannend und ästhetisch naheliegend: Beide paaren extrem innovative Produktion mit ausgesucht schönen Melodien und klugen, rätselhaften, persönlichen Texten. In diesem Fall geht es um Selbstzweifel, die auch in einer glücklichen Beziehung nicht verschwinden, weil man auch darin natürlich weiß, dass die dunklen Momente vom Gegenüber genau wahrgenommen werden und selbst in den hellen Momenten jemand da ist, der Stablität und Aufrichtigkeit vielleicht in Frage stellt. „Du siehst dich immer spiegelverkehrt / und du denkst ich lieb dich nicht mehr“, heißt das dann. Dass der Sound deutlich kühler, fragiler und konfrontativer ist als auf Spiegelbild, darf man als Indiz für den Charakter des Albums sehen, das am 27. März folgen wird.

Die durch die Hölle gehen, True Romance, Dead Zone, Pulp Fiction. Das waren die Filme, mit denen man Christopher Walken assoziierte, zumindest bis zum Jahr 2002. Dann tanzte der Schauspieler plötzlich durchs Video von Fatboy Slims Weapon Of Choice, und für viele ist das bis heute seine Paraderolle (der Clip, unter Regie von Spike Jonze entstanden, wurde damals von VH1 gar als „bestes Musikvideo aller Zeiten“ gepriesen). Eine ähnliche Überraschung kann man nun bei Mia erleben: Sie lassen Thorsten Schröder (seit 20 Jahren Sprecher der Tagesschau) durch den Clip zum Titelsong ihres neuen Albums tanzen. Schröder ist in Limbo längst nicht so elegant wie Walken (Ersterer ist studierter Volkswirt, Letzterer ist ausgebildeter Tänzer), die Idee funktioniert aber trotzdem glänzend. Der mutige Rollenwechsel passt bestens zum Motto „Warum? Weil ich es kann!“, das den Song abschließt und entspricht auch der Attitüde von Anerkennung des Konflikts, aber Entschlossenheit zum Konstruktiven, die auch das siebte Mia-Album prägen wird. „Wir haben anstrengende Optimisten und anstrengende Zweifler in dieser Band, deshalb wird in Limbo zwischen Übermut und Verstand oszilliert. Der Optimismus in diesem Song hat Kratzer, aber er ist wirklich da, denn daran arbeiten wir uns fast jeden Tag ab. So verschieden wie wir nun mal sind, haben wir die Arbeit an diesem Album begonnen“, erklärt die Band den Titel. Limbo wird am 27. März erscheinen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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